Enorme Schäden durch Lockdowns: Wissenschaftler fordern Umdenken für künftige Pandemien

Eine Gruppe von Fachleuten analysierte in London die Corona-Maßnahmen. Die Kluft zwischen Besitzenden, Benachteiligten und Unversorgten ist während der Pandemie größer geworden.
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Corona-Krise in Afrika.Foto: Yanick Folly/AFP via Getty Images
Von 1. August 2023

Wie haben sich die zum Teil massiven Beschränkungen während der Corona-Pandemie auf Länder mit niedrigem bis mittlerem Einkommen ausgewirkt? Was bedeutete es dort für die Menschenrechte? Wie sah der öffentliche Diskurs vor dem Hintergrund des politischen Autoritarismus aus? Und wie kann man sich auf kommende Pandemien vorbereiten? Welche Alternativen gibt es?

Dieser ausführliche Themenkatalog stand im Mittelpunkt eines Treffens von 30 Wissenschaftlern, sozialen Aktivisten und Experten auf dem Gebiet der Entwicklung und der globalen Gesundheit. Sie alle kamen am King’s College London (KCL) zusammen. Zu den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMIC) gehören Angola, Argentinien, Bolivien, Kap Verde, Kolumbien, Ghana, Guinea-Bissau, Indien, Kenia, Mosambik, Nicaragua, Nigeria, die Türkei und Vietnam, die jeweils Teilnehmer entsandten.

Kinderarbeit nahm in manchen Ländern wieder zu

Die Teilnehmer bildeten verschiedene Arbeitsgruppen. Eine befasste sich mit den Auswirkungen von Maßnahmen wie Lockdowns auf die Menschenrechte. So habe die Kinderarbeit in manchen Ländern wieder zugenommen. Auch sei die Furcht vor dem Verlust der Freiheit in Staaten mit einst autoritären Regierungen gestiegen.

Die Konsequenz war der Anstieg der Zahl an Demonstrationen für die Freiheit. Die Gruppe untersuchte des Weiteren die Auswirkungen medizinischer und allgemeiner Maßnahmen auf Menschen aller Altersklassen in LMICs.

Fachleute kamen zu dem Schluss, dass die Lockdowns zu „enormen Kollateralschäden“ geführt haben. Daher sei ein Überdenken der Prozesse bei künftigen Pandemien zwingend nötig.

Aus sozioökonomischer Sicht sei festzustellen, dass die Abriegelungen in den meisten LMIC-Ländern mit fragiler Wirtschaft zu immensen Entbehrungen geführt haben. So war es beispielsweise nicht möglich, Verdienstausfälle aufzufangen. Der wirtschaftliche Verlust sei für alle irreparabel gewesen, die von täglichen Aktivitäten und Einkünften abhängig seien.

Die Unterbrechung von Lieferketten „für lebenswichtige, international hergestellte Gesundheitsprodukte“ habe zu deren Verknappung und Verteuerung geführt.

Behandlung von Krankheiten außer COVID-19 entfiel fast völlig

Die Beschränkungen waren vor allem für die ärmeren Menschen fatal. So sei die Kluft zwischen „Besitzenden, Benachteiligten und Unversorgten“ größer geworden. Kindern fehlten soziale Kontakte, und Spiel und Sport waren nicht möglich.

Daher seien sie in ihrer Entwicklung gehemmt worden. Das konnte auch der Online-Unterricht nicht auffangen. Möglichkeiten wie Gruppenarbeit und persönliche Interaktionen fehlten für ein „effektives Lernumfeld und die intellektuelle Entwicklung“.

Wie in anderen Ländern auch entfiel die Versorgung von Menschen mit anderen Krankheiten als COVID-19 fast vollständig. In den nun analysierten Nationen mangelte es daher an der Behandlung von Patienten mit Malaria, Cholera, HIV, Tuberkulose und vielen anderen Erkrankungen.

Auffällig war auch der massive Anstieg ungewollter Schwangerschaften, weil Verhütungsmittel nicht mehr zu bekommen waren.

Als Konsequenz sollten bei künftigen Pandemien unter anderem gesellschaftliche Besonderheiten der einzelnen Länder berücksichtigt werden. Die Arbeitsgruppe forderte außerdem „genaue und ehrliche Informationen und Mitteilungen über die Gründe für etwaige Einschränkungen“. Optionen mit weniger Kollateralschäden müssten stets in Betracht gezogen und nach Möglichkeit durchgesetzt werden. Menschenrechte müssten beachtet werden. Zudem seien öffentliche Diskussionen zu führen, um negative Auswirkungen der Maßnahmen – etwa auf Kinder – zu verhindern. So sei deren psychische Gesundheit künftig zu berücksichtigen.

