Kabul: Sicherheitslage am Flughafen angespannt – Armee gibt Warnschüsse auf Menschen ab

Kanzlerin Merkel hat Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit der Lage in Afghanistan eingeräumt. Unterdessen zeigen Augenzeugenvideos, wie afghanische Spezialkräfte mit Waffengewalt versuchten, die Menschenmassen vom Kabuler Flughafen zurückzuhalten.
Epoch Times21. August 2021

Die Sicherheitslage am Kabuler Flughafen bleibt äußerst angespannt. Der Zugang zum Flughafen sei aufgrund der gefährlichen Lage häufig nicht möglich, teilte das Auswärtige Amt in Berlin am Samstag im Online-Dienst Twitter mit. „Nach unserem Kenntnisstand sind die Gates derzeit geschlossen.“ Auch die Bundeswehr schrieb bei Twitter von einer „momentan sehr schwierigen“ Lage.

Trotz der Situation sei geplant, die Evakuierungen auch am Samstag fortzusetzen, erklärte das Ministerium weiter. Weitere Maschinen der Bundeswehr, die Menschen aus der afghanischen Hauptstadt über die Luftbrücke ins usbekische Taschkent bringen sollen, seien im Einsatz.

Für die gefährliche Rettungsaktion will die Bundeswehr ab Samstag auch Hubschrauber einsetzen. Zwei Helikopter, die „speziell für den Einsatz in Städten geeignet“ sind, seien inzwischen in Kabul gelandet, erklärte das Verteidigungsministerium auf Twitter.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, sprach am Samstag von einer „schwierigen“ und „dynamischen“ Situation insbesondere vor den Toren des Airports. Es gebe deshalb immer wieder Gate-Schließungen. Angesichts der dramatischen Lage seit der Machtübernahme der Taliban wächst die Kritik vor allem an Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte am Samstag, es werde trotz der schwierigen Lage daran gearbeitet, so viele Menschen „wie möglich“ aus Afghanistan in Sicherheit zu bringen. Laut Zorn wurde zur Entspannung der Lage auf dem Flughafen selbst eine deutsche Maschine mit Hilfsgütern wie Wasser und Babynahrung zusammengestellt. Bei Temperaturen von mehr als 30 Grad harren derzeit Tausende Menschen auf dem Flughafen aus.

Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan vor knapp einer Woche, flog die Bundeswehr knapp 2.000 Menschen aus Kabul aus. Am späten Samstagvormittag (MESZ) startete ein weiterer A400M mit acht schutzbedürftigen Personen in Kabul, wie die Bundeswehr per Twitter mitteilte. Es werde „alles getan, so viele Schutzbedürftige wie möglich pro Flug nach Taschkent auszufliegen“.

Wie gefährlich und chaotisch die Lage rund um den Flughafen ist, zeigte sich daran, dass US-Soldaten Hubschrauber einsetzen mussten, um am Freitag 169 Menschen aus der nahen Umgebung sicher zum Flughafen zu bringen. Grund sei eine „große Menschenmenge“ vor dem Flughafen, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby.

Afghanische Spezialkräfte feuern Warnschüsse ab, um Menschenmenge vom Flughafen Kabul zurückzuhalten

Unterdessen zeigen Augenzeugenvideos aus Kabul, wie afghanische Spezialeinheiten Warnschüsse abgegeben, um Menschenmengen am Betreten des Flughafens von Kabul zu hindern. Ein Video vom Mittwoch (18. August) zeigt, wie afghanische Truppen in die Luft und in Richtung Zivilisten, darunter auch Kinder, schießen, um sie vor dem internationalen Flughafen Hamid Karzai zu vertreiben.

Auf dem Weg zum Flughafen war am Freitag ein Deutscher angeschossen worden. Er wurde nicht lebensgefährlich verletzt. Ein weiterer Deutscher erlitt nach ZDF-Informationen in der Nähe des Flughafens leichte Verletzungen.

Bis zu 600 Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte haben die US-Truppen bei der Sicherung des Kabuler Flughafens unterstützt. Generalmajor William Taylor vom US-Militärstab sagte am Dienstag, afghanische Sicherheitskräfte seien auf dem Flugplatz und „unterstützen uns bei der Sicherheit“.

Auf die Frage, ob diese afghanischen Sicherheitskräfte ebenfalls aus Afghanistan evakuiert würden, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby bei der Pressekonferenz, dass die Entscheidung darüber bei ihnen liege. Auf dem Flughafen von Kabul haben sich in dieser Woche riesige Menschenmengen versammelt, da verzweifelte Afghanen nach der Einnahme der Hauptstadt durch die Taliban nach Möglichkeiten suchen, das Land zu verlassen.

Ein NATO-Beamter sagte am Samstag (21. August) gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass etwa 12.000 Ausländer und Afghanen, die für Botschaften und internationale Hilfsorganisationen arbeiten, vom Flughafen Kabul evakuiert worden seien, nachdem die Taliban in die Hauptstadt eingedrungen waren.

