Einberufung zur Front: Russlands neues Wehrpflichtgesetz ruft Angst hervor

Dem Militärdienst zu entkommen scheint in Russland sehr schwierig zu sein. Tatsächlich lässt Moskaus neue Maßnahme wenig Zeit für eine Flucht. Es droht eine dritte Welle der Auswanderung russischer Männer.
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Russische Militärkadetten nehmen an einer Probe für die Parade zum Tag des Sieges auf dem Dworzowaja-Platz in Sankt Petersburg teil, 25. April 2023.Foto: Olga Maltseva/AFP via Getty Images
Von 27. April 2023

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Im April hat der Kreml ein neues Gesetz über die Art und Weise der Einberufung von Soldaten verabschiedet. Nach diesem Gesetz müssen die Vorladungen nicht mehr ausgehändigt werden. Es reicht aus, die Namen der Einberufenen in einem Online-System, dem „Gosuslugi“, zu veröffentlichen, und schon ist die Wehrpflicht aktiv. Kein Entkommen, kein Einspruch.

Die Männer vermieden bisher auf jede Art und Weise, dass ihnen der Einberufungsbefehl übergeben wurde. Die Vorladung musste direkt der Person zugestellt werden, an die sie gerichtet ist. Wenn sie nicht anzutreffen war (indem beispielsweise jemand angab, sie sei im Ausland oder anderweitig unterwegs), konnte die Wehrpflicht nicht in Kraft treten.

Das neue System lässt kein solches Schlupfloch. Lokale Menschenrechtsorganisationen wie die Gruppe „Erste Klasse“ raten jungen Männern ausdrücklich, zu fliehen: „Der allgemeine Rat ist, das Land so schnell wie möglich zu verlassen.“

Keine Hintertürchen mehr im System

Nach Angaben des Pentagons liegt die bisherige Zahl der russischen Verluste zwischen 189.500 und 223.000, von denen 35.500 bis 43.000 im Kampf gefallen sind, berichtet die BBC. Daher wirbt die russische Führung ständig freiwillige Soldaten an.

Wenn die Zahl der freiwillig Engagierten jedoch nicht ausreicht, greift die Regierung auf andere Mittel zurück. Im September 2022 kündigte Präsident Wladimir Putin eine „Teilmobilisierung“ an. So mussten alle, denen die Aufforderung an die Front zu gehen zugestellt wurde, dies tun.

Seitdem hat es keine ähnlichen Vorfälle mehr gegeben. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte am 21. April, dass derzeit „von einer weiteren Mobilisierungswelle keine Rede sein kann“.

Von der Einführung des neuen Systems der Online-Vorladung fühlen sich jedoch viele bedroht. Dies ermöglicht die schnellste Mobilisierung an die Front.

Nach dem neuen Gesetz gelten die Vorladungen als zugestellt, sobald sie auf dem Regierungsportal „Gosuslugi“ („Staatliche Dienste“) erscheinen. „Die Vorladung gilt ab dem Moment als zugestellt, in dem sie auf dem persönlichen Internet-Account der wehrpflichtigen Person veröffentlicht wird“, sagte Andrei Kartapolov, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des russischen Parlaments, berichtet BBC.

Was sind die Folgen dieser Art sofortiger „Zustellung“? Ab jenem Moment hat der Wehrpflichtige die Pflicht, beim örtlichen Wehrersatzamt zu erscheinen. Wer nicht weiß, dass er einberufen wurde, oder sich weigert, dem Befehl zu folgen, darf nicht mehr ins Ausland reisen und muss mit einer Reihe von Einschränkungen rechnen. Zum Beispiel dürfen Betroffene keine Immobilien kaufen oder verkaufen, ihr Führerschein wird eingezogen und sie dürfen keine Unternehmen anmelden, berichtet das Portal „Radio Free Europe“. Ukrainischen Quellen zufolge erhalten diejenigen kein Gehalt mehr.

Falls ein russischer Staatsbürger kein Konto auf dem zentralen Gosuslugi-Portal hat, kann die Vorladung per Post zugestellt werden. Diese gilt sieben Tage nachdem sie verschickt wurde, als erfolgreich zugestellt, berichtet eine ukrainische Quelle.

Auf der Flucht vor den „Gosuslugi“

An der russischen Front wird die Zahl der Soldaten immer geringer, allerdings geht es nicht um statistische Zahlen. Nicht zu vergessen ist hier, dass die Soldaten Söhne von Müttern, Ehemänner von Ehefrauen, Väter von Kindern sind. Sie sind auch der Nachbar, der Lehrer, der Ladenbesitzer, der Taxifahrer. Diese Männer werden plötzlich aus ihrem Leben gerissen und müssen, ob sie wollen oder nicht, an die Front.

Viele versuchen, das Land rasch zu verlassen, um diesem Schicksal zu entgehen. Sobald die Online-Vorladung zugestellt wird, hat die betreffende Person keine Möglichkeit mehr, die Grenzen Russlands zu verlassen.

Seit dem Krieg sind zwei große Auswanderungswellen aus Russland zu verzeichnen. In der ersten – im Februar und März 2022 – verließen schätzungsweise 500.000 bis 700.000 Menschen das Land. Bei der zweiten Welle verließ wiederum etwa eine halbe Million Russen das Land (Teilmobilmachung im September). Laut „Spiegel“ kehrten viele von ihnen anschließend zurück. Ursache dafür ist, dass es nicht einfach war, mit einem russischen Pass für einen bestimmten Zeitraum in einem anderen Land zu bleiben.

Viele, die vor dem Krieg fliehen, gehen in benachbarte Länder. Die wichtigsten Ziele sind die Türkei, Georgien und Kasachstan. Auch Finnland ist betroffen, wo bereits ein Grenzzaun gebaut wird, der die Einwanderung verhindern soll. In ihrer Verzweiflung haben viele zu Flügen an jeden verfügbaren Ort gegriffen – dorthin, wo sie noch einreisen durften. Zum Beispiel Istanbul, Dubai, Eriwan, Baku und andere zentralasiatische Städte. Obwohl es kein typisches Ziel ist, steht auch Deutschland auf der Liste.

Asyl in Deutschland

Während die meisten westlichen Länder eindeutig gegen russische Kriegshandlungen sind, steht die Frage im Raum, wie sie mit russischen Flüchtlingen umgehen.

Einem Bericht des ZDF zufolge haben deutsche Gerichte bisher entschieden, dass Kriegsverweigerung und Desertion allein kein Asylgrund in Deutschland sind. Die Bundesregierung hat lediglich zugesagt, Soldaten, die aus der russischen Armee desertieren, ab 2022 Schutz zu gewähren.

Diejenigen, die bisher noch keinen Kampfeinsatz geleistet haben und das auch nicht tun wollen, erhalten nicht automatisch den gleichen Schutz.

Für den 15. Mai 2023, den Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, rufen bereits 30 Organisationen zu Aktionswochen zum Schutz für all diejenigen auf, die in Russland, Belarus und der Ukraine den Kriegsdienst verweigern, berichtet „Flüchtlingsrat Niedersachsen“.

„Angesichts des Krieges in der Ukraine brauchen wir eine klare Zusage der deutschen Bundesregierung und der europäischen Institutionen, dass bei Desertion und ausdrücklich auch bei Militärdienstentziehung in Russland Flüchtlingsschutz garantiert wird“, erklärte Rudi Friedrich vom Netzwerk für Kriegsdienstverweigerer Connection e.V.



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