5.000 Euro durch Bürgergeld? So wahrscheinlich ist dieses Szenario

Aufgrund der Haushaltskrise ist das Bürgergeld unter Beschuss geraten. Szenarien gehen durch Medien, wonach Familien durch die Sozialleistung 5.000 Euro und mehr im Monat abkassierten. Bis auf wenige Ausnahmen ist Arbeit jedoch lohnender.
Bei der ersten Stufe zum Jahreswechsel ging es vor allem um die Finanzen. In der zweiten Stufe geht es um die Leistungen zur Integration in den Arbeitsmarkt.
Die Haushaltskrise verschärft die Debatte um das Bürgergeld. Symbolbild.Foto: Carsten Koall/dpa
Von 12. Dezember 2023

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Die Haushaltskrise infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse hat auch die Debatte um das Bürgergeld verschärft. Dieses hatte zu Beginn des Jahres das alte System von „Arbeitslosengeld II“, besser bekannt als „Hartz IV“, ersetzt. Für das kommende Jahr sind Erhöhungen der Regelsätze geplant. Dies stößt auf Widerstand unter anderem bei den Unionsparteien und Wirtschaftsverbänden. Sie befürchten, dass dadurch ein Anreiz geschaffen würde, der Erwerbsarbeit fernzubleiben.

Lebt eine sechsköpfige Familie in Köln tatsächlich besser vom Bürgergeld?

Eine Stütze findet diese Einschätzung in Berichten wie jenen der „Deutschen Handwerks-Zeitung“. Dieser zufolge hätten in Bereichen wie der Gebäudereinigung mehr als zwei Drittel aller Unternehmen erlebt, dass Mitarbeiter mit Verweis auf das Bürgergeld kündigten.

Dazu kommen Beiträge in Medien wie „NIUS“, wonach es möglich sei, durch den Bezug von Bürgergeld Geldsummen von bis zu 5.000 Euro und mehr im Monat einzunehmen. Als Beispiel führt das Portal eine sechsköpfige Familie an, die in Köln angesiedelt sein soll – als einer Stadt von durchschnittlicher Miethöhe.

Das Rechenbeispiel geht von jeweils 506 Euro für Mutter und Vater als Regelsatz aus. Dazu kämen je 471 Euro für zwei Kinder im Alter von 14 und 16 Jahren und je 390 Euro für weitere im Alter von 10 und 12. Die Sätze erscheinen etwas willkürlich angenommen, denn Paare erhalten als Bedarfsgemeinschaft nach derzeitigem Stand jeweils 451 Euro – ab 2024 sollen es 483 werden.

Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren kommen auf einen Regelsatz von 420 Euro, von 6 bis 13 auf 348. Im Jahr 2024 sollen die Sätze auf 390 beziehungsweise 471 steigen. Das würde dem angenommenen Betrag in der Beispielrechnung entsprechen.

Teilhabeleistungen erhöhen bei vielen Kindern den Gesamtbetrag

Das Rechenbeispiel nimmt weiter eine Miete für eine 120-Quadratmeter-Wohnung von 1.409 Euro an – wobei es schwierig sein könnte, ein Objekt in dieser Größenordnung für diese Bedarfsgemeinschaft zu finden. Das Anmieten eines Einfamilienhauses könnte bei einer solchen Haushaltsgröße als realistischer erscheinen.

Die Heizkosten von 160 Euro im Monat könnten sogar etwas zu gering veranschlagt sein, auch wenn deren Entwicklung sich gegenüber 2022 wieder beruhigt hat. Weitere 270 Euro für eine Familienkrankenversicherung und -Pflegeversicherung werden den Empfängern nicht direkt ausbezahlt. Die Rundfunkgebühr von 18,36 Euro wird übernommen, weil sie aus einer gesetzlichen Verpflichtung herrührt.

