Wie kriegt man die Pannenstadt Berlin wieder flott?

Flughafen-Desaster, Wahl-Chaos, Alltags-Katastrophen: Die Berliner haben es nicht leicht mit ihrer Stadt. Der künftige Senat steht vor der schwierigen Aufgabe. Es wartet eine Machtprobe.
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Der Hauptstadtflughafen BER.Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Epoch Times14. Oktober 2021

Armes Berlin, immer wieder Ziel von Spott und Häme. Erst das endlose Drama um den Bau des Hauptstadtflughafens BER – der nun auch im Betrieb gewaltig holpert.

Und dann auch noch das Chaos am Wahltag 26. September, als Wahlzettel fehlten oder vertauscht wurden, als Wahlberechtigte sich stundenlang die Beine in den Bauch standen und teils unverrichteter Dinge von dannen zogen. Als schwacher Trost blieb ihnen nur, dass einige der gemeldeten Wahlergebnisse ohnehin erstmal geschätzt waren.

Wenn der Landeswahlausschuss an diesem Donnerstag das endgültige Ergebnis der Wahl zum Abgeordnetenhaus feststellt, dürften die Einsprüche nicht lange auf sich warten lassen. Der Super-Gau – eine komplette Wahlwiederholung – wird der Hauptstadt nach vorläufiger Einschätzung des Senats aber wohl erspart bleiben. Für die Berliner könnte das eine gute Nachricht sein. Umso schneller könnte eine neue Landesregierung um die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) die Aufgabe angehen, die Hauptstadt wieder flott zu bekommen.

Denn auch einfache Dienstleistungen werden in Berlin gern mal zum Hindernislauf. Wer zum Beispiel am Mittwoch online einen Termin beim Bürgeramt zur Beantragung eines Personalausweises suchte, bekam angezeigt: Alles ausgebucht bis 10. Dezember, danach war der Kalender zu Ende. Die Ausstellung einer Geburtsurkunde, die Bestellung des Aufgebots, die Anmeldung eines Autos – alles Glückssache.

„Das sind zum Teil schlicht skandalöse Umstände“, sagt der Konstanzer Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Seibel. „Ich habe mich über die Geduld der Berliner immer gewundert. Wenn man tagelang für einen Kita-Platz anstehen muss, wenn man keinen Termin im Bürgeramt bekommt oder keine Geburtsurkunde, dann sind das unfassbare Zustände. Man kann sich nur darüber wundern, dass das so hingenommen wird.“

Seibel war Mitglied einer Reformkommission um den früheren Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt. Die legte 2018 einen hundertseitigen Bericht mit Vorschlägen zur Verbesserung der Berliner Verwaltung vor. Zentrale Punkte: Verwaltung besser steuern, Genehmigungsverfahren beschleunigen, Digitalisierung nutzen. Die Schwächen des Apparats – der Berliner öffentliche Dienst beschäftigt knapp 211.000 Menschen – waren schon damals legendär. Alt selbst erinnerte in seinem Vorwort an Reformbeschlüsse von 1994, die leider nur halbherzig umgesetzt worden seien.

Viel besser erging es auch Alts Empfehlungen nicht, obwohl der damalige Senat einen eigenen Staatssekretär für zuständig erklärte, den SPD-Politiker Frank Nägele. Die Berliner IHK startete 2019 zusammen mit etwa 70 Gruppen und Verbänden die Kampagne „Eine Stadt – Eine starke Verwaltung“, um die Reformen voranzutreiben. Dann kam Corona und offenbarte zusätzliche Schwächen vor allem bei der Digitalisierung. Nur jeder zehnte öffentlich Bedienstete soll in der Lage gewesen sein, im Homeoffice zu arbeiten.

Die Bilanz des Wirtschaftsverbands zur eigenen Kampagne klingt verhalten. Die Verwaltung höre jetzt eher die Hinweise der Wirtschaft, heißt es bei der IHK. Teils laufe es auch besser, etwa bei der Kfz-Zulassung durch gewerbliche Zulasser. Teils wirke das Verwaltungshandeln aber immer noch wie aus der Zeit gefallen, etwa wenn Bauanträge in zwei- bis vierfacher Papierausführung verlangt würden. Fazit: „Die Modernisierung der Berliner Verwaltung bleibt eine Dauerbaustelle.“

Verwaltungswissenschaftler Seibel ist allerdings wenig optimistisch – es sei denn, Berlin setze endlich an der Wurzel an. „Solange man die Bezirksverwaltung nicht integriert in eine einheitliche Landesverwaltung, können die Probleme nicht bewältigt werden“, ist der Konstanzer Professor überzeugt. Da liegt für ihn „der Hase im Pfeffer“. Dass jeder Bezirk die Verwaltung selbst organisiert und der Senat keine verbindlichen Vorgaben machen kann, sei ein „völlig absurder Umstand“ und eben grundsätzlich anders als in München, Hamburg oder Köln.

„Wenn man eine Empfehlung geben soll, dann kann die eigentlich nur heißen: eine Verfassungsreform“, meint Seibel. Für den neuen Senat wäre dies eine Kraftprobe: „Die Bezirke wollen sich diese Macht nicht nehmen lassen.“ Lohnend wäre eine Reform aber aus Seibels Sicht allemal, vor allem für eine Mitte-Links-Regierung unter der Sozialdemokratin Giffey. Gerade Ärmere seien auf funktionierende öffentliche Dienste angewiesen. „Nur die Starken können sich einen schwachen Staat leisten“, sagt der Experte. (dpa/oz)



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