Im permanenten Katastrophengebiet

Seit 25 Jahren gibt es die „Ärzte für die Dritte Welt“ – gegründet in Frankfurt
Titelbild
(Ärzte für die Dritte Welt)
Epoch Times4. September 2008

Jedes Jahr verzichten rund 330 deutsche Ärzte auf ihren Urlaub und leisten stattdessen ehrenamtlich Hilfe in den Slums der Dritten Welt. Rund dreitausend Menschen können dadurch an jedem Tag medizinisch versorgt werden. Die Idee zu diesem Hilfsprojekt hatte der Frankfurter Jesuitenpater Bernhard Ehlen vor genau 25 Jahren.

Wenn er gekonnt hätte, das gibt Klaus Biskamp unumwunden zu, er wäre damals „sofort wieder abgehauen“. Soeben eingetroffen in Kalkutta, mit der festen Absicht, Gutes zu tun, fand sich der Arzt aus Frankfurt plötzlich inmitten von Schlamm, Dreck, Dunkelheit und einer schwülen Hitze von 33 Grad wieder. Um ihn herum zweihundert schwitzende Menschen, die auf seine Hilfe warteten und von denen niemand ein einziges Wort Englisch sprach. Kein Strom, kein Wasser. Hygiene? Lachhaft, auch nur daran zu denken. Und der Kollege, der ihn einarbeiten sollte, war selber schwer erkrankt an Brechdurchfall. Biskamp hängte ihn erstmal an den Tropf. Und dann besorgte er sich einen Eimer Wasser, um sich wenigstens zwischendurch kurz die Hände waschen zu können.

Hilfe für die Bewohner von Slums

Das war 1986, drei Jahre nach Gründung der Hilfsorganisation „Ärzte für die Dritte Welt“ und Biskamps erster Einsatz. Im nächsten Jahr wird der Internist zum 25. Mal aufbrechen, um Menschen in einem Elendsviertel medizinisch zu versorgen. Der 70-Jährige hält damit den Rekord unter den 2.300 Kollegen, die sich bislang bei den „Ärzten für die Dritte Welt“ engagiert haben. Und wenn er sich heute in die Slums von Nairobi, Manila, Kalkutta oder Dhaka begibt, dann kann er darauf bauen, bei seiner Arbeit fließendes Wasser, Strom, Wegwerfhandschuhe, Einwegspritzen und an mehreren Einsatzorten sogar Sonographiegeräte vorzufinden. Denn in den vergangenen 25 Jahren hat sich die Zusammenarbeit zwischen den „Ärzten für die Dritte Welt“ und den lokalen Partnerorganisationen samt ihren einheimischen Mitarbeitern verfestigt, sind stabile, zuverlässige Strukturen gewachsen. So sind an einigen Stellen Gesundheitszentren entstanden, die die Slumbewohner aufsuchen können, wenn sie erkrankt sind. Auf der philippinischen Insel Mindanao hat die Organisation sogar drei Krankenstationen mit jeweils zwanzig bis dreißig Betten eingerichtet. Mitunter handelt es sich aber auch um so genannte „Offene Ambulanzen“. Dann begeben sich die Ärzte jeweils an einem bestimmten Wochentag zu einer festen Zeit an einen vereinbarten Ort. Wer Hilfe braucht, kommt dorthin. Oder aber die Ärzte sind mit einer „mobilen Ambulanz“ auf dem Lande, fernab der Zentren, unterwegs.

