Lindner will Steuernachlass für Erdgas früher beerdigen: Mehr Kosten für 21 Millionen Wohnungen

Bundeswirtschaftsminister Christian Lindner (FDP) will die Mehrwertsteuersenkung auf Erdgas bereits zum 1. Januar 2024 wieder beenden – drei Monate früher als den Bürgern zugesagt. Ob er damit durchkommt, scheint fraglich: Die Koalitionspartner von SPD und Grünen halten nicht viel davon.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nennt den Vorschlag, die Schuldenbremse auszusetzen, «riskant».
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) denkt über eine frühzeitige Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Erdgas nach.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 18. September 2023

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Bundesfinanzminister Christian Lindner ‏(FDP) spricht sich öffentlich immer wieder gern gegen Steuererhöhungen aus. Gegen eine vorzeitige Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung auf Erdgas scheint er aber nichts zu haben. Im Gegenteil: Nach Informationen des „Business Insider“ (BI) will Lindner den derzeitigen Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für Gaskunden bereits zum 1. Januar 2024 wieder deutlich anheben lassen – und nicht erst Ende März 2024, wie ursprünglich versprochen. Der BI beruft sich auf eine Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ).

„Beschlossen ist die Verkürzung noch nicht“, schreibt der BI. „Sie dürfte aber spätestens bei den Haushaltsberatungen im Bundestag auf den Tisch kommen.“

Der Bundeshaushalt 2024 soll nach Angaben des Bundesfinanzministeriums (BMF) spätestens am 1. Dezember im Bundestag beschlossen werden. Zwei Wochen später soll der Bundesrat die Kalkulation final absegnen. Bis dahin stehen am 29. September Beratungen im Bundesrat und ab dem 28. November die zweite und dritte Lesung im Bundestag auf dem Terminkalender.

Vorzeitiges Ende würde Gesamthaushalt um 2,1 Milliarden entlasten

Sollte Lindner seinen Vorschlag durchdrücken, könnten in gut drei Monaten also wieder bis zu 19 Prozent Mehrwertsteuer (MWSt) anfallen. Und damit in drei Monaten 2,1 Milliarden Euro mehr in die Haushalte fließen, wie ein BMF-Sprecher laut „Tagesschau“ gegenüber der Nachrichtenagentur „Reuters“ geäußert habe. Geld, das der Endkunde aufbringen müsste.

Zur Begründung habe das Bundesfinanzministerium angegeben, dass „die krisenbedingten Preisspitzen an den Gasmärkten […] sich inzwischen gelegt“ hätten. Die Steuersenkung sei nie als dauerhafte Maßnahme gedacht gewesen. Und nun sei der Gaspreis eben schneller wieder gesunken, als man 2022 angenommen habe.

Gut 21 Millionen Wohnungen betroffen

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Statista) existierten Ende 2022 rund 43,4 Millionen Wohnungen in Deutschland. „Jede zweite Heizung in Deutschland wird mit Gas betrieben“, erklärte Statista vor einem knappen Jahr. Heizöl wurde damals von knapp einem Viertel als Brennstoff genutzt. 14 Prozent seien mit Fernwärme ausgestattet. Elektrowärmepumpen spielten mit 2,8 Prozent kaum eine Rolle. Somit würde eine frühere MWSt-Erhöhung auf Gas über 21 Millionen Wohnungen betreffen.

  • Im Schnitt würden nach Berechnungen des Verbrauchervergleichsportals Verivox für einen Vier-Personen-Erdgashaushalt mit 20.000 Kilowattstunden (kWh) Gasverbrauch 270 Euro Mehrkosten im Jahr entstehen, berichtet der BI. Sogar 331 Euro würden anfallen, wenn der Musterhaushalt statt eines eigenen günstigen Gasvertrags die normalerweise teurere, aber insgesamt preisstabilere und kündigungsfreundlichere „Grundversorgung“ nutze.
  • Ein Zwei-Personen-Haushalt mit 12.000 kWh Verbrauch müsste mit etwa 170 Euro Mehrbelastung rechnen, bei „Grundversorgung“ 209 Euro.
  • Für einen Single-Haushalt mit 5.000 kWh Gasverbrauch fielen 71 Euro („Grundversorgung“: 87 Euro) zusätzlich an.
  • Im Durchschnitt aller Erdgas-Haushalte sei mit einem Endpreisanstieg von etwa elf Prozent ab Januar 2024 zu rechnen.