Die Taliban haben die Verantwortung für die Unruhen auf dem Flughafen von Kabul zurückgewiesen und erklärt, der Westen hätte einen besseren Plan für die Evakuierung haben können. Nach Angaben von NATO- und Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen und in dessen Umgebung von den Taliban getötet. Dies betraf offenbar Menschen die keine Reisedokumente hatten, und bereits aufgefordert wurden, nach Hause zu gehen.

Unklar blieb derweil, wie genau die künftige Taliban-Führung in Afghanistan aussehen soll. Zu Gesprächen über die Regierungsbildung reiste Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar nach Kabul. Ziel sei die Bildung einer „inklusiven Regierung“, sagte ein Taliban-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Baradar wird als möglicher neuer Regierungschef der Taliban gehandelt.

Beamte der bisherigen Regierung berichteten derweil, sie seien von Taliban-Kämpfern von der Arbeit abgehalten worden. Der Beamte Hamdullah sagte, vor seinem Büro stationierte Taliban-Kämpfer hätten ihm gesagt, er solle „im Fernsehen oder Radio verfolgen, wann ich zur Arbeit zurückkehren soll“.

Mehr als tausend Menschen aus Afghanistan in Ramstein gelandet

Auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz sind hunderte Menschen mit Rettungsflügen aus Afghanistan angekommen. Wie eine Sprecherin des Stützpunkts am Samstag sagte, seien Stand 11.15 Uhr insgesamt elf Maschinen mit rund 1150 Menschen an Bord gelandet. Die Menschen würden in Hangars und Zelten untergebracht und medizinisch versorgt. In Ramstein sollen die Evakuierten auf ihre „Weiterführung“ in die USA warten. Das könne aber „ein paar Tage dauern“.

Am Freitag hatten Deutschland und die USA vereinbart, dass Ramstein als Drehscheibe für Evakuierungen aus der afghanischen Hauptstadt genutzt werden soll, um die Drehscheibe in Katar zu entlasten. Die USA hatten am Freitag mehrere Stunden lang ihre Rettungsflüge von Kabul nach Katar unterbrechen müssen, weil dort die Kapazitäten erschöpft waren.

Ramstein hat laut der Stützpunkt-Sprecherin derzeit Kapazitäten für insgesamt 5.000 Ankömmlinge. Sie würden dort von US-Soldaten, deren Angehörigen sowie Freiwilligen betreut. Auch der Landkreis Kaiserslautern habe Unterstützung angeboten. Laut einer Mitteilung des Stützpunkts auf Facebook sollen die Ankömmlinge aber das Stützpunktgelände nicht verlassen.

Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan vor knapp einer Woche haben die USA laut Präsident Joe Biden 13.000 Menschen – eigene Staatsbürger, Ausländer und afghanische Ortskräfte mit Angehörigen – ausgeflogen. Die Bundeswehr flog bislang knapp 2.000 Menschen aus Kabul in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Von dort werden sie mit Chartermaschinen weiter nach Deutschland gebracht.

Merkel räumt Fehleinschätzungen in Afghanistan ein

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit der Lage in Afghanistan eingeräumt. „Die afghanische Regierung und Armee sind in einem atemberaubenden Tempo kollabiert“, sagte Merkel am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung von CDU und CSU. „Wir haben diese Widerstandskraft stärker eingeschätzt – das gehört zur Wahrheit.“ Die unerwartete Machtübernahme in Afghanistan habe gezeigt, „wie dramatisch sich die Dinge von einem Tag auf den anderen ändern können“.

Derzeit gehe es nun vor allem darum, Menschenleben zu retten und die Gefährdeten außer Landes zu bringen, sagte Merkel. Sie äußerte ihren „tiefen Dank“ an alle Bundeswehrangehörigen, die mit der Evakuierungsmission befasst sind. Die Kanzlerin sprach von einer „extrem schwierigen Mission“ und fügte hinzu: „Wir möchten, dass sie gesund nach Hause kommen.“

Merkel bekräftigte, dass eine kritische Bilanz des langjährigen internationalen Einsatzes in Afghanistan gezogen werden müsse: „Natürlich wird im Anschluss an diese Rettungsmission darüber zu reden sein, was ist geschafft und was ist nicht geschafft in Afghanistan?“

Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll allerdings die Bundesregierung laut eines Medienberichts schon Ende 2020 vor mangelnder Kampfbereitschaft der afghanischen Armee gewarnt haben. Im ersten Quartal dieses Jahres soll der BND diese Einschätzung wiederholt haben, berichtet das Portal „Business Insider“ unter Berufung auf Regierungskreise. Es sei schon immer der präferierte Plan der Taliban gewesen, Kabul kampflos einzunehmen.

Nach Informationen des „Business Insider“ soll der BND seine Falscheinschätzungen zur Lage in Afghanistan am Donnerstag im Bundestag auch damit verteidigt haben, dass es von den Geheimdiensten der USA und auch Großbritanniens vor dem Fall Kabuls ebenfalls keine neuen Informationen oder Warnungen gegeben habe, die vor einer bevorstehenden Offensive der Taliban gewarnt hätten. (afp/reutes/dts/er)



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