EU-Integration der Balkanländer

Titelbild
Kosovo-Albaner feierten am 22. Juli 2010 im Anschluss an die Entscheidung des International Court of Justice, der die Rechtmäßigkeit von Kosovos Unabhängigkeit bestätigte. Die EU jedoch ist darüber noch uneins.Foto: Laura Boushnak/AFP/Getty Images
Von 28. August 2010

Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union begannen kürzlich das Ratifikationsverfahren von Serbiens Stabilisierungs- und Assoziierungsvereinbarung (SAA). Dies ist ein Schritt in Richtung einer schlussendlichen EU-Mitgliedschaft für Serbien. Der Kandidatenstatus wurde nicht gewährt, aber in Aussicht gestellt. Dieses Vorgehen ist die allgemeine Strategie der EU beim Zugang des Balkans zur Gemeinschaft: Mit der einen Hand gibt sie, mit der anderen noch nicht ganz.

Bei einer potenziellen Aufnahme der Balkanstaaten wäre es nicht das erste Mal, dass die EU Staaten mit einer problematischen Geschichte aufnimmt. Die EU akzeptierte in den 1980er-Jahren die postdiktatorischen Länder Spanien, Portugal und Griechenland und 2004 acht postkommunistische osteuropäische Länder. 2007 ließ die EU die Balkanstaaten Rumänien und Bulgarien zu. Bedingung war es jedoch, dass sie ihre Anstrengungen verstärken mussten, um die Rechtsstaatlichkeit zu fördern. Auch mussten sie Korruption und das organisierte Verbrechen bekämpfen.

Aber für die ehemaligen jugoslawischen Staaten ist der Drang der EU zur Vergrößerung die härteste Herausforderung. Es ist schwer genug, einen Übergang von einem autoritären System zur Demokratie zu vollziehen, Es ist kompliziert, sowohl Demokratie als auch Kapitalismus in einen Einparteienstaat einzuführen. Hier jedoch geht es um weit größere Herausforderungen: Einer Region mit fortbestehenden ethnischen Spaltungen und Hunderttausenden von Vertriebenen.

Das Nadelöhr

Diese neue Runde der Erweiterung hat die EU gezwungen, ihre Vorgehensweise, wie sie potenzielle Mitglieder behandeln will, neu zu überdenken. Nach EU-Recht muss ein Staat den sogenannten Kopenhagener Kriterien entsprechen, um zugelassen zu werden. Ein Bewerber muss ein europäischer Staat mit einer Demokratie sein, der die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte respektiert. Er muss eine Marktwirtschaft haben, die eine Vereinigung mit dem gemeinsamen Markt aushält; und er muss hinter den Verpflichtungen stehen, die eine Mitgliedschaft mit sich bringt.

Sobald ein Staat entscheidet, dass er Mitglied werden möchte, schließt er einen Assoziationsvertrag mit der EU. Darin werden die anfänglichen Bereiche der Zusammenarbeit umrissen. Die einstimmige Zustimmung der Mitgliedstaaten gewährt dann den Aufnahmekandidaten-Status. Danach muss der Kandidat mit der Eingliederung der Abschnitte des Acquis Communautaire beginnen, die mit dem bisherigen nationalen Recht unvereinbar sind. Mit Acquis Communautaire (deutsch: gemeinschaftlicher Besitzstand) bezeichnet man die Rechte und Pflichte, die für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich sind. EU-Institutionen, alle Mitgliedstaaten und die Landesregierung des Kandidaten müssen den Beitrittsvertrag ratifizieren. Erst dann kann ein neuer Mitgliedstaat beitreten.

Die Vergangenheit zeigte, dass eine Aufnahme für einen Staat etwa zehn Jahre dauert, bis die Integration vollständig abgeschlossen ist. Selbst wenn nur geringe Meinungsverschiedenheiten über allgemeine Grundsätze existieren, kann es Jahre dauern, um die zu Tausenden zählenden EU-Bestimmungen in das nationale Recht einzugliedern. Und in den Balkanländern ist das gesellschaftlichen Verständnis weit von dem Verständnis in der EU entfernt.

