Unvergängliche Schönheit des Augenblicks

Vor hundert Jahren wurde Maria Callas in New York geboren. Ihre unvergleichliche Stimme und ihr bewegtes Leben faszinieren bis heute.

Titelbild
Portraitfoto von Maria Callas aus dem Jahr 1958.Foto: CBS Television, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37848669
Von 1. Dezember 2023

Dutzende Bücher sind über Maria Callas geschrieben worden.
 Die ergreifenden Aufnahmen ihrer Opernauftritte, Konzerte und Meisterklassen sind legendär. Immer wieder versuchen Dokumentar- und Spielfilme, das Geheimnis ihrer Ausnahmebegabung und unvergleichlichen Ausstrahlung zu ergründen.

Als Maria Anna Cecilia Sofia am 2. Dezember 1923 im Manhattaner Stadtteil Washington Heights das Licht der Welt erblickt, deutet nichts auf ihren erstaunlichen Lebensweg hin.
 Erst einige Monate zuvor war das Ehepaar Kalogeropoulou mit seiner ersten Tochter Yakynthy aus der peloponnesischen Kleinstadt Meligalas in die Millionenmetropole New York ausgewandert.

Kindheit und Jugend in New York und Athen

Um in der Neuen Welt Fuß zu fassen, ändert Vater George den schwer aussprechbaren Familiennamen in „Callas“ und versucht sein Glück durch die Eröffnung einer Apotheke im griechischen Viertel der Stadt.

Seinem kleinen Unternehmen ist jedoch kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden und auch die Familie zerbricht. 1937 verlässt seine Frau ihn und die Vereinigten Staaten und kehrt mit ihren beiden Töchtern nach Griechenland zurück. 
Maria Callas ist gerade 13 Jahre alt.

In Athen leben Mutter und Töchter in bescheidenen Verhältnissen, doch die musische Begabung der jüngeren Tochter lässt die Mutter auf ein besseres Leben hoffen.
 „Das vorgesehene Programm war, dass ich Sängerin werden sollte“, berichtet Maria Callas Jahrzehnte später in einem Interview.
 „Eine Mutter muss eine gute Mutter sein. […] Wenn du deiner Mutter nicht vertrauen könntest, wem sonst könntest du vertrauen?“, fügt sie hinzu.

Unbändiger Wille, geschmeidig große Stimme

Das Vertrauen in die Pläne der Mutter, Pflichterfüllung und Talent bilden zusammen mit der unbändigen Willensstärke Marias die Energie, die das Mädchen antreibt.

Bereits im Jahr 1939 besucht Maria Callas das Athener Konservatorium und begeistert ihre berühmte Lehrerin, die spanische Sängerin und Gesangspädagogin Elvira de Hidalgo. 
Jahre später berichtet diese davon, dass die 15-Jährige das Konservatorium morgens als Erste betreten und abends als Letzte wieder verlassen habe.
 Die Jugendliche ist geradezu besessen davon, die schwierigsten Gesangstechniken und -passagen studieren und meistern zu können.

Ihre Stimme ist dabei so biegsam und geschmeidig, so kraftvoll, weich und klar, dass sie jede neue Hürde mit unbeschreiblicher Leichtigkeit überwindet. 
Auf Marias Frage, welche Gesangspartien ihr wohl in Zukunft offen stünden, antwortet ihr Hidalgo deshalb ohne jedes Zögern: „Alle!“

Elvira de Hidalgo (1891–1980), spanische Koloratursopranistin und Gesangslehrerin von Maria Callas in Athen. Foto: Public Domain

Schon nach sechs Monaten intensiven Studiums wird die junge Sängerin an die Athener Oper verpflichtet. Parallel zu ihrem Engagement setzt sie das Gesangstraining am Konservatorium weiter fort.

Es herrscht Krieg in Europa. 
Mangel, Hunger und Not bestimmen auch den Alltag in Griechenlands Hauptstadt. Trotzdem werden in diesen düsteren Jahren die Grundlagen für Maria Callas Weltkarriere gelegt.

