Das eigentliche Problem: Menschen im Westen wollen die Realität an ihre Werte anpassen

Das Problem sind nicht die Menschen im Osten, sondern fehlender Realitätssinn im Westen – Boris Kalnóky weist die Kritik westdeutscher Medien und Politiker an vermeintlicher Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland und Osteuropa zurück.
Epoch Times13. September 2018

Boris Kalnóky, ein Nachfahre des früheren k.u.k. Außenministers Gustav Sigmund Graf Kálnoky von Kőröspatak und heutiger Ungarn-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“, hat sich auf dem Portal der „Deutschen Welle“ mit dem moralischen Bekehrungseifer westdeutscher Eliten befasst. Insbesondere die kritische Berichterstattung des deutschen Haltungsjournalismus und die Bestrebungen der EU, Ungarn für dessen angebliche Verstöße gegen „europäische Werte“ zu maßregeln, haben Kalnóky dazu veranlasst, Parallelen zu Sachsen zu ziehen.

Der Begriff „Ostdeutsche“, so der Autor, sei inzwischen im deutschen Juste Milieu zu einem ähnlich verächtlichen Begriff geworden wie „Osteuropäer“. Kalnóky schreibt:

Die im Osten, so ist in oder zumindest zwischen den Zeilen zu lesen, sind anders. Und anders, das ist schlecht, denn man muss so sein wie Wessis.“

Die im Osten seien geistig-moralisch zurückgeblieben, dumm oder böse oder beides. Obrigkeitshörig, demokratiefremd, rassistisch, ausländerfeindlich. „Ostdeutsche“ und „Osteuropäer“ müssten noch viel lernen, bis sie so erleuchtet seien wie die Verfasser der jeweiligen Artikel.

Und wahrscheinlich, so deutet Kalnóky den Ursprung des westdeutschen Überlegenheitsgefühls, seien die im Osten deswegen so „hasserfüllt“ (also böse), weil sie ihre „Vergangenheitsbewältigung“ vernachlässigt hätten und geistig irgendwie, irgendwo noch in der kommunistischen oder gar faschistischen Diktatur zuhause wären.

Trotziges Verharren im „falschen Bewusstsein“

Allenfalls werde ihnen zugebilligt, „Ängste“ zu haben, besonders generöse Wertewächter sprechen sogar davon, dass man diese „ernst nehmen“ müsse. Aber im Grunde seien diese Ausdruck eines falschen Bewusstseins, das zu überwinden offenbar eine Bringschuld der Nicht-Wessis ist. Es liegt demnach an ihnen, zu erkennen, dass es in Wahrheit gar kein Problem gäbe außer vielleicht ihre eigenen rassistischen Reflexe.

Kalnóky scheint damit jedoch seine Probleme zu haben. Seine eigenen langjährigen Erfahrungen wollen so gar nicht zu den Deutungen und Narrativen passen, die das kritische Denken aufgeklärter Westdeutscher nahelegt. Die fehlende Bereitschaft, sich das selbst Erlebte von Außenstehenden ohne gleiche Erfahrungen erklären zu lassen, illustriert der Autor mit folgender Beobachtung: 

Ja, die Menschen im früheren Ostblock sind anders aufgewachsen als die im Westen. Sie wussten immer, dass ihre Medien und Politiker lügen, weil sie in einer Diktatur lebten. Ihre Reflexe sind deswegen instinktiv medienskeptisch und regierungskritisch. Es ist das Gegenteil von obrigkeitshörig – man unterstellt der Regierung immer, dass sie die Wahrheit verschleiert, und dass von ihr Gefahr ausgeht.“

Regierungskritische Ressentiments dieser Art sollen übrigens auch die Gründerväter der Vereinigten Staaten geleitet haben. Auch konstitutionellen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts in Europa wird nachgesagt, sie hätten dem Staat einen Misstrauensvorschuss entgegengebracht, den heutige erleuchtete Westdeutsche hingegen zunehmend als moralischen Defekt wahrzunehmen scheinen.

