Habeck will Wohlstand der Deutschen neu definieren

Lässt sich Wohlstand einer Gesellschaft daran messen, wie viele Windräder gebaut wurden, wie hoch der Nitratgehalt im Grundwasser ist oder wie viele Schulabgänger es gibt? Wirtschaftsminister Habeck versucht sich an der Zahlenakrobatik. Für den deutschen Wohlstand wird es bald ein neues Kapitel geben.
Titelbild
Windräder drehen sich in einem Windpark östlich von Parchim, Mecklenburg-Vorpommern.Foto: Jens Büttner/dpa
Von 13. Januar 2023

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Der Kühlschrank ist voll. Der Weg zum nächsten Supermarkt dauert nur wenige Gehminuten und der Lieblingshausarzt ist schnell mit dem Auto erreichbar. Alles Anzeichen einer hohen Lebensqualität? Wohlstand zu definieren, ist in der Tat kein leichtes Unterfangen. Sie zu messen, grenzt ans Unmachbare.

Doch genau das nimmt sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun vor: Er will den Wohlstand der Deutschen ganzheitlich erfassen, und zwar mit ganz neuen Indikatoren. 34 Ideen dazu hat er zu Papier gebracht. Denen widmet Habeck ein Sonderkapitel im Entwurf des diesjährigen Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung. Demnach sollen ökologische sowie soziale Aspekte den Wohlstand künftig mitdefinieren.

Bisher hat die Zauberformel geheißen: Wirtschaftswachstum gleich Wohlstand. Als wichtiger Maßstab gilt dabei das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es erfasst den Gesamtwert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Land, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, produziert wurden. Ein wachsendes BIP ist Ausdruck des steigenden Wohlstands, so die Devise.

So versteht Habeck Wohlstand

Für Wirtschaftsminister Habeck ist diese Form der Wohlstandsmessung nicht mehr haltbar. „Die individuelle und damit auch die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt hängen von weit mehr als nur den wirtschaftlichen Rahmendaten ab“, heißt es in dem Berichtsentwurf, der dem „Handelsblatt“ vorliegt.

Kritik am Wachstumskonzept gibt es seit Jahren reichlich. So sagt das BIP nichts darüber aus, wie die Einkommensverteilung ist. Die Ressourcen seien zudem nicht unendlich, das Wachstum habe Grenzen. Auch bleiben Aktivitäten, die nicht über Märkte laufen, aber zum Wohlstand einer Gesellschaft beitragen, unberücksichtigt, wie etwa unbezahlte Arbeit, Nachbarschaftshilfe, Hausarbeit und so weiter.

Um den Wohlstand in Deutschland zu ermitteln, brauche es laut Habeck Indikatoren, die über den „zentrierten Wachstumsgedanken“ hinausgingen. Zu den neuen Größen zählen unter anderem Einkommensunterschiede zwischen Osten und Westen sowie zwischen Norden und Süden; Anzahl der Schulabgänger; Anzahl ausländischer Beschäftigter; Arbeitsproduktivität; Forschungs- sowie Investitionsausgaben.

Klimaziele gehörten ebenfalls zu den Schlüsselindikatoren für Wohlstand. Darunter fallen Aspekte wie der Nitratgehalt im Grundwasser, Ausbau von Windkraftanlagen oder Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Alle diese Größen zu ermitteln und zusammenzubringen, gleicht einer Zahlenakrobatik.

Eine gemischte Bilanz

Das Wirtschaftsministerium gibt aus den bisher gesammelten Daten ein gemischtes Bild für den deutschen Wohlstand ab: Die Einkommen der Deutschen seien gewachsen, es wurde mehr in Forschung investiert und die Anzahl der ausländischen Beschäftigten steigt. Die Klimaziele wurden hingegen weit verfehlt, der Wohlstand sei sehr ungleich verteilt und die Wirtschaftsdynamik gering.

Abgesehen davon, dass einige Indikatoren sich gar nicht direkt messen lassen, ist zu hinterfragen, wie die einzelnen Faktoren gewichtet wurden. Kritiker sind der Meinung, dass eine subjektive Beeinflussung hierbei kaum vermeidbar sei. Die Frage nach der ‚realen‘ Wohlfahrt eines Landes könne „vermutlich niemals ‚objektiv‘ beantwortet werden“, so die Wirtschaftswissenschaftler Peter Michael von der Lippe und Claus Christian Breuer in ihrer häufig zitierten Analyse.

Politische Agenda hinter dem Zahlenspiel?

Zugegeben, Ende des 19. Jahrhunderts, im Zuge der Industrialisierung, hatte die wachsende Wirtschaftsleistung einen nicht zu leugnenden Effekt auf die Lebensbedingungen der Deutschen. So wurden Wirtschaftswachstum und Wohlstand zum untrennbaren Paar. Das vielschichtige Phänomen des Wohlstands wirkte fassbarer zu sein.

Die Gesellschaft heute erscheint zunehmend komplexer, die Wirtschaftsstruktur immer undurchsichtiger. Die Bedürfnisse der Menschen beschränken sich nicht mehr allein auf Essen, Wohnraum und Kleidung. Die Digitalisierung ist in nahezu alle Lebensbereiche eingedrungen und beeinflusst, wie Menschen miteinander interagieren und wie sie die Welt wahrnehmen.

Und auch wenn Wohlstand vom Kollektiven abhängt, ist er dennoch eine persönliche Erfahrung. So sprechen viele Menschen vom inneren Reichtum. Weisheiten wie, „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat“ vom chinesischen Philosophen Laotse, werden für einige zur Lebensphilosophie. Auch andere Konzepte wie „Zeitwohlstand“ oder „spiritueller Wohlstand“ etwa von Buchautorin Vivian Dittmar, bahnen sich gleichfalls ihren Weg in die Gesellschaft. Alle diese Umstände machen es nicht einfacher, das Konstrukt des Wohlstands zu erfassen.

Der Versuch, etwas zu messen, das objektiv nicht messbar ist, bleibt höchst fraglich. Wirtschaftsminister Habeck kann sich kaum der Kritik entziehen, mit dem Zahlenspiel eine politische Agenda vorantreiben zu wollen. Von der Lippe und Breuer brachten es auf den Punkt:

Großzügig darüber zu entscheiden, was andere oder die Gesellschaft insgesamt wünschenswert finden sollen, ist kennzeichnend für bestimmte Regierungsformen und kann keinesfalls das Geschäft des Statistikers sein.“



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