Internationale Organisationen versagten weitgehend

Eine weitere Gruppe stützte sich auf die Erfahrungen mit der Pandemie in Angola, Kap Verde, Indien und der Türkei. Sie untersuchte die Rolle der internationalen Organisationen bei der Pandemiebekämpfung und welche Lehren daraus gezogen werden können.

Dabei stand vor allem das Agieren der nationalen Regierungen im Mittelpunkt. Die wichtigste Erkenntnis: Eine Pandemie dürfe nicht isoliert nur auf nationaler Ebene betrachtet werden. Sie müsse als ein „globales Ereignis“ verstanden werden. Im Fall der Corona-Pandemie hätten internationale Organisationen „weitgehend versagt“.

Daher sei ein Umdenken bei der Organisation und Finanzierung der globalen Gesundheitsversorgung und Bildung nötig. Künftig müsse auch verhindert werden, dass erneut hunderte Millionen Kinder vom Schulunterricht ausgeschlossen werden. Die Schließung von Schulen sei mittlerweile als eine „katastrophale Fehlentscheidung“ anerkannt.

Justiz und Medien unterstützten drakonische Einschränkungen

In vielen Ländern seien bereits existierende drakonische Gesetze zur Katastrophenbewältigung oder Notstandsregelung herangezogen worden, „um eine übermächtige Zentralmacht zu stärken“. Andere Länder hätten schnell neue Gesetze erlassen, die dem Staat und den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse einräumten, und die Gerichte stimmten dem zu.

Die „drakonischen Maßnahmen“ seien allerdings in allen Teilen der Gesellschaft und vor allem in den oberen Schichten auf große Zustimmung gestoßen. Das habe unter anderem an der intensiven, positiven Berichterstattung der Medien zum Pandemiemanagement gelegen. Hinzugekommen sei der Einsatz der Wissenschaft, mit deren Hilfe die repressiven Maßnahmen der Regierungen legitimiert wurden.

In diesem Zusammenhang habe die „wissenschaftliche Autorität eine religiöse Qualität“ erhalten, die nicht infrage gestellt werden durfte.

Als weiteres Instrument diente die „systematische Diskreditierung von Meinungen“, die nicht zum Mainstream gehören. Alternatives Denken im Zusammenhang mit den Corona-Beschränkungen wurde als „Querdenken“ diffamiert und als Unsinn karikiert.

Maßnahmen künftig begründen und erklären

Ein Sieben-Punkte-Katalog soll einen besseren Umgang bei der nächsten Pandemie ermöglichen. So sollte jede Einschränkung vorher unabhängig begründet und erklärt werden. Diejenigen, die dabei von Kosten unverhältnismäßig stark betroffen sind, seien zu unterstützen und zu entschädigen. Klare Leitlinien in Bezug auf die bürgerlichen Freiheiten und Rechte müsse es im Zusammenhang mit den Einschränkungen geben. Dazu seien Möglichkeiten zu schaffen, sich zu äußern und Beschwerden vorzubringen. Der Sieben-Punkte-Katalog im Detail:

  • Die zentrale Bedeutung öffentlicher Investitionen in die Gesundheitsversorgung – insbesondere in die medizinische Grundversorgung und Infrastruktur – und in die Sozialfürsorge, die in Zeiten der Not ausgeweitet werden muss
  • Verhältnismäßigkeit und Verteilung von Risiken
  • Die zentrale Bedeutung der Menschenrechte sowie des Wissens und der Erfahrung der lokalen Akteure – was die grundsätzliche Beteiligung der Zivilgesellschaft und der zivilgesellschaftlichen Akteure in den LMICs erfordert.
  • Die Bedeutung eines offenen und präzisen Informationsflusses sowohl von den zentralen Behörden zu den regionalen Gebieten als auch von den Regionen zum Zentrum.
  • Die Berücksichtigung von sozioökonomischen Faktoren und sozialen Determinanten von Krankheit.
  • Das Bewusstsein für die Komplexität der Versorgungsketten und die Auswirkungen, die Unterbrechungen auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung haben können.
  • Das Bewusstsein dafür, dass politische Maßnahmen, die Ungleichheit fördern, zugleich auch den Gesundheitszustand verschlechtern.


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