„Mein erfundenes Land“

Isabel Allendes neues Buch
Titelbild
(Copyright: Suhrkamp Verlag)
Von 13. September 2006

Es ist das Buch einer Sehnsucht: Isabel Allende hat ihrer Heimat Chile, die sie vor mehr als dreißig Jahren verlassen musste, ein literarisches Denkmal gesetzt. „Mein erfundenes Land“ heißt der Band, der bei Suhrkamp erschienen ist. Kann man ein Land, das es tatsächlich gibt, „erfinden“? Die Autorin erklärt den befremdlichen Titel: „Ich habe ein romantisches Bild von Chile, das zu Beginn der siebziger Jahre auf Eis gelegt wurde…Mein Chile ist poetisch und ärmlich, deshalb übersehe ich Hinweise auf eine moderne und materialistische Gesellschaft…und will überall Zeichen meines Landes von früher entdecken…Vielleicht hat es diesen Ort, nach dem ich mich zurücksehne, nie gegeben“.

Ein Buch der Erinnerungen also mit den charakteristischen Einfärbungen einer subjektiven Perspektive, wozu die Allende sich auch bekennt: „…ich neige zum Übertreiben und kann…nicht objektiv sein, wenn es um Chile geht“.

Wer das Buch liest, wird das nicht für einen Fehler halten, denn die Lektüre entwickelt sich zu einer hinreißend vergnüglichen Plauderei, ja, sogar zum Dialog mit dem Leser, den die Autorin immer wieder persönlich anspricht: „Sie dürfen mir glauben, daß…“, sagt sie, oder: „Urteilen Sie selbst: …“, und sie antwortet auf Fragen, die sie dem Leser vorwegnimmt. Auch sonst hat der Text Merkmale der gesprochenen Sprache: es gibt Wiederholungen, die Erzählung ist sprunghaft, gelegentlich auch geschwätzig. Die Allende hat ihre Erinnerungen „ohne einen Plan“ aufgeschrieben, „im raschen Lauf der Finger“. Natürlich merkt man das, aber man nimmt es in Kauf, denn die Erzählung hat Substanz, sie hat Humor und geistreichen Witz.

Man erfährt sehr viel über das Land und seine Geschichte, über die Menschen und natürlich über die Autorin. „Ich kann das Thema Chile nicht von meinem eigenen Leben trennen“, bemerkt sie, und so beschreibt sie vorzugsweise die Zeit in Chile, die sie aus eigener Erfahrung kennt, etwa von den fünfziger Jahren an bis zur Mitte der siebziger. Mit kritischem Blick und nicht ohne Ironie stellt sie ihre Landsleute vor: ihre Vorzüge, aber auch ihre Schwächen und Marotten. Als bekennende Feministin nimmt sie dabei mit Vorliebe die Männer aufs Korn: “Chile ist das Land der Machos: Die Luft ist übersättigt von Testosteron, man muss sich wundern, daß den Frauen kein Bart sprießt.“ Verständnisvoller ist die Allende, wenn es um die chilenischen Frauen geht: „In ihrer Jugend sind sie leidenschaftliche Liebhaberinnen, später dann die Säulen der Familie, gute Mütter und gute Gefährtinnen für ihre Männer, für die sie häufig viel zu schade sind.“

1975 hat Isabel Allende Chile verlassen müssen. Als bekannte Journalistin und TV-Moderatorin und als Nichte des durch den Militärputsch 1973 ums Leben gekommenen Präsidenten Salvador Allende stand sie im Fokus des Diktators Pinochet. Sie floh nach Venezuela, wo ihre Ehe an den Zwängen und Nöten der Emigration zerbrach. Auch darüber erzählt sie in diesem Buch und daß sie 1987 einen Amerikaner heiratete, dem sie ein Jahr später in die USA folgte: für immer. „Kalifornien ist mein Zuhause“; schreibt sie, „und Chile das Land meiner Sehnsucht.“

Die Kapitel über den Militärputsch und das Exil liest man bewegt und mit Anteilnahme. Die Erfahrungen dieser Jahre haben die Allende ein für allemal geprägt. In dieser Zeit entwickelte sie sich zur Schriftstellerin, weil sie im geschriebenen Wort eine Möglichkeit fand, ihr Heimweh zu artikulieren. Die Sehnsucht nach Chile steht hinter allen ihren Büchern. Der vorliegende Band verdichtet die Sehnsucht zu einem Porträt.

Einen Goldrahmen hat es freilich nicht. Isabel Allende schreibt schnörkellos, eher sachlich und journalistisch als poetisch, und sie würzt ihren Text mit den Mitteln des Humors und der Ironie. Wer das Buch liest, vergisst möglicherweise, daß er nicht das Original vor sich hat, sondern eine Übersetzung. Die verdanken wir Svenja Becker. Sie hat das Buch aus dem Spanischen übertragen und eine deutsche Fassung erarbeitet, die sich so flüssig und sprachlich überzeugend liest, als wäre sie das Original. Man kann die Lektüre nur empfehlen.

Isabel Allende: Mein erfundenes Land

Aus dem Spanischen von Svenja Becker

Suhrkamp Verlag, Frankfurt / Main

201 Seiten, 16,80 Euro.



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