Hat Deutschland noch eine soziale Marktwirtschaft?

Für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und eigener Verantwortung wäre eine Marktwirtschaft gut. Doch der Staat greift immer öfter in die Wirtschaft ein. Ein Kommentar.
Hat Deutschland noch eine soziale Marktwirtschaft?
Auch im Wohnungsbau legt der Staat ständig neue Regeln fest. Ist das schon Planwirtschaft?Foto: iStock
Von 15. August 2022

Soziale Marktwirtschaft setzt den Rahmen für offenen und fairen Wettbewerb und ist damit die Basis einer innovationsgetriebenen stabilen wirtschaftlichen Entwicklung.

Ganz wesentlich ist dabei die Teilhabe aller – und zwar sowohl am gemeinsam erwirtschafteten Erfolg durch sozialen Ausgleich, aber mindestens genauso durch die Motivation und den eigenen Beitrag zum Erfolg. Die Soziale Marktwirtschaft (SMW) ermöglicht den Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und eigener Verantwortung.

Um zu beurteilen, ob die Marktwirtschaft derzeit in Deutschland wirtschaftspolitisch konsequent umgesetzt wird, ist eine Betrachtung ausgewählter konstituierender und regulierender Prinzipien der Wettbewerbsordnung nach Walter Eucken nötig. Diese Prinzipien sind die Basis für eine funktionierende SMW.

Stabile Währung

Eine stabile Währung ist elementar. Derzeit wird diese sowohl durch die hohe Inflation als auch den gesunkenen Wechselkurs des Euro gefährdet. Dabei erfasst der Verbraucherpreisindex als Standardmessgröße nur die Preisentwicklung von Gütern privater Haushalte.

Die Betrachtung der Preise von Gold, Immobilien und Aktien zeigte jedoch auch vor dem jetzigen Anstieg des Verbraucherpreisindex eine sehr deutliche Inflation. Gut für alle, die überwiegend Sachwerte ihr Eigen nennen und für diejenigen, die keine Ersparnisse haben. Schlecht für die Mitte der Gesellschaft, die versucht, durch Sparen von Geld und „sicheren“ Anleihen vorzusorgen.

Die ersten Auswirkungen der Sachwertinflation treffen den Konsumenten in Form steigender Mieten. Die Staatsverschuldung, auch die coronabedingte, hat mit zur Inflation beigetragen und sollte entsprechend verantwortungsbewusst gemäß den Regeln der Schuldenbremse wieder zurückgeführt werden.

Funktionierendes Preissystem und Vertragsfreiheit

Die Reaktion des Staates auf den Nachfrageüberhang im Wohnungsmarkt verletzt zwei weitere konstituierende Prinzipien, das funktionierende Preissystem und die Vertragsfreiheit. Die Mietpreisbremse reflektiert Not und Sachfremde der handelnden Personen. Das Angebot von Wohnungen wird die Nachfrage nicht decken können, da der Markt nun nicht mehr funktioniert.

Unwirtschaftliche Investitionen sind das Privileg derjenigen, die nicht ihr eigenes Geld ausgeben. Über die letzten Jahrzehnte hinweg hat der Staat in viele Preise eingegriffen. Die Buchpreisbindung wurde mit dem Schutz des stationären Buchhandels und kleinerer Verlage begründet. Die Preisbildung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ist kompliziert und führt zu den sogenannten Apothekenpreisen. Durch den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn wurde die Tarifautonomie eingeschränkt.

Besonders drastisch waren die Eingriffe in die Energiepreisbildung. Jüngst dämpfte die Bundesregierung mit dem Tankstellenrabatt die Benzinpreise und subventionierte mit dem Neun-Euro-Ticket den Personennahverkehr.

Privateigentum

Als Reaktion auf den angespannten Wohnungsmarkt wurde in Berlin auch schon die Enteignung von Wohnraum diskutiert, obwohl Artikel 14 des Grundgesetzes den Schutz privaten Eigentums garantiert.

