Schadensbegrenzung: Xi telefoniert mit Selenskyj nach Eklat um Botschafter Lu

Lange hatte Ukraine-Präsident Selenskyj auf ein Telefonat mit Chinas Obersten Führer Xi Jinping gewartet. Nun hat es stattgefunden. Warum gerade jetzt? Zufall? Experten glauben, es geht um Schadensbegrenzung.
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Der chinesische Staatschef Xi Jinping (R) telefonierte am 26. April mit dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj.Foto: AFP, Getty Images. Montage: Epoch Times
Von 27. April 2023

Erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Über ein Jahr hat Selenskyj auf diesen Anruf gewartet. Warum kam er zu diesem Zeitpunkt? Expertenmeinung nach wollte Xi dadurch den Schaden eines diplomatischen Eklats minimieren, einen Schaden, den China-Botschafter Lu Shaye in Paris angerichtet hatte.

Ein „intensives“ Gespräch

China bemüht sich nach eigenen Angaben um eine neutrale Position im Ukraine-Konflikt, was jedoch vom Westen immer wieder in Zweifel gezogen wird. Peking hat den russischen Angriff auf die Ukraine bis heute nicht offiziell verurteilt. Im Februar hatte China einen Zwölf-Punkte-Plan zur Beilegung des Konflikts vorgelegt. Westliche Mächte zweifelten allerdings an einer unparteiischen Vermittlerrolle Chinas. Vor wenigen Wochen trafen sich Xi und Putin in Moskau. International wurde das Treffen als Unterstützung für Russland gewertet.

Doch nun telefonierten Xi und Selenskyj miteinander – zur Überraschung aller Beobachter. Warum gerade jetzt?

Einem Sprecher Selenkyjs zufolge telefonierten der ukrainische Präsident und der chinesische Staatschef am Mittwoch „fast eine Stunde“ miteinander. Das Telefonat sei „lang und intensiv“ gewesen, schrieb Selenskyj später auf Twitter. „Ich glaube, dass das Gespräch, ebenso wie die Ernennung eines ukrainischen Botschafters in China, der Entwicklung der bilateralen Beziehungen einen kräftigen Schub geben wird.“ Seit Februar 2021 war der Posten unbesetzt. Nun schickt Kiew Pawel Ryabikin als neuen Botschafter nach Peking, den bisherigen Minister für strategische Industrien.

Das chinesische Außenministerium kündigte inzwischen an, dass China eine hochrangige Delegation in die Ukraine schicken wolle, um im Ukraine-Konflikt zu einer „politischen Einigung“ zu kommen. Ein Sondergesandter der Regierung für eurasische Fragen werde in die Ukraine und andere Länder entsandt, hieß es.

Brüssel und Washington begrüßen das Telefonat zwischen Selenskyj und Xi. Auch Moskau hob die „Bereitschaft der chinesischen Seite“ hervor, sich für Verhandlungen einzusetzen. Gleichzeitig war Russland dem ukrainischen Präsidenten vor, jegliche Bestrebungen für einen Frieden zu untergraben. „Die ukrainischen Behörden und ihre westlichen Unterstützer haben bereits ihre Fähigkeit gezeigt, jegliche Friedensinitiative kaputtzumachen“, erklärte das russische Außenministerium.

Li Yilin, chinesischer Politikkommentator aus den USA, sagte der chinesischsprachigen Epoch Times, dass Xis Telefonat mit Selenskyj zu diesem Zeitpunkt einen anderen Zweck hätte, nämlich, um die eskalierte China-Europa-Beziehung durch den Eklat um Botschafters Lu zu retten.

Doch was hatte Lu Shaye, der chinesische Botschafter in Frankreich denn angerichtet, dass Xi Jinping zum Hörer griff und mit dem ukrainischen Präsidenten sprach? Es muss mehr als nur ein diplomatischer Fauxpas gewesen sein.