Was noch schlimmer ist: Im Osten betrachtet man unter bestimmten Umständen sogar die Rebellion als Option. Bei Kalnóky liest sich das so:

„Man nimmt es frustriert hin, weil man keinen Ärger will. Das geht so lange gut, wie technisch passabel regiert wird. Wenn aber inkompetent regiert wird – so wie bei der unkontrollierten Einreise von mehreren hunderttausend Menschen aus fremden Ländern und Kulturkreisen, oder wenn wie in der Spätphase des Kommunismus die Wirtschaft kollabiert – dann kann der Unmut so groß werden, dass es zur Explosion kommt.“

Einordnung durch Haltungsjournalisten wird nicht als Service begriffen

Der gemeine Pöbel vermag es nicht einmal zu würdigen, dass es freie, unabhängige und kritische Haltungsjournalisten gibt, die ihm helfen wollen, die ihm in seiner geistigen Beschränktheit nicht immer erkennbare Ratio hinter der Politik der Regierung zu erklären. Da man im Osten immer davon ausgegangen sei, dass man von Politik und Medien nicht korrekt informiert wird, informierte man sich anders, schildert der „Welt“-Korrespondent. Und dabei scheint es geblieben zu sein.

Statt ernst dreinblickenden „Tagesschau“-Kommentatoren im Maßanzug das Einordnen zu überlassen, unterhalte man sich im Osten mit Nachbarn, Freunden oder Freunde von Freunden, und ziehe daraus Rückschlüsse auf die Realität.

Menschen im Osten verstünden die Welt darüber, was in unserem Umfeld passiert, und akzeptierten keine interpretierenden Narrative von ‚denen da oben‘. Das kann schon mal zu den „falschen“ Schlussfolgerungen führen:

„Wenn jemandes Kinder auf dem Schulhof von Migranten drangsaliert, Frauen sexuell belästigt werden, ohne dass daraus ein aktenkundiges Verbrechen wird – bei uns im ‚Osten‘ ist es sofort eine weit und schnell verbreitete Nachricht, auch wenn es in den Medien gar nicht auftaucht. Und wir haben darüber meistens eine sehr klare Meinung, nämlich dass nicht wir das Problem sind, sondern die jeweiligen Migranten – und jene Politiker, die sie ins Land ließen. Das stimmt auch dann, wenn die meisten Migranten ganz nette, normale Menschen sind.“

Eine solche Herangehensweise scheint für Westdeutsche mit richtigem Bewusstsein einer narzisstischen Kränkung gleichzukommen. Sie stellt gleichsam die Wunder der Kulturrevolution von 1968 infrage. Glaubt man dem Narrativ, folgte damals auf Generationen mit dem „Mördergen“ (R. Langhans) ausgestatteter Täter gleichsam im Wege der Spontanmutation ein neuer Mensch.

Weil dieser seine Vergangenheit so gut bewältigte, dass er mit allem Hergebrachten brach, schuf dieser ein Deutschland, das binnen weniger Jahrzehnte vom Volk der Dunkelheit zur Supermacht der Moral aufsteigen konnte. Und „Werte“ waren der Schlüssel dazu.

Dies ist auch Kalnóky offenbar nicht verborgen geblieben, wenn er diagnostiziert:

„Die Westler sehen die Welt im Lichte von Idealen, die ihnen von Lehrern, Politikern und Medien beigebracht wurden. Da geht es nicht um die Realität, sondern als späte Folge der 68er Bewegung, die die Ideenwelt im Westen nachhaltig prägte – um ‚Werte‘. Alle Menschen sind gleich. Vorbehalte gegen Menschen aus anderen Ländern sind Rassismus. Religion ist ein Problem. Stolz und Liebe für das eigene Land ist Nationalismus.“

Pathetisch beschworene „Werte“ zu oft mit kommunistischen Phrasen assoziiert

Das einzige Problem: Die Menschen im Osten bekommen keine leuchtenden Augen, wenn von „Werten“, „Menschenrechten“, „Gleichheit“, „Brüderlichkeit“ oder einer „solidarischen“ Politik die Rede ist. Politik werde trotz dieser klangvollen Begriffe als Kampf um Macht und Interessen begriffen.

Was dem Westler als der Inbegriff des moralisch Guten schlechthin erscheint und ihn vor Ehrfurcht erschaudern lässt, stößt im Osten allen Erziehungsbemühungen zum Trotz weiter auf Argwohn und Skepsis. Kalnóky schildert das so:

Diese Phrasen kennen wir aus den Parolen der kommunistischen Diktatur. Wir wissen, dass sie hohl sind. Die Menschen im Osten interessieren sich für die Realität, die im Westen wollen die Realität an ihre ‚Werte‘ anpassen und erkennen sie deswegen oft gar nicht.“

Aus der Perspektive der Ungarn ist die Reaktion der Ostdeutschen auf Ereignisse wie in Chemnitz hingegen ein Zeichen von Normalität:

„Die Ossis sind normal geblieben, sie sind wie wir. Deswegen haben sie auf die Ermordung eines Bürgers so reagiert wie man bei uns auch reagiert hätte – mit Wut und Unverständnis über die Politik.“

(rw)



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