Damit würde ein weiteres konstituierendes Prinzip, das Privateigentum, verletzt. Über die Jahre sind schon viele Eingriffe in das Privateigentum erfolgt: Zum Beispiel haben einige Gemeinden auf dem Höhepunkt der Migrationswelle 2015 private Immobilien beschlagnahmt oder sogenannte Vorratsbeschlüsse gefasst, um günstiger an Wohnraum für Migranten zu kommen als über freiwillig ausgehandelte Verträge.

Der heutige Generalsekretär der Regierungspartei SPD schlug 2019 vor, Wohneigentum auf eine Immobilie pro Person zu rationieren und hielt eine Kollektivierung von BMW für sinnvoll.

Haftung und Verlässlichkeit der Wirtschaftspolitik

Ein weiteres elementares Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft ist die Haftung. Hier ist der Staat doppelt gefordert. Zum einen muss er die Gesetze an sich ständig ändernde Randbedingungen anpassen, zum anderen muss oder müsste er als Vorbild agieren.

Bei der Finanzkrise 2008/09 überwogen die Eigeninteressen des Staates: Die Finanzinstitute, insbesondere die staatlichen Landesbanken, wurden geschützt und die geschädigten Bürger (Kleinanleger) hatten das Nachsehen.

Eigennutz des Staates überwog auch bei der doppelten Wende der Energiepolitik, die nicht nur dem Prinzip verlässlicher Wirtschaftspolitik zuwiderlief, sondern der Staat versuchte auch, die Haftung für Schadenersatzansprüche zu vermeiden.

Offene Märkte

Die besonders für eine exportorientierte Volkswirtschaft notwendigen offenen Märkte wurden in den letzten Jahren durch protektionistische Maßnahmen einiger Staaten gefährdet. Dabei sind auch die hohen Agrarsubventionen innerhalb der EU hinderlich. Die WTO hat an Bedeutung verloren und das wichtige Freihandelsabkommen TTIP scheiterte. Zusätzlich behindern außenpolitische Spannungen (z.B. der russische Angriff auf die Ukraine) den wohlfahrtsfördernden Freihandel. Ein Lichtblick ist die kürzlich erfolgte Ratifizierung des Freihandelsabkommens CETA.

Aktive Wettbewerbspolitik (Monopolproblem)

Das wichtigste regulierende Prinzip in der Sozialen Marktwirtschaft ist eine aktive Wettbewerbspolitik, die Wettbewerbsbeschränkungen durch Kartelle, Marktmissbrauch und eine zu starke Unternehmenskonzentration bekämpft.

Nach den obigen ernüchternden Befunden kann dem Staat hier ein positives Zeugnis ausgestellt werden. Sowohl auf deutscher als auch europäischer Ebene wird gegen wettbewerbsbeschränkendes Verhalten effektiv vorgegangen. Durch die zehnte GWB-Novelle, die 2021 in Kraft getreten ist, kann das deutsche Wettbewerbsrecht auch passende Antworten auf die neueren Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und Online-Plattformen geben.

Externe Effekte

Die Korrektur nachgewiesener externer Effekte muss marktwirtschaftskonform geschehen. Zum Beispiel hat die bisherige planwirtschaftliche Politik im Energiebereich sowohl eine geringe Effektivität als auch eine sozial schädliche Umverteilung von unten nach oben mit sich gebracht. Die Chancen, die durch eine technologieoffene, marktwirtschaftliche Energiepolitik möglich sind, wurden vertan.

Die Übersubventionierung im staatlichen Hochschulwesen geht weit über die nachgewiesenen externen Effekte hinaus und sorgt für eine zu hohe Nachfrage nach bestimmten Studiengängen bei gleichzeitigen Fachkräfteengpässen in anderen Bereichen, besonders im Handwerk.

Einkommenspolitik

Die für den sozialen Ausgleich notwendige Einkommenspolitik geschieht in Deutschland sehr umfassend und setzt oftmals falsche Anreize.

