Zusammenfassung Naher Osten: Bundesregierung hält Abzug der Truppen für falsch, IS ist nicht besiegt
Wie reagiert die Bundesregierung auf die Lage im Nahen Osten? Das Auswärtige Amt machte deutlich, dass die Bundesregierung einen Abzug der ausländischen Truppen aus dem Irak für falsch hielte.

Vor der US-Botschaft im Irak.
Foto: Getty Images
Die Bundesregierung wolle nicht „jemandem etwas aufdrängen“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts und machte deutlich, dass die Bundesregierung einen Abzug der ausländischen Truppen aus dem Irak für falsch hielte. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) sei „bei weitem nicht besiegt, der IS stellt weiter eine ernste Bedrohung dar“. Ein Abzug berge die Gefahr einer erneuten Destabilisierung.
Bekannt ist, dass die Bundeswehr „derzeit alle Möglichkeiten, um wenn nötig die deutschen Soldaten reaktionsschnell zurückholen zu können“, prüft, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin sagte. Die Bundesregierung bemühe sich weiterhin um eine Deeskalation und beobachtet die Sicherheitslage. „Wir warten die Entscheidung der irakischen Regierung ab“, sagte der Sprecher des Verteidigungsressorts.
Zumindest wird die Bundeswehr nicht gegen den Willen der irakischen Regierung in dem Land bleiben: „Wir werden jede Entscheidung mit Blick auf die Anwesenheit ausländischer Soldaten im Irak, die die irakische Regierung trifft, akzeptieren“, sagte Regierungssprecher Seibert.
Viele Telefonate
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bedauerte den weiteren Rückzug Teherans aus dem internationalen Atomabkommen. Angesichts der aktuellen Lage sei die „vollständige Umsetzung“ der Vereinbarung „durch alle jetzt wichtiger denn je für die regionale Stabilität und die globale Sicherheit“, schrieb er Borrell im Kurzbotschaftendienst Twitter.
Sein Sprecher Peter Stano sagte: „Es gibt viel Aktivität, viele Telefonate“. Der EU-Außenbeauftragte hatte am Wochenende den iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif zu einem Besuch in Brüssel eingeladen.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die Nato vor der heutigen Sitzung, die Ausbildungsmission in dem Land zu beenden. „Die NATO-Ausbildungsmission im Irak muss auch in Zukunft unbedingt fortgesetzt werden, denn die irakischen Sicherheitskräfte sind bisher alleine nicht fähig, die schwierige Lage im Land unter Kontrolle zu halten und Stabilität zu gewährleisten“, sagte Asselborn der „Welt“. Sie brauchten deshalb eine gute Ausbildung durch das Bündnis.
Asselborn: „Es wäre ein Fehler, wenn die NATO bei ihrer Sondersitzung am Montag beschließen würde, die Irak-Mission jetzt endgültig zu beenden.“ Nach Asselborns Angaben bildet die NATO mit etwa 500 Mann seit Oktober 2018 vor Ort irakische Sicherheitskräfte aus.
Gleichzeitig wies Luxemburgs Chefdiplomat die Forderung vom Parlament und dem amtierenden Regierungschef des Irak zurück, wonach die Truppen der internationalen Koalition zur Bekämpfung des Islamischen Staats (IS) das Land verlassen sollen: „Es wäre ein schwerer Fehler, wenn Bagdad die etwa 5.000 Amerikaner und die weiteren Kräfte der Anti-IS-Koalition wirklich aus dem Land verbannen sollte. Ich hoffe, es kommt nicht so weit. Denn das wäre dramatisch für die Sicherheitslage des Irak und des Westens, weil sich dann wieder der IS dort breit machen könnte.“
Linke und Grüne für Abzug der Bundeswehr
Mit dem irakischen Parlamentsbeschluss werde „der sogenannten Anti-IS-Koalition die rechtliche Grundlage ihrer militärischen Präsenz im Irak genommen“, erklärte der Linken-Verteidigungsexperte Alexander Neu. Grünen-Chef Robert Habeck forderte ähnliches, die Soldaten müssten daher nach Hause geholt werden, forderte er in Hamburg.
„Die Bundesregierung muss den Einsatz unverzüglich beenden“, dieser sei „nicht mehr rechtskonform“, erklärten auch die Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour und Tobias Lindner. Voraussichtlich am Donnerstag sollen die Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und für Verteidigung zu Sondersitzungen zusammenkommen.
Außenminster Heiko Maas
Außenminister Heiko Maas (SPD) hat vor, „zeitnah ein Gespräch mit dem iranischen Außenminister“ zu führen. Das Auswärtige Amt erklärt: „Informationen, die uns erlauben würden, die völkerrechtliche Begründung der USA für den Angriff nachzuvollziehen, liegen uns derzeit nicht vor“. Er plädiert für ein Treffen der EU-Außenminister in den nächsten Tagen.
