„Krisennavigator“-Chef zur Warntag-Pleite: „Dezentrale Alarmierung ohnehin zielführender“

Mit demonstrativer Gelassenheit reagiert der Chef des Kieler Krisenforschungs-Instituts „Krisennavigator“, Frank Roselieb, auf die durchwachsene Bilanz zum bundesweiten Warntag. Dezentraler Alarm reiche bei den meisten Krisen aus, wichtiger seien Fragen der Vorsorge.
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Vielerorts war nichts zu hören – beim ersten bundesweiten Warntag am 10. September 2020.Foto: iStock
Von 14. September 2020

Am Donnerstag der Vorwoche (10.9.) sollten im Rahmen eines bundesweiten Warntages um 11 Uhr über ein zentrales Warnsystem überall im Land die Sirenen heulen. Die Bevölkerung wurde bereits über Tage hinweg darüber in Kenntnis gesetzt.

Tatsächlich blieb es vielerorts im Bundesgebiet still, in manchen Gemeinden war nur deshalb eine Sirene zu hören, weil die örtlichen Verantwortlichen in Eigenregie die Warnsysteme in Betrieb gesetzt hatten. In Summe erwies sich der Warntag als Desaster. Frank Roselieb vom Kieler „Krisennavigator“ warnt im „Focus“ allerdings davor, dies überzubewerten.

Kein Alarm für Campus und Kieler Woche

Ausgerechnet sein eigenes berufliches Umfeld war unter den Ausfällen am Donnerstagvormittag. Das Institut für Krisenforschung, das Roselieb leitet, ist ein Spin-Off der Universität Kiel und in räumlicher Nähe zu deren Hauptgebäude angesiedelt. Ein Alarm sei nicht zu bemerken gewesen:

„Bei uns ist alles ruhig geblieben. Unser Institutsgebäude befindet sich zwar in unmittelbarer Nähe zum Campus der Kieler Universität mit mehr als 30.000 Studierenden und Beschäftigten. Alle Universitätsangehörigen wurden extra am Vortag noch per Rund-E-Mail über den Warntag informiert. Doch am Donnerstagmittag passierte nichts. Weder heulte hier eine Sirene, noch gab es irgendeine Warnung per App.“

Nicht nur die Vielzahl an Studenten auf dem Campus, deren Warnung im Ernstfall unterblieben wäre, sollte diesbezüglich Sorgen bereiten. Um diese Jahreszeit würden – sofern keine Corona-Verhältnisse herrschen – regelmäßig drei Millionen Menschen anreisen, um die Kieler Segelwoche mitzuverfolgen: „Nicht auszudenken, wenn das ein echter Alarm gewesen wäre.“

Gescheiterter Warntag kein Grund zur Panik

Den Grund für das Scheitern des bundesweiten Probealarms erklärt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit einer „nicht vorgesehenen zeitgleichen Auslösung einer Vielzahl von Warnmeldungen“, die dazu geführt hätten, dass das Warnsignal nur verspätet hätte zugestellt werden können. Eine amtliche Gefahrenmeldung sei erst etwa eine halbe Stunde später als geplant zugestellt worden, so die „Tagesschau“. Rund zehn Minuten später folgte die Probeentwarnung.

Dennoch sei Panik nicht angebracht, beruhigt Roselieb. In Deutschland sei der Katastrophenschutz seit rund 70 Jahren dezentral organisiert. Deshalb hätten in vielen Fällen die Verantwortlichen vor Ort selbst die Sache in die Hand genommen, statt dies wie ursprünglich angedacht dem Bundesamt allein zu überlassen.

Zudem seien Großkatastrophen, die eine gleichzeitige Ad-hoc-Alarmierung aller Bundesbürger erforderlich machten, eher unwahrscheinlich. Selbst Szenarien wie 1986 in Tschernobyl würden nicht darunter fallen:

„Wenn beispielsweise ein Kernkraftwerk in Schweden havariert, sind je nach Windrichtung unter Umständen auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern betroffen. Dort müssen die Menschen dann binnen Minuten gewarnt und informiert werden, aber eben nicht die Bürger in Baden-Württemberg und Bayern.“

Nicht jede Krise erfordert Adhoc-Warnung

Auch Krisen wie Corona erfordern keine Sirenen oder Warn-Apps. Es bliebe ausreichend Zeit, die Bürger zu informieren. Dennoch sei es eine sinnvolle Idee, einen Warntag zu machen. Die Bevölkerung werde auf diese Weise sensibilisiert, die Technik könne getestet und weiterentwickelt werden. Künftig soll nach dem Willen der Innenministerkonferenz an jedem zweiten Donnerstag im September ein Warntag stattfinden.

Frank Roselieb sieht andere europäische Länder Deutschland im Bereich des Katastrophenschutzes voraus. So hätten Schweden und Dänemark bereits 2004 angesichts des Tsunamis im Indischen Ozeans mit ihren Mobilfunkprovidern vereinbart, an alle Telefone, deren Besitzer via Roaming zum Zeitpunkt der Katastrophe in das nationale Telefonnetz eingewählt waren, eine „Alive-SMS“ zu verschicken. Auch in den Niederlanden gäbe es seit 2012 ein Alarmsystem, das ohne Apps auskommt und über die etwa 5.000 Funkzellen des Landes in Gefahrensituation an alle Mobiltelefone im Umkreis eine Eil-SMS versenden könne.

Blackout ist größte realistische Gefahr

Die größte realistische Gefahr, die eine umfassende Alarmierung erforderlich machen könnte, sei Roselieb zufolge die eines flächendeckenden Blackouts, egal ob durch Überlastung des Stromnetzes oder – wie 2007 in Estland – durch Hackerangriffe. Dies würde unmittelbar zu einer Ausnahmesituation führen:

„Während bei einer Pandemie die Infrastruktur für die Versorgung und Kommunikation der Menschen erhalten bleibt, bricht diese beim Blackout unmittelbar zusammen. Der Strom fällt aus, die Trinkwasserversorgung ist unterbrochen, Lebensmittel verderben und können nicht mehr produziert werden, Informationen über Radio, Fernsehen, Internet oder Handy sind nicht mehr verfügbar und der Lockdown der gesamten Wirtschaft tritt unmittelbar ein.“

Nachbesserungen bei Notvorräten wichtig

Ob ein zentraler Alarm grundsätzlich eine sinnvolle Option wäre, müsse man bis 2021 überdenken, meint der Krisenmanager. Über Warn-Apps wären junge Menschen beispielsweise durch die Gesundheitsämter gut zu erreichen – älteres, ländliches Publikum hingegen nur bedingt. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass auch die dezentralen Warnsysteme in der Lage seien, rechtzeitig Informationen an die entsprechenden Adressaten zu bringen, und dass der 2007 entworfene, zweimal getestete und 2017 upgedatete Pandemieplan für Deutschland funktioniere.

Nachbesserungsbedarf gäbe es allerdings im Bereich der Notbevorratung – vor allem im Bereich der Hygieneartikel wie Einwegmasken und Medikamente – und bei der Krisenkommunikation. So wären Lockdown-Mechanismen vor allem zu Beginn der Corona-Krise nicht gut genug erklärt worden.



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