Bach im Bahnhof mit Alban Gerhardt

Der Berliner Meistercellist Alban Gerhardt sorgt sonst auf internationalen Konzertpodien für Furore. Seit einem Schlüsselerlebnis im Jahr 2010 konfrontiert der 43-Jährige gern unvorbereitete Menschen mit klassischer Musik. Denn der unkomplizierte Star versteht sich vor allem als Botschafter und Diener seiner Kunst.
Titelbild
Mit Cello, Leidenschaft und Kreativität geht Alban Gerhardt gerne auch mal unkonventionelle Wege, um Menschen für klassische Musik zu begeistern. Am 8. Mai wird er dazu Bach-Suiten im Berliner Hauptbahnhof spielen.Foto: Alban Gerhardt
Epoch Times24. März 2012

Epoch Times: Herr Gerhardt, am 8. Mai 2012, einem ganz normalen Dienstag, planen Sie, die sechs Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach am Berliner Hauptbahnhof zu spielen. Wie sind Sie auf die Idee zum Projekt „Bach im Bahnhof“ gekommen?

Gerhardt: Ich habe mal im Radialsystem V in Berlin in der Sommerpause gespielt. Damals sind sehr viele Leute zum Konzert gekommen, die noch nie etwas mit Bach, Cello oder klassischer Musik am Hut hatten. Vermutlich, weil sonst nichts in Berlin los war. Damals bekam ich sehr viel positives Feedback. Davor dachte ich selbst, Bach sei intellektuelle und anstrengende Musik und war ganz verblüfft, dass es anscheinend viel weniger intellektuell und anstrengend war, als ich und das Publikum befürchtet hatten … Eigentlich war es super, dass dort so viele Menschen waren, die gar kein „echtes“ Interesse daran hatten. Dann dachte ich mir, bringe ich doch einfach diese Musik zu Leuten, die morgens aufgestanden sind ohne die geringste Ahnung, dass sie an diesem Tag Bach auf dem Cello hören werden. Um vielleicht so den ein oder anderen dazu zu bewegen, seine Haltung gegenüber dieser Musik zu überdenken.

Epoch Times: Also wurden Sie durch die Reaktionen auf Ihr Konzert im Radialsystem inspiriert?

Gerhardt: Absolut ja. Das war ganz süß, es gab sehr viele starke Reaktionen. Teilweise schrieben mir Leute danach per E-Mail oder Facebook, dass es ihr erstes klassisches Konzert überhaupt war. Eine Frau hat mit sogar geschrieben, dass sie danach mit dem Cellospielen angefangen hat. Am Bahnhof ist das dann natürlich eine andere Geschichte, weil man da die Konzentration eines geschlossenen Saales nicht hat.

Epoch Times: Gehen Sie in den Bahnhof, um dort ein Zufallspublikum treffen?

Gerhardt: Ja genau. Weil diese Passanten so absolut andere Sorgen im Kopf haben. Das kann eben sehr wohltuend sein, so ein bisschen Bach zu hören. Ich bin gespannt, ob es Menschen zum Anhalten in ihrem täglichen Stress bewegt. Das ist auf jeden Fall ein Experiment und ich habe keine hohe Erwartungshaltung – wie immer, wenn ich etwas tue, dass ich noch nie zuvor getan habe.

Angeregt von der Radialsystemerfahrung hatte ich auch eine Tour gemacht, die Radiotour 2010, wo ich eine Woche lang jeden Morgen an einer Radiostation auftauchte und publik machte, dass ich am Abend, dort wo die Hörer wollen, gratis Bach spiele. Das lief etwas schleppend an, aber dann riefen bis zu 40 Leute an, um mich zu bestellen. Das war bei Nicht-Klassiksendern, also zum Beispiel bei einem Pop-Radio in Kiel. Die verschiedensten Leute riefen an und wollten, dass ich bei ihnen spiele.

Das Verrückteste war in einem Fitnessstudio. Das Rührendste war, als ich in einem Kreissaal für ein Neugeborenes und seine Eltern spielte –  und für die anderen, die sich dort aufhielten.

Und dann bei den Gegnern des Castor-Transportes in deren Hauptquartier im Wendland. Damals kam ich zwei Stunden zu spät, weil ich mich völlig  mit den Entfernungen verrechnet hatte und riskierte auf der Landstraße fast mein Leben, um noch vor Mitternacht dort anzukommen. Als ich ankam, saßen dort nur noch ein paar ältere Herrschaften, die schon ziemlich viel geraucht hatten, und meinten: „Ja spiel doch einfach.“ Dann habe ich mich dazu gesetzt und praktisch Tischmusik für sie gespielt. Als ich anfing, dachte ich mir: „Na das ist hier ja wirklich für die Katz …“ Als ich aufhörte, klatschte es hinter mir sehr stark. Da standen auf einmal ganz viele von den Jüngeren, die sich schon ins Bett verkrochen hatten. Sie waren wieder heruntergekommen und hatten zugehört.  Die Cello-Bachklänge hatten die Leute aus ihren Löchern hervorgeholt. Das war echt spannend.