Heiko Maas schlug dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell vor, das bislang für den 20. Januar geplante nächste Treffen der Außenminister auf diese Woche vorzuziehen. „Als Europäer haben wir zu allen Seiten bewährte und belastbare Gesprächskanäle, die wir in dieser Situation in vollem Umfang nutzen müssen“ erklärte Maas. Es müsse verhindert werden, dass die „Stabilität und Einheit des Irak“ der jüngsten Eskalation zum Opfer falle.
Maas sagte im Deutschlandfunk, die Ankündigung Teherans, sich nicht mehr an die Begrenzung der Zahl der Zentrifugen für die Urananreicherung zu halten, könne „nicht einfach so achselzuckend“ hingenommen werden. Die Entscheidung stehe „nicht im Einklang mit dem Atomabkommen“. Das Vorgehen könne „der erste Schritt hin ins Ende dieses Abkommens sein, was ein großer Verlust wäre“.
Kanzlerin Merkel berät mit Russland – Moskau will an dem Atomabkommen festhalten
Die Krise dürfte auch ein Thema eines überraschend angesetzten Treffens von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag mit Russlands Präsident Wladimir Putin sein. Dieser hat das Vorgehen der USA verurteilt.
Als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat sei Russland „unverzichtbar“, wenn es um die Lösung politischer Konflikte gehe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, als er die Reise der Kanzlerin am Samstag nach Moskau ankündigte. Von daher sei es naheliegend, dass die Kanzlerin mit Putin „über die derzeit aufgebrochenen Konfliktherde“ spreche. Merkel wird bei dem Besuch vom Außenminister begleitet.
Moskau will an dem Atomabkommen mit dem Iran festhalten. Das Abkommen müsse für alle „Priorität“ bleiben, erklärte das russische Außenministerium. Moskau drängte die europäischen Vertragspartner zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus dem Abkommen. Es müsse „für alle Partner“ Vorrang haben, die Vereinbarungen einzuhalten und ihre Umsetzung sicherzustellen. Deutschland gehört mit den fünf Veto-Mächten des UN-Sicherheitsrats – USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich – zu den Unterzeichnern des 2015 geschlossenen Atomabkommens mit dem Iran.
FDP-Chef Christian Lindner begrüßte das geplante Treffen, forderte aber in Stuttgart generell, „dass Frau Merkel in der Außenpolitik stärker erkennbar wäre“ und dass sie auch „nach Washington fahren würde“.
Scharfe Kritik äußerte die Bundesregierung am Abrücken Irans von weiteren Verpflichtungen aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Land. Dabei geht es besonders um Zentrifugen zur Urananreicherung. „Unser Ziel bleibt, die Vereinbarung zu retten“, sagte gleichwohl der Außenamtssprecher.
Deutsche Industrie
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt derweil vor negativen Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft bei einer weiteren Eskalation im Nahen Osten. „Steigen die Rohölpreise in Folge einer weiteren Eskalation nun dauerhaft weiter an, würde das Heizöl-, Benzin und Dieselkosten auch in Deutschland in die Höhe treiben – und damit Unternehmen wie Verbraucher empfindlich treffen“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier in Berlin.
So würde allein der jüngste Ölpreisanstieg von fünf Prozent seit Ende der vergangenen Woche aufs Jahr gerechnet die deutsche Volkswirtschaft rund zwei Milliarden Euro kosten, so Treier. „Für die deutsche Wirtschaft sind diese Unsicherheiten in der aktuell schwierigen Situation alles andere als ein Konjunkturprogramm.“
Die jüngste Zuspitzung mache wenig Hoffnung, dass sich die Geschäftsperspektiven und Investitionsabsichten deutscher Unternehmen auf der Arabischen Halbinsel und im Nahen Osten bald wieder besserten, sagte Treier. „Hinzu kommen Unsicherheiten mit Blick auf die weltweite Ölversorgung. Trotz schlechter Weltkonjunktur sind die Ölpreise bereits in den letzten drei Monaten kontinuierlich gestiegen.“
Nach DIHK-Angaben brach der deutsch-iranische Handel 2019 ein. Bis Ende Oktober lag das Handelsvolumen bei 1,386 Milliarden Euro – im Vorjahresvergleich war dies ein Rückgang von 51 Prozent. Die deutschen Exporte in den Iran gingen demnach um die Hälfte auf 1,212 Milliarden Euro zurück, die iranischen Exporte nach Deutschland um 56 Prozent auf 174 Millionen Euro. (dpa)
(ks/afp/dpa)
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