Unsicheres Gelände

Zwei Faktoren, beeinflussten in der Vergangenheit den EU-Beitritt:

1. Der Beschluss aller Parteien, das Zugangsverfahren abzuarbeiten.

2. Die Gewissheit, dass es keine Frage ist ob, sondern nur die Frage, wann Staaten beitreten würden.

Auf dem Balkan jedoch ist beides in Zweifel gezogen: Es gibt berechtigte Bedenken sowohl an dem Willen der Regierungen, den Zugangskriterien zu entsprechen, als auch an ihren Fähigkeiten, sie umzusetzen.

Die Frage des Beitritts ist ein zentrales Thema in der Wahlpolitik geworden. Boris Tadic gewann 2008 die serbischen Parlamentswahlen mit seiner Koalition „Für ein europäisches Serbien“. 2009 gewann die sozialistische Koalition für ein europäisches Montenegro die Parlamentswahlen. Die Haltung, sich dem wohlhabenden und sicheren Europa anzuschließen, hatte zum Wahlsieg geführt . Umfragen ergaben, dass in jedem Balkanstaat außer Kroatien die Mehrheit der Bevölkerung eine Mitgliedschaft bevorzugt.

Die öffentliche Unterstützung für den Beitritt ist ein gutes Zeichen, aber Kroatiens anfänglicher Begeisterungssturm ist beunruhigend. Denn der Beitrittsprozess ist lang und mühsam. Am Ende könnten die Kroaten der Versprechungen müde geworden sein, dass die Mitgliedschaft zum Greifen nahe ist.

Trotz der populären Anziehungskraft der EU sind die Änderungen, um den Zugangskriterien zu entsprechen, schwierig umzusetzen. Besonders in Serbien, wo die rechtsradikale Partei trotz der Haft ihres Führers in Den Haag stark ist, und Reformen nur langsam erkämpft werden. Die Entschuldigung des serbischen Parlaments für das Srebrenica-Massaker wäre zum Beispiel vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Sie erhielt jedoch nur 127 Stimmen der 250 Parlamentarier. Und die Entschuldigung gab auch nicht zu, dass das Massaker Teil eines Völkermords war.

Die Pro-EU-Koalitionen sind zerbrechlich. Dies veranlasst die EU, die Balkanländer dahingehend zu beruhigen, dass die EU ein Klub ist, dem sie sich anschließen können. Als Reaktion auf kleine Zeichen des Fortschritts gibt die EU kleine Zugeständnisse an die Balkanstaaten. Z.B. die Aufhebung der Visa-Pflicht für Serben, Montenegriner und Makedonier, die in die EU reisen wollen. Es ist ungewiss, ob die Unterstützung für diese Staaten bei solch einem langsamen Prozess lange genug aufrecht erhalten werden kann, bis sie schließlich beitreten können.

Es ist auch noch im Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft, wie sich das ehemalige Jugoslawien mit seinen schwerwiegenden Problemen befasst hat. Ein neuer totaler Krieg wird wahrscheinlich nicht ausbrechen, aber die Bedrohung durch periodisch auftretende Gewalt bleibt. Die Abspaltung des Kosovo 2008 ließ solche Ängste wieder aufleben. Weit beunruhigender aber sind die Probleme Bosniens und die Korruption.

Obwohl die Abkommen in Dayton den Krieg in Bosnien beendeten, wurden viele der zugrunde liegenden Probleme nicht gelöst. Insbesondere die Dezentralisierung der Macht, die die drei ethnischen Gruppen befriedete, schwächte den Hauptstaat. Dies schuf Uneinigkeit, die den Fortschritt untergraben hat. US-amerikanische und EU-Beamte besuchten Bosnien im letzten Oktober, um einen Impuls zur Lösung dieser grundlegenden Problrmr zu geben. Sie fanden aber nach wie vor eine unflexible Haltung vor.