Botschafter Lus Entgleisung in Paris

Am 21. April zeigte sich Botschafter Lu im französischen TV als Stratege der chinesischen Wolfskrieger-Diplomatie. Seine Äußerungen über die ehemaligen Sowjetrepubliken und die Krim werden international immer noch heiß diskutiert.

China schwieg mehrere Tage, bevor am 24. April eine Außensprecherin zurückruderte. Mao Ning, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, erklärte auf einer regelmäßigen Pressekonferenz in Peking: Botschafter Lu Shayes „Erklärung sei keine Grundsatzerklärung, sondern eine persönliche Meinung, die in einer Fernsehdebatte zum Ausdruck gebracht wurde“. China respektiere „die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder und hält die Ziele und Prinzipien der UN-Charta aufrecht“. Man habe nach der Auflösung der Sowjetunion als eines der ersten Länder diplomatische Beziehungen zu den betroffenen Ländern aufgenommen.

China respektiert den Status der ehemaligen Sowjetrepubliken als souveräne Staaten nach der Auflösung der Sowjetunion.“

Die Sprecherin war zuvor von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur „TASS“ nach einem Kommentar zu Lus Äußerungen bezüglich der Krim gefragt worden. Auch diese Frage „umtanzte“ Mao Ning mit diplomatischen Worthülsen. „Wir werden weiterhin mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um unseren eigenen Beitrag zur Erleichterung einer politischen Lösung der Ukraine-Krise zu leisten.“

Hatte der ranghohe KPC-Funktionär – ohne Abstimmung mit Peking – internationale Wellen erzeugt? Die „South China Morning Post“ aus Hongkong schreibt dazu: „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Lu aus eigener Initiative sprach und nicht von Peking als Alpha-Wolfskrieger des chinesischen diplomatischen Korps entfesselt wurde.“

Baltische Empörung über Lus Provokationen

Doch was genau hatte Botschafter Lu beim Interview am 21. April dem französischen TV-Sender „La Chaîne Info“ gesagt? Er hatte die Souveränität von Ex-Sowjetrepubliken wie Estland, Lettland und Litauen infrage gestellt. Nach dem Untergang der kommunistischen UdSSR 1991 hätten die unabhängig gewordenen Republiken „keinen effektiven Status“ im Völkerrecht erhalten. Lu sagte, „weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren Status als souveränes Land zu konkretisieren“. Botschafter Lu hatte auch behauptet, dass die Krim „von Anfang an zu Russland gehört“ habe.

Lus Bemerkungen lösten internationale Empörung aus – vor allem auch bei den baltischen EU- und NATO-Ländern. Lettlands Außenminister hat nach Abstimmung mit Estland und Litauen den Geschäftsträger der chinesischen Botschaft in Riga einbestellt. „Wir erwarten von chinesischer Seite eine Erklärung und eine vollständige Rücknahme dieser Aussage“, forderte Außenminister Edgars Rinkevics. Sein litauischer Amtskollege Gabrielius Landsbergis erklärte auf Twitter„Falls sich irgendjemand immer noch fragt, warum die baltischen Staaten China nicht vertrauen, ‚Frieden in der Ukraine zu vermitteln‘, hier ist ein chinesischer Botschafter, der argumentiert, dass die Krim russisch ist und die Grenzen unserer Länder keine rechtliche Grundlage haben.“

„Die Krim gehört zur Ukraine. Das Sowjetimperium existiert nicht mehr.“

Der ukrainische Botschafter in Paris, Vadym Omelchenko, fragte auf Twitter: „Entweder gibt es offensichtliche Probleme mit der Geografie. Oder solche Aussagen stehen im Widerspruch zur Position der Hauptstadt ‚zu den Bemühungen um eine Rückkehr zum Frieden in der Ukraine auf der Grundlage des Völkerrechts und der Ziele und Grundsätze der UN-Charta‘.“

