Thierse verurteilt Missbrauch im Erzbistum Köln als „Verrat am eigenen Glauben“

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Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki spricht mit jungen Sternsingern am 27. Dezember 2019 im Kölner Dom.Foto: ROBERTO PFEIL/dpa/AFP via Getty Images
Epoch Times18. März 2021

Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat die bislang schleppend aufgeklärten Missbrauchsfälle im Kölner Erzbistum scharf verurteilt. Diese Vergehen von Geistlichen seien „schlimmster Verrat am eigenen Glauben“ und träfen „ins Herz der katholischen Kirche“, sagte Thierse, der Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken ist, am Donnerstag (18. März)  im ARD-„Morgenmagazin“.

Thierse zeigte sich „tief betroffen über das Leid, das katholische Geistliche da angerichtet haben“. Die Kirche habe „die verdammte Pflicht, so radikal aufzuklären wie nur möglich“ – und das „mit allen Konsequenzen für die Organisation, für die Struktur der Kirche“. Zwar sei „massenhafte sexualisierte Gewalt“ in der gesamten Gesellschaft ausgeprägt und die Kirche als Institution sei nur ein Teil dieses Problems. Doch er habe sich immer gewünscht, dass seine Kirche hier „vorangeht“, sagte Thierse weiter.

„Die Kirche muss angesichts dieser Erschütterung anders werden“, forderte Thierse zu der deutlichen Kritik am Erzbistum Köln wegen seiner schleppenden Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Konkret forderte er eine weiblichere, weniger hierarchische und transparentere Kirche. „Das wird ein mühsamer Prozess bei einer 2000 Jahre alten Institution.“

Das Erzbistum Köln veröffentlicht am Vormittag ein unabhängiges Gutachten zu dem Missbrauchsskandal. Der im vergangenen Herbst vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki beauftragte Strafrechtler Björn Gercke soll auf Grundlage von Akten und Anhörungen Verantwortlicher etwaige Verfehlungen im größten deutschen Bistum aufklären. Dieses hielt das Gutachten lange zurück, in dem Gercke auch erstmals die Namen von Verantwortlichen benennen soll.

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, kritisierte den Umgang Woelkis mit dem Skandal. Das Vorgehen erzeuge „große Enttäuschung und Irritation bei Betroffenen und der Öffentlichkeit“, sagte er der „Bild“-Zeitung vom Donnerstag. „Aber es ist auch misslich für die anderen Bistümer in Deutschland.“

Zu den „dunklen Kapiteln der Aufarbeitung“ in der katholischen Kirche sagte Ackermann: „Wir müssen für die Vergangenheit davon ausgehen, dass Bischöfe Täter der Strafverfolgung entzogen haben.“

Gercke verwundert über Vorwurf der Verschleppung

Der vom Erzbistum Köln mit der Aufarbeitung des Missbrauchskandals im größten deutschen Bistum beauftragte Strafrechtler Björn Gercke hat sich verwundert über die massive Kritik am dortigen Aufarbeitungsprozess gezeigt. In Köln sei das erste Gutachten unter allen deutschen Bistümern in Auftrag gegeben worden, das konkrete Pflichtverletzungen von Geistlichen und Verantwortungsträgern aufarbeite und diese auch namentlich benenne, sagte Gercke am Donnerstag in der Domstadt. Insofern „wundert es ein wenig, dass man sich mit dem Vorwurf der Verschleppung gerade das Bistum Köln zur Zielscheibe macht“.

Gercke sagte, auf Grundlage der Aktenprüfung hätten sich 202 Beschuldigte ergeben und 314 Opfer sexuellen Missbrauchs. Von den mutmaßlichen Tätern seien 63 Prozent Kleriker gewesen – das heißt, 127 Priester machten sich im größten deutschen Bistum des Missbrauchs schuldig. Mehr als die Hälfte der Opfer seien Kinder im Alter unter 14 Jahren gewesen, ein mit 57 Prozent größerer Anteil der Opfer seien Jungen gewesen.

Gercke und seine Mitgutachterin Kerstin Stirner kritisierten scharf die Dokumentation im Erzbistum. Es habe „erhebliche Mängel“ bei der Dokumentation gegeben, sagte Gercke. Teilweise seien Akten vernichtet worden. Stirner sagte, es habe sich ein Bild ergeben, „dass über viele Jahre von Chaos, subjektiver Unzuständigkeit und Missverständnissen“ geprägt gewesen sei. Dies habe sich erst im Jahr 2015 mit der von Kardinal Rainer Maria Woelki eingerichteten Interventionsstelle geändert. In den Jahren davor war der verstorbene Kardinal Joachim Meisner verantwortlich.

Der Kölner Strafrechtler Gercke stellte sein seit Oktober erarbeitetes Gutachten zu der Frage vor, wo es im Zeitraum von 1975 bis 2018 im Erzbistum zu Fehlern beim Umgang mit Missbrauchstaten kam ist und wer hierfür die Verantwortung trägt. Mit Spannung wird erwartet, wen er als Verantwortliche benennt. In den vergangenen Wochen gab es Vertuschungsvorwürfe gegen Kardinal Woelki und den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der früher in Köln Personalverantwortlicher war.

Kardinal Woelki kannte die Ergebnisse des 800-seitigen Gutachtens nach den Worten eines Sprechers des Erzbistusms im Vorfeld der seit Donnerstagvormittag laufenden Vorstellung nicht. Woelki will das Gutachten nach der Veröffentlichung in den kommenden Tagen mit den Kölner Kirchengremien diskutieren und dann am kommenden Dienstag mögliche personelle Konsequenzen verkünden – im Raum stehen Beurlaubungen von Verantwortungsträgern, aber auch persönliche Konsequenzen Woelkis. (afp)



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