In der Athener Nationaloper singt sie 1942 das erste Mal die Titelpartie der Tosca von Giacomo Pucchini. Am Fuß der Akropolis, im antiken Theater des Herodes Attikus wird die griechische Erstaufführung des Fidelio von Ludwig van Beethoven gegeben – mit Maria Callas als Leonore.

Sprung ins Land des Belcanto

In Opernkreisen verbreitet sich die Kunde von ihrer außergewöhnlichen und ausdrucksstarken Stimme über die Grenzen Griechenlands hinaus, und kaum kehrt der Friede nach Europa zurück, will das Mutterland des Belcanto, Italien, sie hören und erleben.

Sprachbarrieren gibt es für Maria Callas nicht.
 Durch ihr Studium von Gesangspartien spricht sie neben den beiden Sprachen ihrer Kindheit, Griechisch und Englisch, inzwischen auch fließend Französisch und Italienisch.

 In der berühmten Opernarena von Verona wird sie zur enthusiastisch gefeierten „La Gioconda“ in der gleichnamigen Oper von Amilcare Ponichielli.

Einer der einflussreichsten italienischen Dirigenten seiner Zeit, Tullio Serafin, steht am Pult der Aufführung im antiken Amphitheater.
 Er ist es, der Maria Callas an die Mailänder Scala, die wohl wichtigste Opernbühne des musikbegeisterten Italien, holt.
 Dort begegnet sie dem Opern- und Filmregisseur Lucchino Visconti, der, während Tullio Serafin sie musikalisch weiter formt, ihr schauspielerisches Können verfeinert.

Blick von der Bühne in den Zuschauerraum der Mailänder Scala. Foto: Reinhold Möller, CC BY-SA 4.0

Primadonna assoluta der Wahrhaftigkeit

Die Verwandlung in den neuen Fixstern des Opernhimmels ist jetzt in vollem Gange – eine Rolle, die in der musischen Feinsinnigkeit, dem starken Charakter und melancholischen Charisma der jungen Sängerin angelegt ist, nun aber zur vollen Entfaltung kommt.

„Wenn du eine Geste finden willst, wenn du wissen willst, wie du dich auf der Bühne bewegen sollst, ist alles, was du tun musst, der Musik zu lauschen. Der Komponist hat alles [was du suchst] in die Musik gelegt.“

Diesen Ratschlag Tullio Serafins verinnerlicht Maria Callas voll und ganz. „Du musst dir nur die Mühe machen, wirklich zu lauschen – mit deiner Seele und deinen Ohren […]. Du wirst alle Gesten finden – und sie werden alle wahrhaftig sein […]“, fügt sie in einem Interview hinzu.

Verwandlung zur Stilikone

1952 finden in Rom die Dreharbeiten für den Film „Roman Holiday“ („Ein Herz und eine Krone“) mit Audrey Hepburn statt und erhalten große Medienaufmerksamkeit. 
Maria Callas ist fasziniert von der feenhaften Erscheinung der britisch-niederländischen Schauspielerin und entschließt sich, sie zum Vorbild der eigenen, nun auch äußeren Verwandlung zu nehmen.

Innerhalb eines Jahres nimmt Maria Callas durch strenge Diät und Sport über 35 Kilogramm Gewicht ab und erkämpft sich so ein neues Körpergefühl.

Seit 1949 ist sie mit dem fast 30 Jahre älteren italienischen Unternehmer Giovanni Battista Meneghini verheiratet, der zugleich ihr väterlicher Berater und Manager ist. 
Als gefeierter Gesangsstar und unverwechselbare Stilikone in einer Person findet sie in dieser Ehe die Sicherheit und Stabilität, die sie braucht, um im Trubel des Musikgeschäfts und im Blitzlichtgewitter der Fotoreporter zu bestehen.