Über die Jahre hinweg ist eine Steuermehrbelastung durch die kalte Progression zu beklagen, die durch steigende Einkommen bei unveränderten Grundfreibeträgen und Steuertarifen entstanden ist.

Das Steueraufkommen wächst stärker als die Bemessungsgrundlage und führt zu einer heimlichen Steuererhöhung. Die kalte Progression betrifft vor allem die breite Mitte vom Facharbeiter bis zum Ingenieur. Wird der Steuertarif nicht angepasst, rutschen alle nach oben und zahlen mehr.

Eine große Steuerreform, die auf Transparenz, Fairness, Entlastung der arbeitenden Mitte und Vereinfachung setzt, wurde jahrelang diskutiert, aber nie umgesetzt.

Zunehmender Interventionismus

Soziale Marktwirtschaft wird nicht nur durch Globalisierung und Digitalisierung herausgefordert, sondern auch durch eine Politik, die die marktwirtschaftlichen Grundlagen gefährdet – obwohl sich im Wesentlichen alle bisherigen Bundesregierungen zur SMW bekannten. Diese und andere Faktoren erzeugen bei vielen Bundesbürgern das Gefühl, dass das bisherige Modell der SMW die notwendigen Antworten nicht mehr oder nur noch unzureichend liefert.

In der Sozialen Marktwirtschaft ist der Staat lediglich zuständig für Gesetze und ihre Durchsetzung. Allerdings tendiert der jetzige Staat dazu, ein führender Akteur in der Wirtschaft zu sein. Ludwig Erhard bemühte das Gleichnis vom Staat als Schiedsrichter, der bei einem Fußballspiel die Regeln setzt und deren Einhaltung überwacht. Mittlerweile ist der Staat in vielen Bereichen auch noch zum Spieler geworden.

Er kontrolliert und reguliert das Kapital in einer Wirtschaft, die früher privat war. Und die Staatsquote ist während der Pandemie auf ein Allzeithoch von 50 Prozent gestiegen. Zunehmend wollen auch Vertreter der jetzigen Bundesregierung steuern und aktive Industriepolitik betreiben. Wir nähern uns einer Kommando- bzw. Planwirtschaft.

Notwendige Reformen

Der derzeitige Zustand unseres Wirtschaftssystems verlangt nach marktwirtschaftlichen Reformen: Die Freiheit des Einzelnen muss wieder mehr respektiert werden, das Privateigentum ist zu schützen.

Eine ordnungspolitisch konsistente Wirtschaftspolitik setzt Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftsakteure. Staatliche Interventionen sollten sich auf tatsächlich feststellbares Marktversagen und langfristige, strategische Zielsetzungen im Sinne der Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit bzw. der konzertierten Handlungsweise in Europa konzentrieren.

Die moderne Soziale Marktwirtschaft braucht und lebt von der Teilnahme und Teilhabe aller. Digitalisierung kann hier durch den offenen Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt Schub sein für diskriminierungsfreie Bildungs- und Aufstiegschancen. Dies erfordert nicht nur eine umfassende Reform und einen Qualitätsschub für das jetzige Bildungssystem, sondern auch die Schaffung eines zweiten Bildungssystems des lebenslangen Lernens.

Der öffentliche Bereich muss wieder auf ein sozial verträgliches Maß zurückgeführt werden. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Bereich auf rund 5 Millionen angewachsen, verbunden mit einem gehörigen Zuwachs an Bürokratie für Bürger und Unternehmen.

Gleichzeitig ist die Leistungsfähigkeit weiter Teile der öffentlichen Verwaltung unzureichend und einem modernen Staatswesen nicht angemessen, was sich auch besonders in der Corona-Pandemie häufig zeigte.

Kurzum: Vieles spricht dafür, dass eine grundlegende Reform der Sozialen Marktwirtschaft notwendig ist.

Über den Autor:

Prof. Dr. Peter Altmiks lehrt Volkswirtschaftslehre sowie Sozialverwaltung und Sozialpolitik an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Hannover.

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung der Epoch Times, Ausgabe 57, am 13. August 2022.



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