Schweden: Rechte und Einwandererpartei gewinnen auf Kosten der Sozialdemokraten

Heute Abend soll das offizielle Endergebnis zu den Reichstagswahlen in Schweden bekanntgegeben werden. Die rechten Schwedendemokraten gelten jetzt schon als die Wahlsieger auf Landesebene. Auf kommunaler Ebene erzielte die Einwandererpartei Nyans bis zu 30 Prozent in Problembezirken.
Jimmie Åkesson ist Vorsitzender der rechtspopulistischen Schwedendemokraten.
Jimmie Åkesson ist Vorsitzender der rechtsgerichteten Schwedendemokraten.Foto: Maja Suslin/TT News Agency via AP/dpa
Von 14. September 2022

Wer nach den Reichstagswahlen am Sonntag (11. September) in Schweden künftig das Land regieren wird, steht nach wie vor noch nicht fest. Nachdem es zu Beginn der Auszählung nach einem knappen Erfolg für den linken Parteienblock unter Führung der Sozialdemokraten ausgesehen hatte, lag zuletzt der konservative Block inklusive der rechten Schwedendemokraten um 0,9 Prozent voran. Ein vorläufiges Endergebnis wird für Mittwoche Abend erwartet.

Noch keine Klarheit über künftige Regierung in Schweden

Mit knapp 30,5 Prozent liegen die Sozialdemokraten unter Ministerpräsidentin Magdalena Andersson bei einem Auszählungsstand von etwa 94 Prozent in Führung. Mit einem Plus von 2,2 Prozent konnte sich die Partei, die über Jahrzehnte der Nachkriegszeit Schwedens Politik im Alleingang dominiert hatte, gegenüber den Wahlen von 2018 sogar ein knappes Plus verbuchen.

Die bürgerliche „Moderate Sammlungsbewegung“ unter Ulf Kristersson verlor zwar 0,8 Prozent und fiel mit 19 Prozent in der Wählergunst auf den dritten Platz zurück. Gelingt es dem bürgerlichen Block mit Zentrumspartei, Christdemokraten und Liberalen jedoch, gemeinsam mit den bislang als nicht koalitionsfähig angesehenen rechten Schwedendemokraten ein Bündnis zu formen, könnte dem Land ein Regierungswechsel bevorstehen.

Derzeit ist von einem hauchdünnen Vorsprung eines möglichen Mitte-Rechts-Bündnisses von einem bis drei Sitzen auszugehen. Es müssen jedoch noch verspätet eingehende Briefwahlstimmen und Stimmen aus dem Ausland ausgezählt werden.

Schwedendemokraten vor allem von jungen männlichen Arbeitern gewählt

Auf nationaler Ebene gelten die Schwedendemokraten unter Jimmie Åkesson als die eigentlichen Sieger der Wahl. Mit einem Ergebnis von mehr als 20,5 Prozent und einem Plus von 3,1 Prozentpunkten legte die Partei um fast 150.000 Stimmen zu und katapultierte sich auf Platz 2.

Die 1988 ursprünglich von Personen aus dem offen neonazistischen Spektrum gegründete Partei hatte sich über die Jahrzehnte zu einer modernen Bewegung gewandelt, die dem Bündnis der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) angehört und sich in Stil und Inhalt an Vorbildern wie der FPÖ orientiert. Seit 2010 ist die Partei konstant im Reichstag vertreten und konnte ihren Stimmenanteil dabei stetig steigern.

Ihre Hochburgen haben die Schwedendemokraten vor allem im Süden des Landes. Vor allem die Sozialdemokraten leiden unter dem wachsenden Zuspruch für die Partei, die hauptsächlich im jüngeren, männlichen Segment der Arbeiterschaft gewählt wird.

Einwandererpartei vom Sohn eines türkischen Provinzbürgermeisters gegründet

Vor allem in Großstädten droht den Sozialdemokraten jedoch auch aus einer anderen Ecke Ungemach: Bei den gleichzeitig mit den Reichstagswahlen stattfindenden Kommunalwahlen verloren sie vor allem in Städten wie Stockholm, Malmö und Göteborg an die erst 2019 gegründete Einwandererpartei „Nyans“ („Nuance“).

Die Partei, die sich an Vorbildern wie der niederländischen Partei „DENK“ orientiert, wurde vom türkischstämmigen Politiker Mikail Yüksel gegründet, der zuvor wegen angeblicher Nähe zur nationalistischen „Idealistenbewegung“, besser bekannt als „Graue Wölfe“, aus der Zentrumspartei ausgeschlossen wurde. Bereits Yüksels Vater war politisch aktiv. Er diente von 1999 bis 2004 als von der MHP nominierter Bürgermeister der Gemeinde Kulu in der türkischen Provinz Konya.

Mit einem Gesamtergebnis von vier Prozent wird es der Partei in Malmö erstmals gelingen, in den Stadtrat einzuziehen. Vor allem setzt sie sich für Belange muslimischer Einwanderer ein. In einzelnen Stimmbezirken, die stark von muslimischer Einwanderung gekennzeichnet sind, waren die Stimmenanteile von Nyans jedoch signifikant höher.

Im Stimmbezirk Rosengård-Zentrum von Malmö kam die Partei als zweitstärkste Kraft auf 30,9 Prozent der Stimmen. Im Bezirk Västra Hisingen, Svarte Mosse von Göteborg kam Nyans auf 25,2 Prozent. In Stockholm-Rinkeby konnte die Einwandererpartei ebenfalls deutlich zulegen. In all diesen Bezirken hatten die Sozialdemokraten in früheren Zeiten stabile absolute Mehrheiten, mittlerweile liegen sie unter 40 Prozent. Die Schwedendemokraten erzielen dort Ergebnisse unter fünf Prozent.

Vorwürfe gegen Jugendämter und Koranverbrennungen mobilisierten Nyans-Wähler

Zu der Mobilisierung zugunsten von Nyans haben Analysten zufolge mehrere Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate beigetragen. Unter anderem habe es in der Einwanderercommunity Unruhe aufgrund von Berichten – unter anderem in türkischen Medien – gegeben. Demnach würden Jugendämter willkürlich Kinder aus islamischen Familien entfernen. Die schwedischen Behörden bezeichneten die Darstellungen als „Fake-News“.

Ein weiterer Trigger seien Provokationen des dänisch-schwedischen Neonazis Rasmus Paludan gewesen. Dessen öffentliche Verbrennungen des Koran hatten in mehreren schwedischen Städten zu Ausschreitungen geführt.

Karin Pihl sieht die Sozialdemokraten längerfristig auf dem Weg zur 20-Prozent-Partei, weil sie zu einer gehobenen Beamtenpartei mutierten, die in der Arbeiterschaft ihre führende Rolle verliere. Jene ohne Migrationshintergrund verliere sie an die Schwedendemokraten, jene mit einem solchen an Parteien wie Nyans.

Der „Teller Report“ zitiert den Politikwissenschaftler Peter Esaiasson, der bereits vor den Wahlen die Partei als „politischen Joker“ bezeichnete, weil ihre Wähler dort lebten, wo keine Meinungsumfragen durchgeführt würden. Die Einwandererpartei könnte zur Stimme eines „neuen Schwedens“ werden, das derzeit im Verborgenen heranwachse, so Esaiasson.



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