Maria Callas im Jahr 1954 als Giulia in der Oper „La Vestale“ von Gaspare Spontini. Foto: Teatro alla Scala, CC0

Unfassbare Disziplin, unglaubliches Risiko

Ihr Gesangsrepertoire umfasst unglaubliche 43 vollständige Partien und Arien aus weiteren drei Dutzend Opern. Der Umfang ihrer Stimme reicht über drei Oktaven hinweg. Bewunderer harren tage- und nächtelang vor den Opernkassen der Welt aus, um eine Karte für einen ihrer Auftritte zu ergattern. Denn sie alle wissen und fühlen es: Maria Callas riskiert und gibt mit ihrer einzigartigen Stimme alles.

Im traumwandlerischen und zugleich leidenschaftlichen Kampf um tiefgründige Schönheit und wahrhaftigen Ausdruck versinkt sie dabei selbst im Meer der Musik, über dem ihre Stimme jedoch zugleich schwerelos zu schweben scheint – und zieht alle, die ihr lauschen, in ihren Bann.

Der unglaubliche Stimmumfang von Maria Callas. Die Sängerin war nicht nur gesangstechnisch brillant, ihre Stimme war vor allem seelenvoll. Abbildung: Jouan, Public Domain

Licht und Schatten

Maria Callas stetig wachsende Berühmtheit macht sie jedoch auch zum begehrenswerten Ziel, nicht nur musikalisch platonischer Verehrung.
 Der sagenhaft reiche Reeder Aristoteles Onassis lädt das Ehepaar Meneghini auf seine Jacht ein.

Eine Affäre zwischen ihm und Maria Callas beginnt auf eben dieser gemeinsamen Mittelmeerreise, führt zum gesellschaftlichen Skandal und zur Scheidung von Giovanni Meneghini im Jahr 1959. Onassis wendet sich jedoch schließlich einer neuen Eroberung zu, der jungen Witwe des ermordeten amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, Jackie Kennedy.

Über ein Jahrzehnt hinweg sind diese Ereignisse gierig aufgegriffenes Thema der Klatschpresse. 
Maria Callas versucht, der Medienaufmerksamkeit zu entfliehen, und ist doch gleichzeitig abhängig von ihr.

Jahre später erkennt sie dieses zerstörerische Dilemma: „Ich hoffte, groß zu werden, um Freiheit zu erlangen“, sagt sie in einem Interview, „[…] aber all das war eine Lüge. Es ist einfach nicht wahr. Je berühmter man wird, umso schwieriger werden die Dinge. Es gibt die Freiheit der Presse, aber keine Freiheit für mich. […] Es ist ein einsames Leben.“

Mut und Melancholie

Als ihre Stimme im natürlichen Prozess des Alterns schwächer wird, beginnt sie Anfang der 1970er-Jahre, in New Yorker Meisterklassen ihr großes Wissen an junge Sänger weiterzugeben.
 Die Sehnsucht ihres Lebens bleibt jedoch die nach tiefer Erfüllung in den flüchtigen Momenten vollkommenen Bühnenglücks.

Mit ihrem Kollegen und treuen Freund, dem großen Tenor Guiseppe di Stefano, bereist sie deshalb Mitte der 70er-Jahre wieder die Welt und gibt umjubelte Konzerte, wohlwissend, dass ihre unvergleichliche Stimme sie immer mehr verlässt.

„Wenn sich der Vorhang hebt, ist das Einzige, was spricht, der Mut“, 
beschreibt Maria Callas die furchtlose und doch verzweifelte Suche nach den Augenblicken vollkommener Hingabe und Schönheit.

„Nur wenn ich sang, fühlte ich mich wirklich geliebt“,
 sagt Maria Callas in ihren letzten Lebensjahren, in denen sie voller Melancholie auf ihr bewegtes Leben zurückblickt.

 Im Jahr 1977 stirbt sie im Alter von 53 Jahren in ihrer Pariser Wohnung an einem Herzanfall.



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