26 FDP-Politiker fordern Parteispitze zum Verlassen der Ampel auf – Lindner dagegen

Eine „Gruppe engagierter FDP-Mitglieder“ hat die Parteispitze aufgefordert, sich nach anderen Koalitionspartnern umzusehen: „Die FDP verbiegt sich in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit.“ Man dürfe nicht länger „für eine quasireligiöse Ideologie arbeiten“. Parteichef Christian Lindner hält nichts davon.
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Archivbild: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Ampelkoalition trotz sinkender Umfragewerte aufrecht erhalten.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 31. Oktober 2023

FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner will trotz schlechter Umfragewerte und immer stärkerem Rumoren an der Parteibasis weiter an der Ampelkoalition in Berlin festhalten.

Während einer Veranstaltung der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf am Montagabend, 30. Oktober, habe Lindner einer Forderung von Teilen der Parteibasis eine Absage erteilt. Demnach sollte sich die Parteispitze um andere Koalitionspartner bemühen. Das berichtet unter anderen das Nachrichtenportal „ntv“.

Lindner steht weiter fest zur Ampel

Lindner sagte, es sei die Aufgabe der unterschiedlichen Ampelparteien, „permanent auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen“. Er selbst stehe zu den bisherigen Kompromissen und Entscheidungen der Koalition. Und solange das möglich sei, werde er der Ampel die Treue halten, so Lindner laut „ntv“.

Lindner habe weiter erklärt, dass er den Grünen nicht „zum Vorwurf machen“ wolle, dass diese „ein fundamental anderes Gesellschaftsbild“ hätten als er selbst.

Sollte allerdings irgendwann ein Punkt erreicht sein, „an dem vertretbare Kompromisse nicht mehr gefunden werden“ könnten, dann gelte für ihn weiterhin sein Satz von der Bundestagswahl 2017: Es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.

„Zu viel Verteilung, zu viel Sozialpolitik“

Für nicht mehr angemessen halte er allerdings den Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt: „Es ist zu viel Verteilung, es ist zu viel Sozialpolitik, da müssen wir ran“, zitiert ihn das Portal „Finanznachrichten.de“. Er könne den permanenten Ruf einiger Politiker nicht teilen, nach dem der Staat noch mehr öffentliches Geld einsetzen müsse. Er wolle an der Schuldenbremse festhalten.

Zudem warte er gespannt auf einen Bericht des Bundesarbeitsministeriums zum Lohnabstandsgebot, denn Arbeiten müsse sich gegenüber dem Nichtarbeiten in jedem Fall lohnen, so Lindner: „Wir haben dringenden Anlass, unsere Systeme einer Kontrolle zu unterziehen.“ Insbesondere Menschen, die vor einem Einstiegsjob stünden, stellten sich die „Sinnfrage“, ob es sich angesichts teils „zu hoher Sozialleistungen“  für sie überhaupt noch lohne, „40 Stunden an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten“.

Noch kurz nach den verlorenen Landtagswahlen von Bayern und Hessen vor drei Wochen hatte Lindner angekündigt, die Regierungsarbeit kritisch prüfen zu wollen.

Domke: Vorzeitiger Ausstieg „nicht verantwortbar“

Nach Informationen der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa) hält auch René Domke, der FDP-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern, einen vorzeitigen Ausstieg der Bundes-FDP aus der Ampelkoalition für „nicht verantwortbar“. Als Grund habe er am Montag in Schwerin die „multiplen Krisen, die unser Land treffen“, genannt. Grundsätzlich habe er allerdings Verständnis für den Unmut an der Basis gezeigt:

Das Bedürfnis, in der aktuellen Situation voller weltpolitischer Herausforderungen einen Weckruf an den Bund richten zu wollen, kann ich nachvollziehen. Auch in MV wünschen sich viele Mitglieder und Unterstützer, dass die FDP auf Bundesebene noch viel stärker als Stimme der Vernunft wahrgenommen wird und mehr liberale Schwerpunkte setzen kann.“

„Die FDP verbiegt sich in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit“

Anlass für die Stellungnahmen war die Tatsache, dass Teile der FDP-Basis die Existenz ihrer Partei in Gefahr sehen, je länger diese an der Ampelregierung festhält: Vor drei Tagen hatten 26 FDP-Mitglieder die Parteiführung um Christian Lindner in einem offenen Brief aufgefordert, das Regierungsbündnis zu verlassen:

Die FDP verbiegt sich in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit. Genau diese Tatsache wird von den Wählern zu Recht abgestraft“,

ist darin zu lesen. Die „Bild“ hatte als eine der ersten Zeitungen darüber berichtet.

„Nicht für eine quasireligiöse Ideologie arbeiten“

Unter der Schlagzeile „Weckruf Freiheit!“ enthält das Schriftstück sechs Seiten mit Standpunkten, Kritik und Forderungen an den FDP-Bundesvorstand, die -Minister und die Mitglieder der Bundestagsfraktion. Auf Seite sieben findet sich die Liste der Unterzeichner: offensichtlich hauptsächlich Liberale aus der zweiten Reihe, die sich selbst als „Gruppe engagierter FDP-Mitglieder“ beschreiben, „die nicht möchten, dass die FDP im Downfall dieser Regierung zerstört“ werde. Sie alle treibe die „Sorge um Deutschland“ („Weckruf Freiheit!“ als PDF-Datei).

