Syrien: Bürgerkrieg erschwert Versorgung der Opfer nach Erdbeben

Auch in Syrien ist nach den Erdbeben der vergangenen Wochen von Tausenden Toten und Millionen Bedürftigen auszugehen. Die Hilfe gestaltet sich komplex.
Etwas Wärme: Ein Kind in einem provisorischen Lager für die Überlebenden des Erdbebens im westlichen Umland von Aleppo in Syrien.
Etwas Wärme: Ein Kind in einem provisorischen Lager für die Überlebenden des Erdbebens im westlichen Umland von Aleppo in Syrien.Foto: Juma Mohammad/IMAGESLIVE/ZUMA/dpa
Von 22. Februar 2023

Die Kampfhandlungen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien sind zwar abgeflaut, die jüngsten Erdbeben haben die Not im Land jedoch neuerlich verstärkt. Schon vor der Naturkatastrophe waren im Nordwesten des Landes etwa vier Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Das waren etwa 90 Prozent der dort lebenden Bevölkerung.

Es wird davon ausgegangen, dass in ganz Syrien mehr als acht Millionen Menschen von den Folgen der Erdbeben betroffen sind. Etwa sechs Millionen davon leben in Gebieten wie Aleppo, die von der Regierung kontrolliert und versorgt werden. Auch Latakia, Tartus, Homs und Hama sind stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Erdbeben sollen Zehntausende weitere Familien obdachlos gemacht haben.

Grenzposten beanspruchen Teil der Hilfslieferungen für ihre Organisationen

In den von ihr kontrollierten Gebieten organisiert die Regierung die Versorgung. Es besteht allenthalben Bedarf an medizinischen Gütern und Dienstleistungen, Notunterkünften, Nahrungsmitteln, Waschgelegenheiten, Heizmaterial und psychosozialen Diensten.

Noch komplexer gestaltet sich der Zugang zu Bedürftigen in Regionen, die von Rebellen kontrolliert werden. Wie „Reliefweb“ berichtet, ist der Transport von Hilfsgütern zwischen Regierungsgebieten und dem Nordwesten des Landes schwierig. An den Grenzübergängen beanspruchen einige Parteien die Hälfte der Lieferungen für sich. Zusätzlich erschweren eine schwache Internetverbindung und Schäden am Stromnetz die Hilfsmaßnahmen. Auch der Treibstoff ist knapp. In vielen Gebieten wurden auch Mobilfunknetzstationen beschädigt.

Wasserreservoirs in Erdbebengebieten von Syrien beschädigt

In den von der Regierung kontrollierten Gebieten sind mehrere Hochwassertanks beschädigt und die Erdbeben haben die Wassernetze selbst in Mitleidenschaft gezogen. In Latakia droht ein Stausee ein Wohngebiet zu überfluten. Aufgrund der Verunreinigung des Wassers steigt das Cholera-Risiko, zudem drohen Wundinfektionen und Tetanusfälle in den schlecht versorgten Gesundheitszentren.

Die Erdbeben erzeugten darüber hinaus überfüllte Unterkünfte und eine große Zahl an unbegleiteten Kindern. Auch für ältere und behinderte Menschen fehlt es an Unterstützung. In manchen Unterkünften kommt es zudem zu Gewaltakten und sexueller Belästigung von Frauen.

Während in Aleppo immerhin Säuglingsnahrung in den Sammelunterkünften verfügbar ist, fehlt es in mehreren betroffenen Regionen an Brot. Die Lebensmittelpreise schießen weiter in die Höhe, die Märkte sind beeinträchtigt. Zudem fällt an mehr als 1.000 Schulen der Unterricht aus, weil mindestens 900 beschädigt sind und 170 als Notunterkünfte dienen.

Weißhelme werfen UNO „Verbrechen gegen das syrische Volk“ vor

In den von Rebellen kontrollierten Gebieten ist die Versorgung noch schwieriger. Das „World Food Programme“ (WFP) der UNO hat eigenen Angaben zufolge bis dato 78 Lkw über die Grenzübergänge Bab-al-Hawa und Bab-al-Salam nach Nordwestsyrien gebracht.