Omelchenko fügte einen Ausschnitt des Lu-Interviews bei. Der französische Reporter fragte: „Ist die Krim in Ihren Augen die Ukraine?“ Botschafter Lu antwortete: „Es hängt davon ab, wie Sie das Problem wahrnehmen. […] So einfach ist das nicht.“ Lu hatte auch noch gesagt: „Hier gibt es eine Geschichte, in der die Krim ursprünglich Teil Russlands war. Es war Chruschtschow, der der Ukraine während der Zeit der Sowjetunion die Krim anbot.“

Die Testfrage „Wem gehört die Krim?“ sei sehr aufschlussreich, twitterte Omelchenko. Es gebe keinen Raum für Unklarheiten. „Die Krim gehört zur Ukraine. Das Sowjetimperium existiert nicht mehr. Die Geschichte schreitet voran.“

Experten: China wollte West-Allianz spalten

Anfang April besuchte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron China. Während des Besuchs äußerte Macron gegenüber mitreisenden Journalisten Ansichten, die viele Beobachter als PR für das Pekinger Regime deuteten. Er sprach etwa über eine Abspaltung Europas vom China-Kurs der USA bezüglich Taiwan. Chinas Plan schien aufzugehen. Macron bekam viel Kritik zu hören.

Dazu erklärte Yang Zhiheng, außerordentlicher Professor für Diplomatie und internationale Angelegenheiten der Fu Jen Catholic University, Taiwan: „Xi Jinpings diplomatische Strategie dürfte also darin bestehen, die europäischen Länder in der EU und die asiatischen Länder in ihren Beziehungen zu den USA zu spalten.“ Das sei Xis Hauptziel, erklärte Yang Zhiheng gegenüber der Epoch Times.

In Taiwan ist man sich über Chinas Strategie sehr klar, nicht erst seit Corona. Ding Shu-fan, emeritierter Professor der taiwanischen Nationalen Universität Chengchi, bestätigte der chinesischsprachigen Epoch Times: Die allgemeine Richtung der KP Chinas (KPC) bestehe darin, Europa als Gegengewicht zu den USA zu benutzen. Das Regime habe sich dafür mit vielen europäischen Führern getroffen. China wolle Europa dazu ermutigen, eine strategische Autonomie anzunehmen und sich nicht der US-Strategie der Umzingelung Chinas anzuschließen. Professor Ding meinte, jedes Land habe in verschiedenen Aspekten eine andere Position oder eine andere Beziehung zu China. Dies nutze die KPC, um eine Art Spaltung herbeizuführen. Dadurch könne Europa nicht als Ganzes geeint mit China umgehen, warnt der China-Experte.

Hat Botschafter Lu alles vermasselt?

In einem Beitrag für die chinesischsprachige Epoch Times erklärte Yang Wei, ein in den USA lebender Kommentator für aktuelle chinesische Angelegenheiten: „Die Führer der KPC haben viel in den französischen Präsidenten investiert, weil sie vielleicht dachten, dass eine Lücke im westlichen Lager aufgerissen würde. Sie hatten erwartet, dass Frankreich hilft, die chinesisch-europäischen Beziehungen zu erleichtern. Aber Lu Shaye hat es vermasselt.“

Nach Botschafter Lus Interview äußerte Frankreich sofort Solidaritätsbekundungen mit den postsowjetischen Verbündeten. Außenministerin Catherine Colonna erklärte, die betroffenen Staaten hätten „nach jahrzehntelanger Unterdrückung ihre lang ersehnte Unabhängigkeit erlangt“. Man verlangte von China eine Klärung der Angelegenheit. Wie „Le Monde“ berichtet, forderten sogar 80 europäische Parlamentarier in einer Petition von Frankreichs Außenministerin, Botschafter Lu zur Persona non grata, zur unerwünschten Person, zu erklären. Die Folge wäre eine Ausweisung von Botschafter Lu nach China.



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