Unfallchirurgen protestieren: Geld für Versorgung ukrainischer Soldaten wird knapp

Eine Reihe hochrangiger Unfallmediziner hat Alarm geschlagen: Die Versorgung schwer traumatisierter Soldaten aus der Ukraine sei mit den aktuellen Fallpauschalen nicht mehr lange kostendeckend möglich. Das Bundesgesundheitsministerium sieht keinen Handlungsbedarf.
Titelbild
Ein verwundeter Soldat aus der Ukraine wird am 23. März 2023 zur medizinischen Versorgung nach Berlin eingeflogen.Foto: Petter Berntsen/AFP via Getty Images
Von 22. Dezember 2023

Professor Dr. Steffen Ruchholtz, der stellvertretende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), sieht die Versorgung ukrainischer Soldaten in Deutschland gefährdet. Als Grund nannte er die „hohe[n] Behandlungskosten, die die Kliniken oft nicht erstattet“ bekämen. Die „engagierten zivilen Kliniken und Rehakliniken“ müssten deshalb „regelhaft nicht kostendeckend“ arbeiten. Nun sei die Bundesregierung am Zug:

Wir fordern die Politik auf, nach Lösungen für ein alternatives Vergütungssystem zu suchen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Behandlung neu ankommender Patienten aus der Ukraine schon in Kürze nicht mehr gewährleistet werden kann.“

Mehr als 900 Menschen behandelt

Seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 seien deutschlandweit „über 900 Patienten“ behandelt worden. Nur ein Teil davon habe „im Anschluss eine Rehabilitation“ erhalten. Normalerweise benötigten die Betroffenen „Wochen und Monate“, um „ihre schweren Verletzungen schrittweise“ versorgen zu lassen.

Genauer aufgeschlüsselte Zahlen über die Gesundungsquote, die durchschnittlichen Kosten pro Patient, die Gesamtbelastung und die Leistungen der Kostenträger konnte die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) auf Anfrage der Epoch Times nicht nennen.

Fallgruppenpauschalen nicht ausreichend

Ruchholtz, der auch das Amt des Geschäftsführenden Direktors des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg innehat, stützt seine Einschätzung zur finanziellen Lage auf eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) . Demnach hätten 74 Prozent jener „TraumaZentren der Initiative TraumaNetzwerk DGU“, welche die Ukrainer behandelten, bestätigt, diese Arbeit nicht mehr kostendeckend erledigen zu können. Der Hauptgrund liege am „System der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG)“. Dieses zahle zu wenig für die „sehr aufwändige und langwierige Behandlung der Kriegsverletzungen dieser Patienten“.

Prof. Dr. Matthias Münzberg, zugleich Geschäftsführer Medizin der BG Unfallklinik Frankfurt am Main und einer der Initiatoren der Umfrage, präzisierte das Problem aus medizinischer Perspektive:

Neben der Behandlungsdauer sind es vor allem die Infektionen mit multiresistenten Keimen und die mehrfachen Operationen, die die Therapie sehr kostenintensiv machen.“

Kapazitäten der Ukraine erschöpft

90 Prozent der TraumaZentren hätten zudem Probleme, ihre ukrainischen Patienten nach der „unfallchirurgischen Akut-Versorgung“ in Reha-Einrichtungen zu überweisen. Denn die Rehabilitationskliniken hätten nur „sehr beschränkte“ Möglichkeiten, die traumatisierten Soldaten in die „ambulante Nachbehandlung“ zu entlassen. Auch dort seien die Gelder häufig zu knapp, wie auch Prof. Dr. Dietmar Pennig eingeräumt habe, der Generalsekretär der DGOU. Die Ukraine selbst verfüge nicht über die erforderlichen Kapazitäten, so Pennig bereits im Juni 2023.