Was in der Rechnung dazukommt, sind hauptsächlich Leistungen für Kinder, die perspektivisch in der Kindergrundsicherung zusammengefasst werden sollen. Hier kommen Leistungen in Höhe von 65 Euro für alle vier Kinder aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, die Schulbedarf, Klassenfahrten, Sportvereine oder Mittagsverpflegung abdecken sollen. Dafür wurden insgesamt 240 Euro für das Schulessen und 100 Euro für Schulveranstaltungen und Vereinsbeiträge veranschlagt.

Beispielrechnung vergisst Anrechnung von Kindergeld

Für die Beispielfamilie kommt „NIUS“ damit auf eine monatliche Bürgergeldzahlung von 4.996 Euro – in München wäre sogar aufgrund der noch höheren Miete mit 5.601 Euro zu rechnen. Die Angemessenheitsgrenze für sechs Personen, die zur Übernahme der Kosten führt, liegt dort demnach bei 2.014 Euro.

Was die Beispielrechnung vergisst, ist jedoch die Anrechnung der jeweils 250 Euro an Kindergeld, die für jedes der vier genannten Kinder anfiele. Generell ist die Zahl der Privathaushalte mit fünf und mehr Personen in Deutschland seit 1950 drastisch gesunken – von damals 16,1 auf nunmehr 3,8 Prozent.

Die im „NIUS“-Beispiel angeführte Familie würde zudem, sobald beide Elternteile eine Arbeit zum Mindestlohn annehmen, einen zusätzlichen Anspruch auf 613 Euro an Wohngeld erwerben. Unter der Annahme, dass die Elternteile in diesem Fall 2.151 Euro brutto erwerben, blieben etwa 3.400 Euro als Nettoeinkommen. Das Bürgergeld fiele weg, die Gesamteinkünfte durch Erwerbsarbeit zum Mindestlohn wären aufgrund des Wohngeldanspruchs jedoch höher.

Alleinerziehende in teuren Großstädten könnten keinen Vorteil von Erwerbsarbeit haben

Wie nicht nur dieses Beispiel zeigt, tritt es selten auf, dass der Bezug von Bürgergeld zu höheren Einkünften führt als die Aufnahme einer Erwerbsarbeit. Dafür sorgt unter anderem, dass bei Erwerbstätigen keine Anrechnung von Kindergeld stattfindet. Darüber hinaus haben Erwerbstätige, die zu viel verdienen, um Bürgergeld zu erhalten, aber zu wenig, um das Existenzminimum einer gesamten Familie zu sichern, Anspruch auf Wohngeld. Dieses hat zu Beginn des Jahres eine deutliche Erhöhung erfahren.

Auch der „Focus“ hat acht Beispiele durchgerechnet und ist auf ein ähnliches Ergebnis gekommen. Lediglich in Extremfällen kann der Bürgergeldbezug lohnender sein als eine Erwerbstätigkeit zum Mindestlohn. Dies war der Fall im Beispiel von Alleinerziehenden sowie bei Familien mit zwei Kindern und nur einem Mindestlohnverdiener. In Großstädten mit hohen Mieten ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Konstellation auftritt, deutlich höher.

Wer seinen Job kündigt, um Bürgergeld zu beziehen, kann zudem mit Sanktionen von bis zu 30 Prozent der Leistung belegt werden. Außerdem besteht die Pflicht zur Bemühung um einen zumutbaren Job oder eine Weiterbildung. Bürgergeldempfänger zahlen zudem nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein.

Paritätischer Wohlfahrtsverband hält Bürgergeld für zu niedrig

Eigene Rechenbeispiele lassen sich mithilfe von Online-Tools wie dem Bürgergeld-Rechner oder dem Wohngeld-Rechner durchexerzieren.

Das Bürgergeld soll darüber hinaus lediglich ein Existenzminimum absichern. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält es sogar noch für zu niedrig angesetzt, angesichts der nach wie vor hohen Inflation.

Der Sozialverband wirft dem Arbeitsministerium vor, den tatsächlichen Bedarf künstlich kleinzurechnen. Im Juni hieß es vonseiten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dass die Teuerung eigentlich einen Anstieg des Regelsatzes für einen alleinstehenden Erwachsenen von 502 auf 725 Euro rechtfertigen würde.



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