Die FDP-Landtagsabgeordnete Sandy van Baal aus MV, die zu den Unterzeichnern des Brandbriefs gehört, wolle sich „erst auf dem Landesparteitag an diesem Wochenende in Güstrow selbst zu ihren Beweggründen äußern“, meldete die dpa.

Die gemeinsame zentrale Forderung der Mahner: Der Parteivorstand soll sich ernsthaft mit politischen „Alternativen“ auseinandersetzen und „ggfs. nach anderen Koalitionspartnern“ suchen, „die für die Interessen Deutschlands und nicht für eine quasireligiöse Ideologie arbeiten“. In einem Satz: „Die FDP muss ihre Koalitionspartner dringend überdenken.“ Andernfalls laufe man Gefahr, „die FDP und den Liberalismus in Deutschland auf lange Zeit ins Abseits“ zu stellen.

Sorge vor Bedeutungs- und Glaubwürdigkeitsverlust

„Alle Umfragetrends lassen nichts Gutes für die nächsten Wahlen erwarten“, heißt es gleich im ersten Absatz des „Weckrufs“. Schon bei den jüngsten Landtagswahlen hätten FDP-Fraktionen „erhebliche Verluste in Kauf nehmen“ müssen, obwohl diese „für die FDP-Bundespolitik selbst keine Verantwortung“ trügen.

Die Äußerungen von Menschen in den sozialen Netzwerken oder „Gespräche mit Bürgern quer durch die gesamte Republik“ ließen insgesamt längst ein bestimmtes „Meinungsbild“ erkennen: Demnach habe sich die FDP „zum Komplizen einer Politik gemacht“, die mittlerweile von 70 Prozent der Bevölkerung abgelehnt werde.

Die Unterzeichner stellen einen Glaubwürdigkeitsverlust fest: Sie selbst seien öffentlich „lautstark für Dinge“ eingetreten, die sich dann „nicht mit dem späteren Abstimmungsverhalten der Fraktionsmitglieder“ gedeckt hätten. Das sei beispielsweise bei den Themen Atomausstieg und Heizungsgesetz so gewesen. „Mit illiberalen Gesetzen wie dem Hinweisgeberschutzgesetz haben wir uns ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert“, beklagen die Autoren.

Viel Kritik an Ampelpolitik

Harsche Kritik äußern die Unterzeichner auch an den „derzeitigen Weltrettungsphantasien“ und der „schulmeisternde[n] Außenpolitik der Koalitionspartner“, an der „Flickschusterei“ in Sachen Migration, an der „erratischen Wirtschaftspolitik“, an den „Denkverbote[n] zur Kernenergie“, an den „hohe[n] Energiepreisen“, an der „rasant wachsenden Regelungswut und [an] einer immer komplexeren Verwaltung“.

Auch das „überbordende Fürsorgesystem ohne Verpflichtungen“ erweckt den Unmut der Parteispitzenkritiker:

Das gefeierte Bürgergeld lässt alle, die nicht in hochbezahlten Jobs arbeiten, als die Deppen der Nation dastehen. […] Es degradiert die Bürger, die dieses mit ihren Steuern finanzieren, in Wirklichkeit zum gemeinschaftlichen Dukatenesel der Nation.“

Bei all dem werde die Wirtschaft von einer Unsicherheit darüber gelähmt, „was sich die Ampel noch einfallen lassen könnte“.

Zum Abschluss des Papiers erneuern die Unterzeichner den Appell mancher prominenterer Liberaler wie etwa Wolfgang Kubicki, „die Corona-Maßnahmen und deren Wirkung aufzuarbeiten“. Bei den möglichen Konsequenzen aber scheint die FDP-Basis dann doch Angst vor der eigenen Courage zu bekommen: „Dabei sollte es nicht um Schuldzuweisungen gehen, sondern um den wichtigen Effekt der ‚lessons learned‘ für mögliche künftige Ereignisse.“

Nur in BaWü noch sicher über der Hürde

Obwohl Hessen und Bayern nicht ausdrücklich namentlich in dem Brief erwähnt werden, begründen die Autoren ihren Vorstoß auch mit den Ergebnissen der jüngsten Landtagswahlen vom 8. Oktober. Damals hatte es die FDP mit 5,0 Prozent nur äußerst knapp in den Landtag Wiesbaden geschafft, in München flogen die Liberalen mit nur 3,0 Prozent der Stimmen aus dem Maximilianeum.

Auch die aktuellen Umfragen belegen, dass die kritischen FDP-Kommunalpolitiker mit ihrer Analyse den Kern der Sache getroffen haben könnten: Die Liberalen müssten bei sämtlichen „Sonntagsfrage“-Werten um einen Wiedereinzug ins jeweilige Parlament bangen. Nach der jüngsten INSA-Umfrage vom 30. Oktober rutscht die FDP bundesweit auf nur noch 5,5 Prozent ab.

Auch auf Länderebene sieht es mit Ausnahme von Baden-Württemberg nicht viel besser für die FDP aus:

Zum Vergleich: Als die FDP nach der Bundestagswahl 2021 in die Ampelkoalition einzog, hatte das Wahlkampfteam um Christian Lindner zuvor 11,5 Prozent der Stimmen geholt (plus 0,8 Punkte) und war am Ende als viertstärkste Kraft noch vor der AfD (10,3 Prozent, minus 2,3 Punkte) gelandet.



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