Epoch Times: Wollen Sie absichtlich das elitäre Image der klassischen Musik durchbrechen? Damit leisten Sie auch einen Beitrag, um Ehrfurcht und Berührungsängste, mit denen der Laie gemeinhin Klassik-Stars begegnet, abzubauen.

Gerhardt: Auf jeden Fall, ich finde, das ist der Musik sogar eher abträglich. Vor zwei- oder dreihundert Jahren waren die Musiker einfach nur Diener der Kunst, der Kultur oder eines Fürsten. Das finde ich normaler als den heutigen Starrummel. Jeder einzelne, der Musik macht, hat Riesenglück, das machen zu dürfen. Das ist ein Privileg. Und wenn sich manche  abgehoben benehmen, dann finde ich das sehr unnatürlich und ungesund. Musik hat durchaus etwas mit Schweiß und Arbeit zu tun. Es ist eine wunderschöne Arbeit und es ist ein Handwerk. Als Musiker dienen wir nur. Denn wir sind ja keine Komponisten, Maler oder erschaffenden Künstler, wir machen ja nur etwas nach. Deshalb bitte keine übertriebene Ehrfurcht.

Epoch Times: Wieso haben Sie sich für den Berliner Hauptbahnhof entschieden?

Gerhardt: Weil er als Kunststätte einfach toll aussieht. Ich finde, er hat eine fantastische Architektur und ist somit wieder moderne Kunst. In einem modernen Kunstwerk ganz alte Musik zu spielen, fand ich reizvoll, aber eigentlich wollte ich eine kleine Tour machen. Mit dem Zug fahren, alle zwei Stunden anhalten und dann dort spielen. Die Bahn wollte das lieber erst mal als Pilotprojekt in einem Bahnhof machen. Deshalb sind es jetzt an einem Tag alle Bach-Suiten geworden. Für den Cellisten drei Stunden unglaublich anstrengende und anspruchsvolle Musik, die da hintereinander am Berliner Hauptbahnhof erklingen werden.

Wenn das gut ankommen sollte, spiele ich es später über drei, vier Bahnhöfe verteilt.

Dann würde ich eine ganze Woche planen, in der ich mit dem Zug durch Deutschland fahre und so oft wie möglich anhalte und da spiele.

Die Dame bei der Bahn, der ich das Projekt vorgestellt habe, war auf jeden Fall ganz begeistert von der Idee. Sie fragte mich auch, ob ich nicht mal Lust hätte, bei Hertha BSC in der Halbzeitpause zu spielen, weil die Bahn ein Sponsor von Hertha ist. Vielleicht könnte ich da die Bedingung stellen: Nur wenn Hertha wieder besseren Fußball spielt (lacht).  Nein, nein, das würde ich gerne machen, weil mein Sohn und ich Hertha-geprägt sind. Wir stehen ihnen bei – durch dick und dünn.

Epoch Times: Wieso haben sie Bach gewählt?

Gerhardt: Ich bin wirklich gar nicht religiös, aber Bach ist fast schon heilige Musik. Und als ich im Radialsystem sah, wie die Leute darauf angesprungen sind, habe ich mir gesagt, Mensch, das ist nicht nur für einige Elitäre und Auserlesene, sondern das kann jeder verstehen. Auch wenn es andere Sachen für Solo Cello gibt, die weitaus spektakulärer sind. Bach hat irgendwie so etwas ganz Reines und Ehrliches, er ist echt und authentisch. Deshalb kommt er so gut bei den Leuten an.

 

Die Fragen stellte Rosemarie Frühauf

„Bach im Bahnhof“ mit Alban Gerhardt findet am 8. Mai 2012 im Berliner Hauptbahnhof statt (Mittelfläche zwischen Eingang Süd und Eingang Nord auf der Ebene O). Im Zweistundentakt mit jeweils ca. einer Stunde Pause erklingen  ab 11:00 Uhr Suite I und VI, ab 13:00 Uhr Suite II und V und ab 15:00 Uhr Suite III und IV für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach. Ende gegen 16:00 Uhr. Eintritt frei.

 

 

 

 

 

 



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