„Zuerst muss ein reiner Tisch gemacht werden, bevor ein Heilungsprozess einsetzen kann“

Für den Rechtsanwalt Sebastian Lucenti liegt es nicht nur an den Medien, sondern auch an den kritischen 20 Prozent der Bevölkerung, die Aufarbeitung der Corona-Krise voranzubringen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört für ihn „strukturell und personell“ reformiert. Der zweite Teil des Exklusivinterviews.
Titelbild
Symbolbild: Eine Protestbotschaft auf einem Demoplakat während einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung in Berlin.Foto: ADAM BERRY/AFP via Getty Images

„Ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat kann es sich – auch im Hinblick auf künftige Krisen – nicht leisten, die Ursachen vermeidbarer gigantischer Folgeschäden ungeklärt zu lassen, notwendige Lernprozesse zu unterbinden und den Schadensverursachern die systemische Verantwortungsflucht zu erlauben.“ Der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti bringt auf den Punkt, was auch viele andere Kritiker der Corona-Politik seit Monaten fordern: die Aufarbeitung der Jahre 2020 bis 2023.

Der Jurist hatte bereits im Frühjahr 2023 ausführlich die Versäumnisse von Justiz und Medien beleuchtet, vor allem aber die mutmaßlichen Fehler des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI).

„Das Versagen des demokratischen Rechtsstaats in der Corona-Krise“

Im ersten Teil des Exklusivinterviews mit Epoch Times ging es vor allem um die bisherige Auseinandersetzung mit Institutionen wie dem Paul-Ehrlich-Institut oder einer angstgetriebenen Justiz. Im zweiten Teil geht der Blick in Richtung Zukunft.

Sie finden eine Druckfassung dieses Schriftwechsels mit ergänzenden Fußnoten auch hier als PDF-Datei: „Das Versagen des demokratischen Rechtsstaats in der Corona-Krise“.

Herr Lucenti, was muss geschehen, damit die gesellschaftliche Spaltung überwunden wird und es nicht immer wieder zu Verwerfungen wie in den Jahren 2020 bis 2023 kommt?

An erster Stelle steht eine umfassende chronologische Rekonstruktion von verfügbarem Tatsachenwissen durch unabhängige Sachverständige verschiedener Fachbereiche auf Grundlage einer stringenten juristischen Systematik, die eine verfassungsrechtliche Neubewertung und letztlich auch die Feststellung von zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeiten von Entscheidungsträgern in Politik und den zuständigen Behörden sowie führenden wissenschaftlichen Beratern erlauben.

Einen Vorschlag hierfür habe ich in dem bereits erwähnten Gastbeitrag des Politikmagazins „Cicero“ vom 13. August 2023 vorgestellt. Eine Überwindung der im Zuge der Corona-Krise erfolgten Verängstigung und Spaltung der Bevölkerung in „gute Maßnahmenbefürworter“ und „böse Maßnahmenkritiker“ erfordert zunächst eine solide Kenntnis des Sachverhalts mit seinen verschiedenen Themenkomplexen, die Chronologie der Ereignisse und eine breite offene gesellschaftliche Debatte. Mit anderen Worten: Zuerst muss ein reiner Tisch gemacht werden, bevor ein Heilungsprozess einsetzen kann.

Der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti

Der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti. Foto: Kanzlei Wolter / Hoppenberg

Sie fordern wie Millionen andere Menschen auch eine „Aufarbeitung der Entscheidungswege von Gesetzgeber und Verwaltung in der Corona-Krise“. Wie kann das erfolgen, wenn der Gesetzgeber selbst kein Interesse daran hat?

Diese Aufarbeitung durch die durchaus vorhandenen wenigen kritischen traditionellen Medienformate („WELT“, „Cicero“, „Berliner Zeitung“, Epoch Times etc.) und vielfältigen neuen Medien sowie unabhängigen wissenschaftlichen Kreise hat bereits begonnen.

An dieser Stelle ist der kritische Anteil der Bevölkerung gefordert, nicht auf die staatliche Aufarbeitung zu warten, sondern diese vielmehr selbst organisiert und mit Nachdruck in alle Gesellschaftsbereiche hineinzutragen, zum Beispiel durch sachlich geführte Gespräche, Informationsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen oder Publikationen.