Mit einfachen Mitteln viel bewirken

„Es ist wichtig, dass Menschen hinausgehen und die Samariterrolle übernehmen“, sagt der Frankfurter Jesuitenpater Bernhard Ehlen. Er war es, der „Ärzte für die Dritte Welt“ vor 25 Jahren ins Leben rief. Und tatsächlich sind seitdem viele seinem Aufruf gefolgt. So erklären sich in jedem Jahr rund 330 Ärzte und Ärztinnen bereit, auf ihren Jahresurlaub zu verzichten, um sechs Wochen lang unbezahlten Dienst in einem Elendsquartier in Asien, Afrika oder Südamerika zu leisten. Zusätzlich kommen sie sogar noch für das halbe Flugticket auf. „Aber im Gegensatz zu vielen anderen Hilfsorganisationen engagieren wir uns nicht in akuten Krisenregionen, in denen Kriege oder Naturkatastrophen gewütet haben“, erläutert Harald Kischlat, Generalsekretär der „Ärzte für die Dritte Welt“. „Dort wo wir tätig werden, handelt es sich um permanente Katastrophengebiete.“ Denn Tatsache sei nun einmal, das sieht auch Klaus Biskamp ohne jede Beschönigung, „dass weltweit ein Großteil der Menschheit medizinisch nicht versorgt ist“. Der erfahrene Internist weiß, dass auch sein unermüdliches Engagement daran nichts ändern kann, dass das „nicht einmal für einen Tropfen auf den heißen Stein reicht“. Dennoch: „Ich habe erlebt, dass ich mit einfachen Mitteln viel bewirken kann, und zwar an einzelnen, realen Menschen.“ Auch wenn sich dadurch an der großen Elendsstatistik nichts ändere.

In Frankfurt werden die Ärzte vorbereitet

Zurzeit ist die Hilfsorganisation in neun Projekten mit insgesamt 38 deutschen sowie sieben einheimischen Ärzten und 360 Krankenschwestern, Helfern, Fahrern und Übersetzern engagiert. Und dennoch beliefen sich die Ausgaben im vergangenen Jahr gerade einmal auf 3,7 Millionen Euro, wobei die Verwaltungskosten im Gesamtetat bescheidene sieben Prozent ausmachen, für die überdies ein Förderverein aufkommt. Was für die Ärzte draußen im Einsatz gilt, trifft auch auf das Management in der Frankfurter Zentrale zu: „Wir alle sind zu Experten dafür geworden, mit wenig Mitteln höchst effizient anderen helfen zu können“, erklärt Generalsekretär Kischlat.

Während des Empfangs im Juni, den die Stadt Frankfurt zum 25-jährigen Bestehen von „Ärzte für die Dritte Welt“ im Kaisersaal des Römers ausrichtete, verwies Kischlat auf die enge Verflechtung seiner Hilfsorganisation mit der Mainmetropole: „Frankfurt ist nicht nur der Sitz unseres Büros, es ist auch direkter Anlaufpunkt für die einsatzbereiten Ärzte, die hier in Seminaren auf die medizinischen und sozialen Herausforderungen ihres jeweiligen Einsatzortes vorbereitet werden.“ Kischlat lobte die Spendenbereitschaft vieler Frankfurter Bürger und deren ehrenamtliches Engagement als Helfer in der Zentrale der Organisation. Prominentestes Beispiel aus der jüngsten Zeit: Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, der seit kurzem dem Kuratorium von „Ärzte für die Dritte Welt“ angehört – Präsidentin des Kuratoriums ist übrigens die Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler.

Kultur, Lebensart und Sprache der Menschen verstehen

Wie wichtig es ist, dass die Mediziner, bevor sie in die Dritte Welt aufbrechen, in Seminaren auf Kultur und Lebensart ihres jeweiligen Gastlandes vorbereitet werden, kann Klaus Biskamp nur bestätigen. Jegliche „koloniale Attitüde“ sollte man sofort ablegen, rät er. „Man muss vielmehr zeigen, dass man den Menschen mit seiner Krankheit, mit seinen Beschwerden versteht.“ Damit diese Verständigung bei seinem nächsten Einsatz noch besser funktioniert, hat der Arzt im Ruhestand jetzt einen Volkshochschulkurs in Kisuaheli belegt. (Barbara Goldberg/pia)

Weitere Informationen hält die Website der Organisation unter der Adresse „www.aerzte-dritte-welt.de“ bereit.

(Ärzte für die Dritte Welt)
(Ärzte für die Dritte Welt)


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