Haldenwang: Auch legale Meinungsäußerungen können für Verfassungsschutz von Belang sein

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat in einem Gastbeitrag Kritik an seiner Einrichtung zurückgewiesen. Man sei „kein Regierungsschutz“ – gleichzeitig könnten aber auch legale Meinungsäußerungen verfassungsschutzrelevant sein.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz.Foto: Oliver Berg/dpa
Von 4. April 2024

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat sich in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) gegen Kritik an seiner Behörde verwahrt. Er wies insbesondere Vorwürfe zurück, der Verfassungsschutz in Deutschland sei ein „Regierungsschutz“ oder eine „Gesinnungspolizei“.

Haldenwang klagt darin über die von ihm wahrgenommene Infragestellung der Arbeit seiner Behörde und über Vorwürfe, sich politisch instrumentalisieren zu lassen. Unter anderem Haldenwangs eigener Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgeworfen, das Amt „zur Beobachtung von Regierungsgegnern“ zu missbrauchen.

Tatsächlich hatte der Verfassungsschutz damit begonnen, Informationen über seinen ehemaligen Präsidenten zu speichern. Dies hatte Maaßen, der Anfang des Jahres die WerteUnion als Partei gegründet hatte, im Zuge eines Auskunftsersuchens in Erfahrung gebracht. Offenbar betrachtet die Behörde Maaßen mittlerweile als Beobachtungsobjekt.

Es ist nicht der erste Verdacht eines politischen Missbrauchs des Verfassungsschutzes, der sich gegen Ministerin Faeser richtete. Bereits im Zusammenhang mit deren Vorgehen im Fall des versetzten BSI-Chefs Arne Schönbohm waren Fragen aufgetaucht. So soll die Ministerin den Inlandsgeheimdienst noch nach der Entscheidung damit beauftragt haben, belastendes Material gegen diesen zu suchen.

Verfassungsfeindlichkeit muss nicht mit strafbaren Handlungen einhergehen

Haldenwang wies diese Behauptung im Innenausschuss des Bundestages zurück. Einen solchen Auftrag hätte er, so der Verfassungsschutzpräsident, seiner Rechtswidrigkeit wegen auch nicht befolgt.

Der Verfassungsschutzpräsident äußerte in seinem FAZ-Beitrag: In Deutschland „herrscht Meinungsfreiheit – und das ist gut so“. Dennoch habe jedoch auch diese „Grenzen“. Diese ziehe im äußersten Bereich das Strafrecht. Ein Blick in Artikel 5 des Grundgesetzes zeigt, dass er damit geltendes Verfassungsrecht beschrieben hat.

Für Irritationen sorgte anschließend jedoch die Aussage, dass Meinungsäußerungen „auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität“ verfassungsschutzrechtlich von Belang sein können. Dies gelte dann, wenn „diese etwa Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen“.

Haldenwang: Meinungsfreiheit sei „kein Freibrief“

Die Aussage erinnerte manche Kommentatoren an jüngste Ankündigungen aus der Bundesregierung. So hatten Innenministerin Faeser und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) angedeutet, gegen „Hassrede“ auch dann vorgehen zu wollen, wenn diese „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ liege. Dazu wolle man „Gesetze überprüfen und bei Bedarf auch nachjustieren“.

„Welt“-Chefkommentator Jacques Schuster beschuldigte Haldenwang, seine Kompetenzen zu überschreiten. Andernorts wird seine Warnung vor „verbaler und mentaler Grenzverschiebung“ ebenso in den Kontext der Vorstöße der Bundesregierung gegen „Hassrede“ gestellt.

Haldenwang selbst äußerte, die Meinungsfreiheit sei „kein Freibrief, sich der – gerichtlich kontrollierten – verfassungsschutzrechtlichen Beobachtung und Bewertung entziehen zu können“. Voraussetzung dafür, dass diese greife, sei, dass „tatsächliche Anhaltspunkte etwa für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen“.

Der Verfassungsschutz sei „politisch neutral, aber nicht denen gegenüber, die gegen unsere freiheitliche Demokratie agieren und agitieren“. In diesem Sinne gehöre das Aufklären der Bevölkerung über extremistische Bestrebungen zum „Bestandteil des gesetzlichen Auftrags, um schon unterhalb von Verboten eine informierte politische Auseinandersetzung zu ermöglichen“.

Wo hört autoritärer Paternalismus auf – und wo fängt Verfassungsfeindlichkeit an?

Eine grundlegende Problematik in der Arbeit des Verfassungsschutzes liegt darin, zu unterscheiden, wo politische Bestrebungen ihre – möglicherweise radikalen – Ziele innerhalb des Spannungsfeldes verfassungsrechtlicher Vorgaben verfolgen und wo sie diese selbst infrage stellen. Der Inlandsgeheimdienst hat dort einen Auftrag, Informationen zu sammeln und auszuwerten, wo es tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) gibt.

Dabei geht es insbesondere um deren Kernbereiche. Dies sind jene, die in Paragraf 4 Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes genannt sind. Zu diesen gehören beispielsweise die Grundsätze der Gewaltenteilung, das demokratische Prinzip oder die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

Das erklärt beispielsweise, warum sich der Verfassungsschutz nicht zuständig sieht für Bemühungen, die Schuldenbremse aus dem Grundgesetz zu streichen. Auch eine radikale Klimapolitik, die auf Kosten des Wohlstands geht, oder eine paternalistische Auffassung von Neutralität, die religiöse Symbole im öffentlichen Dienst untersagt, ist noch kein verfassungsschutzrelevantes Thema.

