„Feindliche Übernahme“: Neue Regierung in Polen bringt Rundfunk TVP unter Kontrolle

Jahrelang warfen die EU und die linke Opposition in Polen der PiS-Regierung mangelnde Rechtsstaatlichkeit vor. Jetzt säubert die neue Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender TVP – unter Übertretung des Gesetzes und begleitet von tumultartigen Szenen.
PiS-Anhänger treffen am Hauptsitz des staatlichen polnischen Fernsehsenders TVP ein, um gegen die Maßnahmen der neuen EU-freundlichen Regierung zu protestieren.
PiS-Anhänger treffen am Hauptsitz des staatlichen polnischen Fernsehsenders TVP ein, um gegen die Maßnahmen der neuen EU-freundlichen Regierung zu protestieren.Foto: Czarek Sokolowski/AP/dpa
Von 23. Dezember 2023

Am Mittwoch, 20. Dezember, hat die neue Regierung unter Premierminister Donald Tusk in Polen die gesamte Führung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks TVP entlassen. Zusätzlich ordnete sie die unverzügliche Einstellung des Sendebetriebes an. Als ein privater Sicherheitsdienst im Auftrag des neu eingesetzten Generalintendanten die Räumlichkeiten an sich nehmen wollte, kam es zu Handgreiflichkeiten mit Abgeordneten der PiS.

Betroffenen Journalisten zufolge haben die neu eingesetzten Verantwortlichen handstreichartig das Zutrittskontrollsystem manipuliert. Die Folge war, dass einige Mitarbeiter nicht einmal aus der Pause an ihre Arbeitsplätze zurückkehren konnten.

In Polen geltendes Gesetz sah die Vorgehensweise nicht vor

Nach wie vor harren Politiker der früheren Regierungspartei im Gebäude des TVP aus. Die neue Führung hat deshalb Arbeit aus dem Homeoffice angeordnet. Auch Präsident Andrzej Duda spricht von einem „völlig unrechtmäßigen“ Vorgehen und einem Bruch der Verfassung. „Es ist Anarchie, das geltende Recht zu umgehen“, äußerte Duda gegenüber dem Radiosender „Zet“.

Tatsächlich gibt die derzeit in Polen geltende Rechtslage ein Vorgehen wie das von der neuen Regierung gewählte nicht her. Artikel 8 Absatz 2 des für die Nachrichtenagentur PAP und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geltenden Gesetzes bestimmt, dass der Nationale Medienrat Vorstandsmitglieder ernennt oder abberuft. Im konkreten Fall wurde jedoch der PAP-Aufsichtsrat tätig.

Präsident Duda betonte, wer andere Regeln für die Leitung der Medien wolle, müsse zuerst das geltende Gesetz ändern. Der im Auftrag der neuen Linksregierung ernannte Präsident Marek Błoński sieht sich hingegen als legitimer Amtsträger. Er bekräftigte, dass die Beauftragung von externen Unternehmen sein Recht als Präsident von PAP sowie seine Verpflichtung sei. Diese ergebe sich aus der Notwendigkeit, die Sicherheit im Gebäude zu gewährleisten.

Frühere Mitarbeiter von TVP senden bereits von neuer Plattform

Entlassene Mitarbeiter der Fernsehinformationsbehörde TAI und von TVP senden derweil bereits von einer neuen Plattform aus – dem Sender „wPolsce“. In einem Interview nahmen Journalisten zu den Vorkommnissen rund um die Inbesitznahme der öffentlich-rechtlichen Sender durch die neue Führung Stellung.

Marcin Tulicki, der stellvertretende Chef von TAI, geht davon aus, dass das Vorgehen von langer Hand geplant gewesen sei. Die liberalen Medien hätten bereits Wochen im Voraus Racheakte gegenüber missliebigen Journalisten und Staatsbeamten angedroht. Es seien Namenslisten angefertigt worden:

„Das sind insgesamt etwa 150 Personen. Das Ziel ist eindeutig – ein Versuch, die Arbeit der Fernsehinformationsagentur lahmzulegen.“

Sein Kollege Samuel Pereira spricht von einer „geheimdienstlichen Operation“ hinter der Übernahme. Eine Nachrichtenantenne sei abgeschaltet worden, wenig später seien Videos im Internet aufgetaucht, die zeigen, wie Personen gewaltsam in das Büro des TVP-Leiters eindringen. Die Aktion ähnele einer „hybriden Operation nach belarussischen Standards“ – oder „Szenen wie in Ländern der Dritten Welt“.

Warnung: Neue Regierung will „Pluralismus in Polen beseitigen“

In einem offenen Brief hatten bereits im Vorfeld der Aktion Journalisten gegen Ankündigungen einer politischen Säuberung nationaler und regionaler Medien protestiert. Schon in diesem war von „Listen von Journalisten“ die Rede, denen die Ausübung ihres Berufs untersagt werden solle:

„Es ist das erste Mal seit 1989, dass eine solche Situation in Polen eintritt, und sie erinnert an Praktiken, die direkt aus dem Kriegsrecht übernommen wurden.“

Die Verfasser warnen, dass „die politischen Kräfte, die sich als Gewinner der Wahlen fühlen, die bereits in den Medien mächtig sind und alle Bereiche beherrschen“, beabsichtigten, „die Meinungsfreiheit und den Pluralismus in Polen vollständig zu beseitigen“.

Nach 1989 habe es bislang nur einmal Säuberungen dieser Art gegeben – als man Anfang der 2010er-Jahre nach der Smolensk-Katastrophe konservative Journalisten aus dem TVP entlassen habe. Diese hatten Verschwörungserzählungen über einen geplanten Mord am damaligen Regierungschef Lech Kaczyński verbreitet. Dieser war am 10. April 2010 zusammen mit weiteren Delegationsmitgliedern bei einem Flugzeugabsturz gestorben. Antirussische Kräfte in Polen nahmen dies zum Anlass für eine Kampagne.

Regierung kündigt Gespräche mit Duda über Neuordnung von TVP an

Dass in der Zeit der PiS-Regierung öffentlich-rechtliche Medien einseitig berichtet und zum Teil Verschwörungserzählungen verbreitet hätten, wird nun zum Prätext für das Vorgehen. Die neue Regierung hatte die Vorstandschefs und die Aufsichtsräte des Fernsehsenders TVP, des polnischen Radios sowie der Nachrichtenagentur PAP entlassen.

Liberale Zeitungen äußern, TVP sei „kein öffentliches Fernsehen, sondern das Fernsehen von [PiS-Chef] Jarosław Kaczyński“ gewesen. Tusks Kanzleichef Jan Grabiec versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Er rief die PiS-Abgeordneten dazu auf, ihr „aggressives Verhalten“ einzustellen.

Es habe schon ein erstes Gespräch zwischen Tusk und Duda über die Zukunft der Medien gegeben, sagte er. „Die Regierung beabsichtigt, ihre Arbeit an der neuen Ordnung der öffentlichen Medien offen zu gestalten. Die Stimme des Präsidenten wird wichtig sein“, sagte Grabiec nach Angaben des Portals „Onet.pl“.

(Mit Material von dpa)



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