Auch gegen Widerstände muss immer wieder in ein respektvolles Gespräch gefunden werden, um den beidseitigen Wissens- und Erfahrungsstand über die Corona-Krise auszutauschen. Die Aufarbeitung der Corona-Krise, so zum Beispiel

  • in der Rechtswissenschaft,

  • in Teilen der Medizin – vor allem hinsichtlich der erheblichen Risiken schwerer Nebenwirkungen der experimentellen COVID-19-Impfstoffe wegen des höheren Risikopotenzials des Impfspikes gegenüber dem infektionsbedingten Virusspikes und einem möglichen Zusammenhang mit einer viel beachteten Übersterblichkeitsstudie für die Jahre 2021 und 2022,

  • in traditionellen Medienformaten,

  • in den pädagogischen Berufen, die das systemische Versagen der Lehrer und Erzieher in der Corona-Krise detailliert aufzeigen,

  • in der Internationalen Martin Luther Stiftung am 18. Juli 2023 mit einer kritischen Auseinandersetzung im Festsaal des Erfurter Rathauses und positiven Pressereaktionen

hat längst begonnen. Diese Bemühungen müssen nun organisiert durch die an einer Aufarbeitung interessierten Bevölkerungsteile ausgebaut werden.

Das Standardargument der meisten Corona-Maßnahmen- und Impfbefürworter lautet angesichts der heute immer sichtbarer werdenden Schäden, man habe es ja nicht besser wissen können. Was sagen Sie dazu?

Betrachtet man beispielsweise nur

  • die Zeitpunkte verfügbaren Wissens, zum Beispiel durch die vielfältigen beachtlichen Hinweise kritischer Wissenschaftler und Mediziner seit dem Frühjahr des Jahres 2020,

  • den Inhalt der veröffentlichten anwaltlichen Schriftsätze aus den verwaltungsgerichtlichen Corona-Verfahren der Kollegin Jessica Hamed aus den Jahren 2020 und 2021,

  • die am 8. Mai 2020 veröffentlichte detaillierte Stellungnahme des ehemaligen Mitarbeiters des Bundesinnenministeriums Stephan Kohn zum staatlichen Krisenmanagement (PDF) und

  • die „Great Barrington Erklärung“ des American Institute for Economic Research vom 5. Oktober 2020 mit ihrem Ansatz risikogruppenspezifischer Schutzmaßnahmen unter Verzicht auf Lockdowns wegen ihrer massiven, vielfältigen flächendeckenden Folgeschäden,

trifft dies einfach nicht zu. Die Methodik der Wissensbeschaffung der Politik erfolgte grob einseitig und fehlerhaft. Die gebetsmühlenartige Wiederholung der Schutzbehauptung, vor allem der zuständigen Entscheidungsträger in Politik und zuständigen Behörden, man habe es nicht besser wissen können, ist falsch.

Ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat kann es sich – auch im Hinblick auf künftige Krisen – nicht leisten, die Ursachen vermeidbarer gigantischer Folgeschäden ungeklärt zu lassen, notwendige Lernprozesse zu unterbinden und den Schadensverursachern die systemische Verantwortungsflucht zu erlauben.

Millionen Menschen wurden durch die Corona-Politik zumindest psychosozial, wenn nicht schlimmer geschädigt, Stichworte: Grundrechteentzug, Maskenpflicht, Arbeitsplatzverluste, Impfschäden. Sehen Sie rechtliche Möglichkeiten, eine unabhängige Aufarbeitung der Corona-Krise inklusive Haftung der Verantwortlichen durchzusetzen?

Eine juristische Aufarbeitung der Corona-Krise setzt voraus, dass eine umfassende neutrale wissenschaftliche Begutachtung der jeweiligen maßgeblichen Tatsachenfragen erfolgt, zum Beispiel im Rahmen von Beweisaufnahmen laufender verwaltungs-, zivilgerichtlicher Hauptsacheverfahren oder in strafrechtlichen Verfahren unter Einhaltung der einschlägigen prozessualen Vorschriften. Diese Tatsachenklärung kann auch eine unparteiische, interdisziplinär besetzte, hochprofessionelle wissenschaftliche Arbeitsgruppe leisten.

Liegen die derart wissenschaftlich aufgearbeiteten Fakten und die Zeitpunkte ihrer nach objektiven Maßstäben möglichen Erkennbarkeit auf dem Tisch, können die jeweiligen Gerichte eine rechtliche Neubewertung vornehmen. Erst danach kann es zu einer juristischen Abarbeitung von Ansprüchen geschädigter Menschen durch Anwaltschaft und Justiz im Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren kommen.

Sie empfehlen, die Aufarbeitung in die Hände des unabhängigen, kritischen Journalismus zu legen. Die Corona-Krise hat aber gezeigt, dass jede noch so fundierte Recherche der Medien so gut wie keine Wirkungskraft entfaltete, um den Gordischen Knoten zu zerschlagen. Die großen Leitmedien vertraten mehrheitlich die Regierungslinie. Wo sehen Sie hier einen Lösungsansatz?