Auch wenn nach Informationen der Netzgesellschaft „Trading Hub Europe“ schon zum 1. Oktober sowohl die „Regelenergie-Umlage“ als auch die „Konvertierungsumlage“ auf null gesetzt werden, würde diese Kürzung laut Verivox den Preisanstieg „nicht ausgleichen“ können, schreibt der BI. Womöglich könne man bei einem „Vertragswechsel profitieren“, denn insbesondere bei Bestandsverträgen werde „das nicht automatisch weitergegeben“.

Die Mitte Dezember 2022 beschlossenen Gas- und Strompreisbremsen von 40 Cent für Strom und 12 Cent für Gas könnten übrigens ganz regulär zum Jahresende 2023 auslaufen – es sei denn, die Bundesregierung verlängert die Regelungen noch bis Ostern 2024.

Zustimmung zu MWSt-Plänen von Grünen und SPD fraglich

Für eine solche Verlängerung der Preisbremsen setzen sich nach Informationen der „Tagesschau“ die Grünen ein. Fraktionsvize Andreas Audretsch habe im dpa-Gespräch bereits gesagt, er strebe das „als Versicherung, dass die Preise weiterhin nicht durch die Decke gehen können“, an. „Verlässliche und bezahlbare Energiepreise“ seien „für Bürgerinnen und Bürger […] von hoher Relevanz“.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich laut Verivox bereits Ende Juli 2023 für eine Preisbremsverlängerung ausgesprochen: „Die Maßnahme sei angesichts sinkender Einkaufspreise vor allem eine Vorsichtsmaßnahme, die im besten Fall nicht benötigt werde“.

Laut Verivox könnte das Ende der Strom- und Gaspreisbremse in einem „Musterhaushalt“ je nach Vertrag die „durchschnittlichen Jahreskosten für Strom und Gas von 3.649 Euro auf 3.878 Euro“ erhöhen. „Das entspräche einem Kostenplus von 6,3 Prozent und einer Mehrbelastung von 229 Euro pro Jahr“, schreibt das Portal. Für 20.000 kWh Gas müssten die Verbraucher im Musterhaushalt dann 173 Euro mehr zahlen – ein Plus von 7,9 Prozent. Strom schlüge bei 4.000 Kilowattstunden Verbrauch mit 56 Euro Mehrkosten zu Buche (plus 3,9 Prozent).

Neukundentarife vergleichen

Das Portal rät dazu, die Preise für Neukunden zu vergleichen und gegebenenfalls den Anbieter zu wechseln: „Neukundentarife sind bereits wieder so günstig wie vor der Krise und machen die Preisbremsen für Millionen Haushalte schon heute obsolet“, stellt Verivox-Chef Daniel Puschmann klar.

Ob die Grünen eine vorzeitige Mehrwertsteuererhöhung, wie sie Lindner vorschwebt, angesichts dieser Aussichten mitmachen, steht noch in den Sternen: Laut „Tagesschau“ kündigten sie an, sich Lindners Vorschlag „genau“ ansehen zu wollen.

Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Schrodi, lehnt die Lindner-Pläne nach „Tagesschau“-Informationen ebenfalls ab: „Eine vorzeitige Rückkehr zur höheren Mehrwertsteuer für Gaspreise als isolierte Maßnahme mitten in der Heizperiode sehen wir als SPD-Bundestagsfraktion kritisch.“

Opposition klar gegen Lindner-Pläne

Auch der Linken-Finanzpolitiker Christian Görke hält nicht viel von den neuen MWSt-Plänen zum Erdgas: Noch immer steckten „viele Verbraucher […] weiterhin in Verträgen, die doppelt so teuer seien wie vor dem Ukraine-Krieg“, habe Görke zu bedenken gegeben.