In Syrien meldete man einen Mittelbedarf von 150 Millionen US-Dollar an, um sechs Monate lang 800.000 vom Erdbeben betroffene Menschen unterstützen zu können. Allerdings machte das Erdbeben auch zahlreiche Zufahrtsrouten zu den Grenzposten unpassierbar, was die Versorgung zusätzlich erschwert.

Die syrische Regierung hatte der UNO erlaubt, drei Monate lang die Grenzübergänge Bab al-Salama und Al Rai zu nutzen. Allerdings verlaufen die Lieferungen schleppend. Die syrischen „Weißhelme“ werfen den Vereinten Nationen vor, ein „Verbrechen gegen das syrische Volk“ begangen zu haben. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths räumte ein, die Vereinten Nationen hätten „die Menschen im Nordwesten Syriens im Stich gelassen“.

Die Türkei setzt bei der Hilfe für Syrien ebenfalls stärker auf Nichtregierungsorganisationen als auf die UNO. Ankara erlaubt den NGOs, weitere Grenzüberhänge zu benutzen. Für die UNO steht hingegen vor allem der offizielle Übergang Bab al-Hawa zur Verfügung.

Wechselseitiges Misstrauen zwischen Bürgerkriegsparteien in Syrien

Dieser grenzt an die verbliebene syrische Rebellenhochburg Idlib und wird wie die Hälfte der Provinz von Hajat Tahrir al-Scham (HTS) kontrolliert. Die USA stufen diese als Terrororganisation ein. HTS ist ein Zusammenschluss mehrerer islamischer und islamistischer Gruppierungen, von denen einige ihre Wurzeln in Al-Qaida-Gruppen haben.

Weiter östlich teilen sich etwa 30 pro-türkische Gruppierungen die Kontrolle über das Grenzgebiet zwischen Dscharablus und Afrin. Die übrigen Gebiete Nordsyriens stehen demgegenüber unter der faktischen Hoheit der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Diese gelten weiterhin als Verbündete der USA. Die Türkei betrachtet die SDF jedoch ihrerseits als terroristisch, weil der PKK-Ableger YPG dort das Sagen hat.

Viele Hilfsorganisationen misstrauen zudem der Zusage der syrischen Behörden, Hilfsgüter in Rebellengebiete zu schicken, und möchten auch nicht auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen sein. Der Anführer von HTS, Abu Mohammed al-Dscholani, lehnte Hilfe aus dem Regierungsgebiet kategorisch ab. Die pro-türkischen Fraktionen ihrerseits wiesen einen Hilfskonvoi der kurdischen Autonomieverwaltung ab.

USA loben Kirgisistan für Repatriierung von Frauen und Kindern aus IS-Gefangenenlagern

Das Außenministerium der Vereinigten Staaten (U. S. State Department) hat unterdessen jüngst Kirgisistan für eine Repatriierungsvereinbarung mit den SDF gelobt. Die Regierung in Bischkek habe sich in der Vorwoche bereit erklärt, 18 Frauen und 41 Kinder aus den Vertriebenenlagern im Nordosten Syriens zurück ins Land zu holen.

Diese stammen offenbar aus den Gefangenenlagern al-Hol und Roj. Die USA hoffen, mittels der Zurückführung vor allem Frauen und minderjährige Kinder dem Einfluss von Mitgefangenen aus der Terrormiliz IS entziehen zu können. In der Erklärung des Außenministeriums heißt es dazu:

Wir sind Kirgisistan und unseren lokalen Partnern, den Demokratischen Kräften Syriens, dankbar, dass sie mit uns zusammenarbeiten, um die anhaltenden humanitären und sicherheitspolitischen Herausforderungen in den Lagern al-Hol und Roj zu bewältigen. ISIS bleibt eine ständige Bedrohung für die Region, auch für die Tausenden schutzbedürftigen Bewohner dieser Vertriebenenlager, von denen mehr als die Hälfte unter zwölf Jahre alt ist.“

Die rund 10.000 Bewohner der Vertriebenenlager al-Hol und Roj stammen aus mehr als 60 Ländern außerhalb Syriens und des Irak. Die USA appellieren an alle Regierungen, dem Beispiel Kirgisistans zu folgen und eigene Staatsangehörige, insbesondere Frauen und Kinder, zu repatriieren.

(Mit Material von AFP)



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