Die Aufarbeitung sollte nicht nur dort, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen stattfinden. Den wenigen vorhandenen kritischen Medien kommt hierbei eine gewichtige unterstützende Rolle durch Erfüllung ihres Informationsauftrags aus Art. 5 I GG zu.

Hierbei ist zur Kenntnis zu nehmen, dass eine umfassende unparteiische Informationsgewinnung der Bevölkerung über die traditionelle Presse und die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten – dies hat die Corona-Krise eindrucksvoll bewiesen – über diese Sekundärquellen nicht gesichert ist.

Vielmehr ist, wie es vielen Menschen im privaten Bereich vertraut ist, eine eigene Recherche unter Heranziehung verfügbarer Originalquellen und von faktenbasierten Informationsplattformen, die eine differenzierte, verständliche, sachliche Darstellung bieten, vorzunehmen.

Die öffentlich-rechtlichen Medien lehnen nicht nur eine Aufarbeitung, sondern auch Live-Sondersendungen mit einem offenen sachlichen Austausch zwischen Regierungsberatern und kritischen Wissenschaftlern kategorisch ab. Begründung: Das Publikum sei damit überfordert. Wie könnte man ARD, ZDF und Co vom Gegenteil überzeugen?

Diese müssen nicht überzeugt, sondern zunächst grundlegend – insbesondere unter Ausschluss von inhaltlicher und personaler Einflussnahme der Politik – strukturell und personell reformiert werden, damit der verfassungsrechtliche Auftrag aus Artikel 5 I GG zur sachlichen und unabhängigen Information der Bevölkerung erfüllt wird.

Vielfach wird der Politik vorgeworfen, den Wählerwillen zu ignorieren. Haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes es versäumt, so etwas wie eine Reißleine einzubauen?

Aus Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Paragraf 13 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages folgt zunächst, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages als Vertreter des gesamten Volkes in der Ausübung ihres freien Mandats nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, nicht aber an Vorgaben der Parteien, der Fraktionen des Bundestages, bestimmten Wählerinteressen oder an einen Mehrheitswillen gebunden sind.

Das notwendige Korrektiv gegen verfassungswidrige politische Entscheidungen ist in erster Linie ein funktionierender Rechtsstaat und zudem eine freie und sachlich umfassend informierende Presse sowie der rechtzeitige öffentlich sichtbare Widerstand der Bevölkerung im Rahmen der Rechtsordnung.

Der Rechtsstaat wird – innerhalb und außerhalb der Justiz – maßgebend von Menschen getragen, die ungetrübt von persönlichen Interessen, Parteizugehörigkeit, Karrierestreben und oberflächlichen Zeitgeisterscheinungen bereit sind, die durch das Grundgesetz gezogenen roten Linien zwischen Verfassungsmäßigkeit und Verfassungswidrigkeit nicht nur bei Schönwetterlage zu achten, sondern nötigenfalls auch in Krisen gegen innere und äußere Attacken zu verteidigen.

In der Corona-Krise sind diese Linien unter anderem durch die einrichtungsbezogene Nachweispflicht des Paragrafen 20a IfSG a. F., die 2G-Regelungen, Ausgangsbeschränkungen und Schließung von Bildungseinrichtungen vielfach mit dem Ergebnis schwerwiegender Kollateralschäden überschritten worden.

Dies konnte vor allem deshalb geschehen, weil die Mehrheit der Bevölkerung in der Corona-Krise eine gefährliche Sehnsucht nach einem alles umsorgenden Obrigkeitsstaat entwickelt hat.

Der derzeitige Verdrängungsreflex von Politik, Justiz, öffentlich-rechtlichen Medien und bürgerlicher Gesellschaft gegenüber den sichtbar gewordenen Ursachen des Versagens des demokratischen Rechtsstaats in der Corona-Krise wird die daraus erwachsenen Probleme nicht auflösen, sondern nur immer weiter vergrößern.

Die Aufarbeitung der Corona-Krise hat in vielen Bereichen inzwischen begonnen. Ich möchte jeden Leser und jede Leserin ermutigen, nicht auf eine staatliche Aufarbeitung zu warten, sondern sich die Frage zu stellen, was er oder sie für die Aufarbeitung der Corona-Krise konstruktiv tun kann und dies nach den individuellen Möglichkeiten im Rahmen der Rechtsordnung umzusetzen.

Herr Lucenti, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Patrick Reitler.

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews mit Sebastian Lucenti.

Sie finden eine Druckfassung dieses Schriftwechsels mit ergänzenden Fußnoten auch hier als PDF-Datei: „Das Versagen des demokratischen Rechtsstaats in der Corona-Krise“.



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