In den genannten Fällen geht es immer noch um eine Auflösung des verfassungsmäßigen Spannungsverhältnisses zwischen Individualrechten und Staatszielbestimmungen – wie etwa dem Umweltschutz. Je mehr Staatszielbestimmungen eine Verfassung kennt, umso größer sind die Eingriffsoptionen in Individualrechte. Am Ende müssen hier jedoch die Wähler und notfalls das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob der Ermessensspielraum eingehalten wurde.

Kernbereich der fdGO bleibt der Maßstab

Für den Verfassungsschutz relevant sind hingegen Bemühungen, bestimmte durch Grundgesetz geschützte Rechte generell oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen auszuhebeln. Deshalb sieht der Verfassungsschutz etwa auch Personen oder Gruppierungen als Beobachtungsobjekte, die etwa Muslimen generell das Recht auf Glaubensfreiheit vorenthalten wollen.

Ähnliches gilt für Linksextremisten, die eine „herrschaftsfreie“ oder „klassenlose“ Gesellschaft anstreben. Um diese zu erreichen, ist eigenen Angaben zufolge eine gewaltsame Revolution zum Sturz der „Bourgeoisie“ und des „Kapitalismus“ erforderlich. Dies richtet sich jedoch gegen den Kernbereich der fdGO, weil mit der Umsetzung der Idee ein Ende in Paragraf 4 Absatz 2B VerfSchG genannter Garantien einherginge.

Entsprechend sind Haldenwangs Aussagen, seine Behörde habe einen Beobachtungsauftrag gegenüber bestimmten Bestrebungen, auch wenn diese noch keine strafbaren Handlungen setzen, sachlich zutreffend. Auch bieten die gesetzlichen Vorgaben einen gewissen Schutz vor Willkür in der Beurteilung durch den Inlandsgeheimdienst.

Erwähnung und Stellungnahmen können Grundrechte beeinträchtigen

Der Verfassungsschutz hat keine exekutiven Befugnisse – und das ist bewusst so gewollt. Allerdings hat sein Handeln faktische Konsequenzen, die in empfindlicher Weise die Grundrechte von Bürgern berühren können. Dies hat das Bundesverfassungsgericht 2005 in seinem „Junge-Freiheit-Urteil“ deutlich gemacht.

Neben der Stigmatisierungswirkung einer namentlichen Erwähnung im Verfassungsschutzbericht kann dessen Arbeit auch das berufliche Fortkommen von Menschen beeinträchtigen. Das gilt insbesondere dort, wo der Inlandsgeheimdienst an Sicherheitsüberprüfungen teilnimmt.

Auch zwei in jüngerer Zeit ergangene Urteile zu einer Burschenschaft in Erlangen und einem MLPD-Frauenverband haben die diesbezügliche Rechtsprechung noch einmal die Maßstäbe präzisiert. Demzufolge muss der Dienst auch bei seiner Bewertung „politisch-weltanschaulich neutral“ und „sachlich“ bleiben. Es sei eine explizite gesetzliche Regelung erforderlich. Und es müsse auch eindeutig klargestellt sein, wenn es sich nur um einen „Verdachtsfall“ für eine extremistische Bestrebung handele.

Insgesamt dürfe, so die Gerichte, eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht „nicht unverhältnismäßig“ sein. Erkenntnisse müssten „belastbar“ sein, einzelne isolierte Tatbestände reichten nicht aus – ebenso wenig bloße Kontakte oder Verflechtungen zu extremistischen Bestrebungen. Auch begründe bloße Kritik am Grundgesetz keine extremistische Ausrichtung. Es müsse vielmehr eine „aktiv-kämpferische Haltung“ vorliegen, die darauf abziele, die fdGO zu beseitigen. Die Gewaltschwelle müsse dabei jedoch nicht überschritten sein.

Gesetz setzt Willkür des Verfassungsschutzes Grenzen – Weisungsrecht bindet ihn an Narrative

Eine politische Instrumentalisierung als solche ist dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen. Immerhin ist, wie der Historiker Constantin Goschler feststellt, der Präsident des Verfassungsschutzes eine prägende Persönlichkeit. Dieser habe „dort eine große Autorität innerhalb des Hauses und kann den Kurs sehr stark bestimmen“.

Beim Übergang von Maaßen zu Haldenwang habe der Fokus von religiös begründetem Extremismus („Islamismus“) hin zu Rechtsextremismus und Antisemitismus gewechselt. Der Präsident kann auch organisatorisch Veränderungen vornehmen – etwa Abteilungen vergrößern oder verkleinern oder Ressourcen umschichten.

Vor allem aber ist der Verfassungsschutz dem Innenminister unterstellt. Damit geht auch ein Weisungsrecht einher und vor allem eine faktische Bindung an regierungsamtliche Narrative. Andernfalls hätte diese selbst ein potenzielles Beobachtungsobjekt abgegeben, als sie im Zuge der Ukraine-Krise Partei für den sogenannten Euromaidan ergriff und auf außenpolitischen Konfrontationskurs zu Russland ging.

Immerhin schreibt das Gesetz dem Verfassungsschutz vor, auch Bestrebungen „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ oder „gegen das friedliche Zusammenleben der Völker“ zu überwachen. Tatsächlich waren an dem damaligen Putschgeschehen Gruppierungen beteiligt und haben in weiterer Folge Einfluss gewonnen, die mit Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes in Deutschland selbst eng verbunden waren.



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