Kirschblüte bei der Nacht – Von Barthold Heinrich Brockes

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
Es fiel mir ins Gesicht von einem hellen Stern ein weißes Licht, das mir recht in die Seele strahlte.Foto: iStock

Kirschblüte bei der Nacht

Ich sahe mit betrachtendem Gemüte

Jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,

In kühler Nacht beim Mondenschein;

Ich glaubt, es könne nichts von größerer Weiße sein.

Es schien, ob wär ein Schnee gefallen;

Ein jeder, auch der kleinste Ast,

Trug gleichsam eine rechte Last

Von zierlich weißen runden Ballen.

Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,

Indem daselbst des Mondes sanftes Licht

Selbst durch die zarten Blätter bricht,

Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.

Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden

Was Weißres angetroffen werden.

Indem ich nun, bald hin, bald her

Im Schatten dieses Baumes gehe,

Sah ich von ungefähr

Durch alle Blumen in die Höhe

Und ward noch einen weißren Schein,

Der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar,

Fast halb darob erstaunt, gewahr.

Der Blüte Schein schien schwarz zu sein

Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht

Von einem hellen Stern ein weißes Licht,

Das mir recht in die Seele strahlte.

Wie sehr ich mich am Irdischen ergetze,

Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.

Die größte Schönheit dieser Erden

Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.

Barthold Heinrich Brockes  (1680-1747)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion