Analyse: Was ist angemessen im Angesicht des Todes?

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Ein Mitarbeiter des Bundestages trägt nach der Abstimmung über vier Gruppenanträge, die unterschiedliche Regelungen zur Sterbehilfe vorsehen, die Stimmzettel zur Auszählung.Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Epoch Times6. November 2015

Berlin (dpa) – Ja, es war eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, frei von Fraktionszwang. Und ja, es ging es um eine Grundsatzentscheidung: Wie geht die Gesellschaft mit dem Tod um?

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) mahnte vor einem Jahr, als sich das Parlament zum ersten Mal mit dem Thema befasste, der Gesetzgeber müsse „seine ganze Sorgfalt“ einerseits auf die Frage richten, wo es zwischen individueller Selbstbestimmung und ärztlicher Verantwortung „Handlungs- und Regelungsbedarf gibt“. Andererseits müsse er entscheiden, ob überhaupt und wenn ja, wie dieser Handlungsbedarf rechtlich überzeugend gelöst werden kann.

Letztlich lief es am Schluss in der Debatte auf diese Frage hinaus: Ist eine Neuregelung überhaupt nötig und wenn ja, was ist angesichts des Todes angemessen? Durchgesetzt hat sich der Gesetzentwurf einer fraktionsübergreifenden Abgeordnetengruppe um Michael Brand und Kerstin Griese, der prominente Unterstützung unter anderem von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte. Die Motivation zu diesem Gesetzentwurf war, „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe von Einzelpersonen, Organisationen oder Vereinen wie dem des früheren Hamburger Senators Roger Kusch zu verhindern.

In diesem Punkt bestand im Bundestag große Einmütigkeit. Allerdings gab und gibt es Zweifel, ob die damit verbundene Strafverschärfung nötig war und der Begriff „geschäftsmäßig“ juristisch eindeutig ist. Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nahm in der Debatte eine juristische Bewertung der Entwürfe vor und stellte bei drei der vier Entwürfe verfassungsmäßige Mängel fest. Speziell beim Entwurf Brand/Griese kritisierte auch sie, dass eben der Begriff „geschäftsmäßig“ nicht belastbar und gerichtsfest ausgelegt werden könne.

Gerade wenn man in einem so sensiblen Bereich wie der Grenze zwischen Leben und Tod juristisch argumentiere, müsse man besonders darauf achten, dass man nicht aufgrund von Unsicherheiten unnötige Prozesse provoziere, sagte die gelernte Juristin und prophezeite: „Es ist sicher, dass jeder der drei Gesetzentwürfe vor Gericht beklagt werden wird.“ Um das neue Gesetz zur Sterbehilfe könnten möglicherweise bald juristische Auseinandersetzungen geführt werden. Kusch jedenfalls erwog bereits rechtliche Schritte gegen ein drohendes Verbot seines Vereins „Sterbehilfe Deutschland“.

Gegner des Brand/Griese-Entwurfs befürchten, dass die Strafverschärfung das Arzt-Patienten-Verhältnis belaste. Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU), Mitinitiator eines konkurrierenden Gesetzentwurfs, kritisierte: „Was wäre das für ein Rechtsstaat, der, um einen Scharlatan zu erwischen, Tausende verantwortungsvoll handelnde Ärzte mit Strafe bedroht.“

Wenn „geschäftsmäßig“ heißt, dass allein schon die Wiederholung staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auslösen könne, bringe dies die Ärzte – besonders Schmerz- und Krebsmediziner – unter erheblichen Druck, egal ob es letztlich zu einem Gerichtsurteil komme oder nicht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ganz von der Hand zu weisen, dass sich Ärzte zurückziehen, was letztlich das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet. „Der Patient wäre in seiner größten existenziellen Not alleine gelassen“, beschwor Hintze die Abgeordneten.

Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, sagte der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Montag), es müsse einen geschützten Raum des Vertrauens zwischen Arzt, Patient, Pflegenden und Angehörigen geben. „In diesem geschützten Raum müssen grundlegende Fragen besprochen und entschieden werden können. Da sollte das Strafrecht möglichst rausgehalten werden.“ Ein solcher – strafrechtsfreier – Raum würde dann die Selbstbestimmung des Menschen in dieser existenziellen Situation nicht mehr einschränken.

Aus Sicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, war die Auseinandersetzung des vergangenen Jahres mit Sterbehilfe und Sterbebegleitung „gesellschaftlich nötig und auch hilfreich“. Viele Menschen hätten sich erstmals in ihrem Leben mit diesen Fragen auseinandergesetzt. „Und das war gut so. Denn es erleichtert schwierige Entscheidungen, wenn es dann für jeden mal so weit ist.“



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