Der Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger (CDU), der ebenfalls im Finanzausschuss arbeitet, nutzte den Lindner-Vorstoß zur Regierungskritik: „Nur weil die Ampel es nicht schafft, sich auf Prioritäten im Haushalt zu einigen, sollen die Bürgerinnen und Bürger nun die Leidtragenden sein.“

Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, kritisierte die Lindner-Pläne in ähnlicher Weise: „Insbesondere Menschen mit kleinen Einkommen stellen die Energiepreise nach wie vor vor große Herausforderungen“, sagte Bentele nach Angaben der „Tagesschau“. Für „Menschen mit wenig Geld“ müsse es „so lange Hilfen geben, bis sich die Preise wieder normalisiert“ hätten.

Auch „die Energiewirtschaft“ spreche sich „gegen die Verkürzung“ der gesenkten Mehrwertsteuer aus: „Alles andere sei neben enormem Aufwand für Abrechnungen und Kommunikation für die Kunden auch kaum nachvollziehbar“, so die „Tagesschau“.

Seit Oktober 2022: Befristete Mehrwertsteuersenkung für Erdgas

Die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme war zum 1. Oktober 2022 als befristete Maßnahme von 19 auf sieben Prozent gesenkt worden. Der Beschluss war Teil eines Maßnahmenpakets, das helfen sollte, die deutschen Privathaushalte und die Wirtschaft angesichts des nahenden Winters finanziell nicht zu überfordern.

In den Monaten zuvor waren die Preise für Energie infolge des Ukraine-Krieges und der Wirtschaftssanktionen gegen den Gaslieferanten Russland stark angestiegen. Zudem war die brandneue Gaspipeline Nord Stream 2, die günstiges russisches Gas hätte liefern können, nie in Betrieb genommen worden.

Es fehlt das günstige russische Gas

Im August 2022 stellte Russland seine Lieferungen über die alte Nord Stream 1 ein, der Preis für Erdgas erreichte nach Angaben des NDR mit „gut 40 Cent pro Kilowattstunde“ für Verbraucher Anfang September 2022 „ihren Höhepunkt“. Ende September 2022 wurden drei von vier Gasröhren in der Ostsee bei einem Sabotageakt zerstört. Die Täter stehen offiziell bis jetzt nicht fest. Die jüngsten Spuren führen angeblich in die Ukraine.

Mittlerweile aber nahm der Gaspreis an den internationalen Handelsbörsen wieder stark ab. Nach Angaben des NDR kostet eine Kilowattstunde für Neukunden derzeit etwa 9 Cent. Auf einem ähnlichen Niveau hatte der Wert zuletzt im Oktober 2021 gelegen. Die Hauptgründe für den Preisverfall liegen nach Einschätzung des Jülicher Energie-Experten Prof. Jorchen Linßen neben der MWSt-Senkung in den Einsparbemühungen und den schon jetzt „gut gefüllten Speichern“. Auch im Winter 2023/24 sind nach Meinung des Verivox-Energiefachmanns Thorsten Storck keine „Rekordpreise wie im vergangenen Jahr“ mehr zu erwarten.

Die Bundesregierung hatte Ende September 2022 ein „Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz“ (EWPBG, „Gaspreisbremse“) beschlossen. Kanzler Olaf Scholz sprach damals von einem „Doppel-Wumms“.

Das Geld dafür wurde in den zu Corona-Zeiten eingerichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) eingebracht. Der WSF wurde um weitere 200 Milliarden Euro aufgestockt. Nach Angaben von Wirtschaftsminister Habeck wurden bis Ende Juli 2022 „nur etwa 18 Milliarden Euro für die Preisbremsen verwendet“, berichtete Verivox.

Eine zunächst angedachte „Gasumlage“, die die Verbraucher zusätzlich belastet hätte, um die trudelnde Gaswirtschaft zu unterstützen, wurde stattdessen kurzfristig verworfen.

Mit Informationen aus Agenturen



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