Es brodelt in Frankreich

Der Streit um Frankreichs Rentenreform eskaliert. Die Regierung steckt trotz verabschiedeter Reform in einer Krise.
Titelbild
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.Foto: OLIVIER HOSLET/POOL/AFP via Getty Images
Epoch Times21. März 2023

Die seit Wochen anhaltenden Proteste gegen die Rentenreform sind seit der Verabschiedung des Gesetzes mithilfe eines legalen Verfassungstricks radikaler geworden. Zerstörte Büros von Abgeordneten, ein versperrtes Atomkraftwerk und brennende Mülltonnen zeugen von der Wut vieler Franzosen. Auch unter Politikern wird der Ton heftiger: Präsident Emmanuel Macron wurde von Abgeordneten als „brutaler Caligula“ und „Dreckskerl“ beschimpft.

Macron könnte zufrieden sein, dass er eines seiner wichtigsten politischen Vorhaben nun umgesetzt hat. Doch es ist schon jetzt deutlich, dass er dafür einen „sehr, sehr, sehr hohen politischen Preis“ zahlen wird, wie die Zeitung „Libération“ schreibt. „Macrons Ansehen ist tief beschädigt. In der Öffentlichkeit hat sich der Eindruck festgesetzt, dass er nicht auf die Franzosen hört“, sagt der Meinungsforscher Emmanuel Rivière der AFP.

Die Wut staute sich nach und nach auf

Auch wenn ein Großteil der Bevölkerung das Vorhaben von vornherein abgelehnt hat, braute sich die Wut erst nach und nach zusammen. Die Mitte-Regierung kommunizierte widersprüchlich und nutzte haufenweise Tricks, um ihre Reform durchzuboxen. Sie verpackte die Reform in einem Haushaltstext, verkürzte die Debattenzeit mit einem beschleunigten Verfahren, erwirkte eine Blockabstimmung im Senat.

Unmut herrscht auch in den eigenen Reihen, vor allem wegen des Rückgriffs auf den Verfassungsartikel 49.3. In letzter Minute entschied die Regierung, die Nationalversammlung, in der eine Mehrheit nicht sicher war, gar nicht erst über den Text abstimmen zu lassen. Der „49.3“ gilt längst als autoritäres Herrschaftsinstrument.

Und die Tatsache, dass die Regierung mit nur neun Stimmen an einem Rücktritt vorbeigeschrammt ist, verstärkt den Eindruck, der Präsident sei in den Führungsstil von oben herab zurückgefallen, dem er schon so oft abgeschworen hatte.

Proteste in allen Ecken des Landes

Für die ohnehin schon aufgebrachten Franzosen war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Spontan gingen Menschen in allen Ecken des Landes auf die Straße, forderten die Rücknahme der Reform, den Rücktritt der Regierung, den Rückzug des Präsidenten.

Doch alles drei scheint unwahrscheinlich. Dass Macron nach all dem Ärger der vergangenen Wochen nun plötzlich auf die Reform verzichtet – undenkbar. Es wäre für ihn ein Scheitern, von dem er sich nicht erholen könnte. Immerhin gilt die Reform als wichtigstes Vorhaben seiner zweiten Amtszeit, nachdem aus seinem Versuch, das Rentensystem zu reformieren, schon in seiner ersten Amtszeit nichts geworden ist. Dass er das Handtuch wirft, kommt ohnehin nicht für ihn in Frage.

Macron war als Reformer angetreten, aber ihm hätte klar sein müssen, dass die Rente mit 62 in Frankreich einen ganz besonderen Status hat – es ist eine soziale Errungenschaft, Teil des Nationalstolzes, ein Trumpf mit Blick auf bedeutendere, aber weniger um das Wohl ihrer Einwohner besorgte Großmächte. In einem so säkularen Land wie Frankreich sei die Rente „wie ein kleines Stück Paradies“, das man sich bewahren wolle, meint Rivière.

Falscher Zeitpunkt für die Rentenreform

Die Wut vieler Franzosen richtet sich aber längst nicht nur gegen die Rentenreform. Unsicherheit angesichts steigender Preise und des Ukraine-Krieges, das Gefühl des Abgehängtseins in der Gesellschaft – das 2018/19 die von Gewalt geprägte Gelbwestenkrise bestimmt hat – all dies bricht sich in den jüngsten Protesten Bahn.

„Es war der falsche Moment für diese Reform, die Franzosen waren nicht bereit“, urteilte Macrons Vorgänger François Hollande.

Viel Handlungsspielraum hat Macron nicht mehr. Vermutlich wird er nach einer Schonfrist seine Premierministerin Elisabeth Borne auswechseln und darauf hoffen, dass die Proteste in den kommenden Schulferien abflauen, wie es Frankreich schon oft der Fall war.

Die nächste Präsidentschaftswahl ist erst in vier Jahren, aber bei der Europawahl im kommenden Jahr dürfte sich die Unzufriedenheit mit Macron im Wahlergebnis widerspiegeln. „Wenn eine Partei aus der Krise gestärkt hervorgeht, dann ist es der Rassemblement National (RN)“, sagt der Meinungsforscher Rivière.

Die Fraktionschefin der RN, Marine Le Pen, hat sich während der Debatte auffallend zurückgehalten. Sie hat bereits angekündigt, die Reform im Fall eines Wahlsiegs bei der nächsten Präsidentschaftswahl wieder rückgängig zu machen.

Macron will sich am Mittwoch an seine Landsleute wenden. Dafür hat er sich die Mittagsnachrichten im Fernsehen ausgesucht, deren Publikum im Schnitt schon kurz vor Rente steht. Wenn er die jungen Menschen erreichen möchte, die vor lauter Frust nachts Mülltonnen anzünden und sich mit Sicherheitskräften anlegen, wird er sich vermutlich andere Kanäle suchen müssen. (afp/dpa/dl)



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