38 Minuten lang abgehört: Militärs, eine ungeschützte Leitung, Aufklärung durch MAD verlangt

Eine Audiodatei eines Gesprächs von vier deutschern Offiziere zum Waffensystem Taurus drang an die Öffentlichkeit – sie nutzten die Kommunikationsanwendung Webex. Warum bringt Moskau diesen Mitschnitt gerade jetzt? Sicherheitspolitiker forderten Konsequenzen. Und schnelle Aufklärung durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD).
Bundeskanzler Olaf Scholz hat einer möglichen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine eine Absage erteilt (Archivbild).
Bundeskanzler Olaf Scholz hat einer möglichen Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine eine Absage erteilt.Foto: Bundeswehr/Bundeswehr/dpa
Epoch Times3. März 2024

Der Abhörskandal bei der Luftwaffe soll nach einem Medienbericht darauf zurückzuführen sein, dass für die Schaltkonferenz der betroffenen Offiziere keine geschützte Leitung genutzt wurde. Bei der Konferenz sind vier ranghohe Offiziere der Luftwaffe zu hören, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutieren.

Nach dpa-Informationen ist das Gespräch authentisch, sie hätten über die Kommunikationsanwendung Webex miteinander gesprochen. Die Webex-Sitzung sei wiederum über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden, schrieb die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte der „Bild am Sonntag“: „Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde. Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen.“

Kiesewetter: Hatte ein russischer Teilnehmer Zugang?

Ein russischer Teilnehmer könnte zudem Zugang zu jener Webex-Konferenz der Bundeswehr-Offiziere gehabt haben. Der Vize-Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Roderich Kiesewetter (CDU), sagte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, darauf gebe es Hinweise aus Quellen, „die sich berufsmäßig damit beschäftigen“. Es sei nun zu klären, wie die russischen Spione die Einwahlnummern bekommen hätten.

Seit Freitag kursiert ein rund 38 Minuten langer Mitschnitt, in dem ein Gespräch zwischen vier deutschen Offizieren zu hören sein soll. Verbreitet wurde die Aufnahme von der Chefredakteurin des früher als Russia Today bekannten russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, im Onlinedienst Telegram.

In dem Gespräch geht es um einen möglichen Einsatz von deutschen Taurus-Marschflugkörpern, die eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben, durch ukrainische Streitkräfte und deren mögliche Auswirkungen.

Einschaltung des MAD gefordert

Bundeskanzler Olaf Scholz versprach nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts von Beratungen deutscher Luftwaffen-Offiziere zum Ukraine-Krieg schnelle Aufklärung. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Auf eine Frage der dpa nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“

FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine schnelle Aufklärung durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD). „Der Sachverhalt gehört vom MAD aufgeklärt“, sagte Strack-Zimmermann der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe).

„Die Absicht, dass der Mitschnitt gerade jetzt veröffentlicht wurde, liegt auf der Hand: Russland möchte unter allen Umständen verhindern, dass der Taurus an die Ukraine geliefert wird. Nachdem der Kanzler die Lieferung erneut ausgeschlossen hat, die Gründe für seine Ablehnung aber binnen 24 Stunden von Fachleuten widerlegt worden sind, möchte man ihn offensichtlich davon abschrecken, doch noch grünes Licht zu geben, denn Russland fürchtet den Taurus, eben weil er so wirksam ist“, so Strack-Zimmermann.

„Selbstverständlich muss der Taurus geliefert werden. Ich hoffe sehr, dass das dem Bundeskanzler und seinen Beratern klar geworden ist und sie ihre Naivität endlich ablegen“, fügte die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses hinzu. Deutschland werde von Russland ohnehin längst als Feind betrachtet.

Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hatte am Freitag einen Audiomitschnitt des rund 38-minütigen, möglicherweise abgehörten Gesprächs veröffentlicht.

Das Verteidigungsministerium spricht von einem internen Gespräch von Luftwaffen-Offizieren: „Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen“, sagte eine Ministeriumssprecherin der dpa.

Debatte um: Wären Taurus in der Lage, die Krim-Brücke zu zerstören?

An dem Gespräch nahm unter anderem Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teil. Es soll der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gedient haben. In dem in der Audiodatei dokumentierten Austausch geht es unter anderem um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur Halbinsel Krim zu zerstören.

Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt.

Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Kontext des Einsatzes ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper „ein paar Leute vor Ort“ hätten.

Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde.

„Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, ließ er offen.

Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen.

Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: „Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte.“

Sicherheitspolitiker sind alarmiert

Sicherheitspolitiker forderten Konsequenzen. „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Strack-Zimmermann, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul forderte die Bundesregierung auf, die Vorschriften für den Schutz von Kommunikation nachzuschärfen.

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte: „Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt.“ Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums fordert:„Wir erwarten eine umgehende und umfassende Aufklärung des Sachverhalts durch die Bundesregierung und werden für die kommende Sitzungswoche entsprechende Berichte in den zuständigen Ausschüssen und anderen Gremien beantragen“.

Infrage kommen dafür im Bundestag theoretisch unter anderem der Innenausschuss, der Verteidigungsausschuss und der Auswärtige Ausschuss sowie das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist.

Von Notz selbst ist PKGr-Vorsitzender. Die nächste Sitzungswoche des Bundestags beginnt am 11. März. Von Notz teilte weiter mit: „Schnellstmöglich muss geklärt werden, ob es sich bei diesem Abhörskandal um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt.“ Es werde deutlich, dass es eine „wirkliche Zeitenwende“ bei allen Verfassungsorganen und Sicherheitsbehörden benötige – auch und gerade mit Blick auf den Eigenschutz aller sicherheitsrelevanten Kommunikationen.

Kiesewetter: Moskau will Taurus-Lieferung unterbinden

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem Nachrichtenportal „ZDFHeute“ mit Blick auf die Veröffentlichung: „Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden.“

Auch Strack-Zimmermann sieht als Grund für die Veröffentlichung, dass Russland Bundeskanzler Scholz davon abschrecken will, doch noch grünes Licht für die Lieferung von Taurus zu geben. Sie sagte, Spionage gehöre „zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung“. Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden. „Es war nur eine Frage der Zeit, wann es öffentlich wird.“

Kiesewetter rechnet damit, dass noch etliche andere Gespräche abgehört wurden und gegebenenfalls später im Sinne Russlands geleakt werden. Er vermutet zudem: „Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny.“

Der Kanzler soll sich erklären

Scholz hat mehrfach betont, dass er gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist. Auch innerhalb seiner eigenen Ampel-Koalition ist diese Position umstritten. Der Kanzler begründet sie mit der Gefahr, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn, forderte nun, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Aus seiner Sicht untermauert das angebliche Luftwaffen-Gespräch, dass ein Einsatz von Taurus durch die Ukrainer auch ohne Bundeswehr-Personal vor Ort möglich wäre.

„Wenn der Mitschnitt echt ist, sind die Aussagen des Kanzlers aus dieser Woche nicht nur unangemessen, sondern falsch“, sagte der CSU-Politiker dpa. Minister Pistorius habe sich explizit zum Taurus einschließlich Einsatzmöglichkeiten unterrichten lassen.

„Daher ist es kaum vorstellbar, dass Scholz von dieser militärischen Einschätzung nichts wusste.“ Obwohl er militärisch vorausschauende Planung für durchaus normal halte, sei hier Aufklärung gefordert. „Ich erwarte Bundeskanzler Scholz hierzu im Verteidigungsausschuss.“

(dpa/red)



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