Nach Angaben von „Jouwatch“ werden die Kosten für die Behandlung der ukrainischen Patienten von den Krankenkassen und Sozialhilfeträgern getragen, also letztlich von den „deutschen Beitragszahler[n] und Steuerzahler[n]. Über ihre sonstigen Steuern sind sie auch am Transport der Ukrainer beteiligt: Nach Informationen der „Voice of Europe“ übernimmt „die Regierung die Kosten für den Flug von Verwundeten“.

Unversicherte Ukrainer sind versicherten Deutschen „gleichgestellt“

Die Stellungnahme einer Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) klang nicht danach, als ob das Ministerium derzeit erwägen würde, etwas am Status quo zu ändern.

Die Sprecherin bestätigte auf Anfrage der Epoch Times, dass Patienten aus der Ukraine „leistungsrechtlich gesetzlich Versicherten gleichgestellt“ seien, und zwar ganz gleich, ob es sich um Zivilisten oder Soldaten handele. Das hätten Bund und Länder am 7. April und 2. Juni 2022 im Rahmen ihrer Ministerpräsidentenkonferenzen so beschlossen. „Dies schließt den Rechtskreiswechsel zum SGB II/XII seit dem 1. Juni 2022 mit ein“, ergänzte die Sprecherin.

Sie räumte zudem ein, dass „Unter- sowie Übervergütungen im Einzelfall möglich“ seien, weil es sich beim DRG-Fallpauschalensystem eben um „ein pauschalierendes System“ handele.

Allerdings richte sich die Höhe einer Fallpauschale auch „nach Krankheitsart (Diagnose), Operation und Schweregrad der Erkrankung“. Außerdem würden bei „einer deutlich über- bzw. unterdurchschnittlichen Verweildauer“ eines Patienten „in der Regel Zu- oder Abschläge auf die Fallpauschalen erhoben“, schrieb die Sprecherin. In diesen Fällen könnten „ergänzend zu einer Fallpauschale, insbesondere für aufwändige Arzneimittel, einzelne Leistungen und Leistungskomplexe, Zusatzentgelte berechnet werden“. Und weiter:

Zu berücksichtigen ist auch, dass die krankenhausindividuellen Personalkosten für die Pflege in der unmittelbaren Patientenversorgung seit dem Jahr 2020 nicht mehr über die Fallpauschalen vergütet werden. Diese werden vielmehr – auch für die Behandlung von ukrainischen Soldaten – vollumfänglich über das sogenannte Pflegebudget finanziert.“

Immer weniger Anlaufstationen

Dem in 53 extra zertifizierten Clustern organisierten TraumaNetzwerk DGU hatten sich in den vergangenen Jahren mehr als 650 Kliniken angeschlossen, um die „Versorgung von Schwerstverletzten auch und gerade bei Massenanfällen von Verletzten“ sicherzustellen. Damit sei der „weitaus größte Teil der Intensivkapazität in Deutschland“ im Netzwerk involviert, hieß es in der Pressemeldung der DGU.

Insgesamt existierten in Deutschland nach Angaben des „Statistischen Bundesamts“ Ende 2022 knapp 1.900 Krankenhäuser mit rund 480.000 Betten – Tendenz sinkend. Im Jahr 2020 zählte der Bund nach Angaben des Portals „Pflegemarkt“ zudem knapp 1.100 Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit rund 162.000 Betten – Tendenz ebenfalls sinkend.

Das in Deutschland gebräuchliche Abrechnungssystem der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) verpflichtet die Kliniken mit Ausnahme der Psychiatrien und Rehabilitationskrankenhäuser, Fallpauschalen für „jeden stationären Behandlungsfall“ in Rechnung zu stellen. Die auf Krankenhausanalysen spezialisierte „BinDoc GmbH“ zum Prozedere:

Die Eingruppierung in die DRG-Fallpauschale erfolgt mittels einem Grouper, einer bundesweit einheitlichen Software und wird insbesondere durch die Krankheitsart (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, die erbrachten Leistungen (Operationen und Prozeduren), Beatmungsstunden sowie Alter und Geschlecht des Patienten bestimmt.“



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