In allen Balkanstaaten hat die Schwäche der Staaten und ihre systematische Korruption es den Netzwerken des organisierten Verbrechens ermöglicht zu gedeihen. Diese Organisationen fördern Bestechung, schwächen den Staat und bedrohen die demokratische Rechtmäßigkeit von Regierungen. Diese Regierungen versuchen, die notwendigen Änderungen für den Zugang zur EU besonders in den Bereichen des Rechtswesens vorzunehmen. Dabei müssen sie sich mit Verbrecher-Netzwerken befassen, deren Existenz durch die Durchführung solcher Reformen bedroht wird.

Nicht nur die potenziellen Mitgliedstaaten werden mit gemischten Gefühlen betrachtet. Die EU hegt auch gewisse Zweifel, ob es klug ist, weitere Beitritte zu befürworten. Zwölf neue Mitglieder haben sich seit 2004 angeschlossen. Seitdem wird oft von Beitrittsmüdigkeit gesprochen. Die Flut von legalen Migranten von Ost- nach Westeuropa hat Ängste geschürt, dass Westeuropa mit Hunderttausenden von Job-Suchern überschwemmt würde, wenn man ärmere Staaten hereinlässt. In Großbritannien ist dieses Phänomen bekannt geworden als Angst vor dem „polnischen Klempner“. Darauf wird sich oft berufen, wenn eine Erweiterung diskutiert wird.

Die Abspaltung des Kosovo von Serbien spaltete die EU bei der Balkanfrage noch um einiges mehr. Zweiundzwanzig der 27 Mitgliedstaaten haben die abgespaltene Region anerkannt. Fünf – Zypern, Griechenland, Rumänien, die Slowakei und Spanien – nicht; größtenteils wegen ihrer eigenen Kämpfe mit Abtrünnigen. Russlands Weigerung, den Kosovo anzuerkennen und seine historische Unterstützung für Serbien, droht die EU-Russland Beziehungen zu belasten.

Schließlich ermöglicht die Voraussetzung der einstimmigen Aufnahme neuer Mitglieder den EU-Mitgliedern, bei Meinungsverschiedenheiten mit Kandidaten-Staaten deren Zugang zu blockieren. Griechenlands Einwand gegen den Namen des Staates Mazedoniens hat den mazedonischen Beitritt vorläufig aufgehalten. Sloweniens Debatte mit Kroatien über die Seegrenzen verzögerte den kroatischen Eintritt um mehrere Jahre.

Ungewisses Schicksal

Der Beitrittsprozess der Balkanstaaten ist das chaotischste Verfahren, mit dem sich die EU bis jetzt hat befassen müssen. Als das einzige Gebiet Europas, in dem Gewalt in der neueren Geschichte ein bedeutender Bestandteil seiner politischen Transformation war, hat der Balkan mit vielen fortbestehenden Problemen zu kämpfen.

Die EU kämpft nun damit, wie es seine Reaktion auf den langsamen Fortschritt der Balkanstaaten abstimmt. Die zuständigen EU-Beamten wollen keine großen Belohnungen für zu wenig Fortschritt geben um Anreize zu schaffen, die großen notwendigen Änderungen vorzunehmen. Aber sie wollen auch nicht, dass die Staaten entmutigt werden: Pro-EU-Politiker brauchen für ihre Schwerstarbeit und ihren Kampf gegen die Ultranationalisten etwas zum Vorzeigen.

Serbien ist nach Noten von eins bis sechs nur ein Schüler mit de Note vier bei der Frage der Aufnahme, weder so schlecht wie befürchtet noch so gut wie erhofft. Der Kriegsverbrecher Radovan Karadzic zum Beispiel ist schließlich nach mehr als einem Jahrzehnt Flucht in Haft, aber Ratko Mladic ist noch auf freiem Fuß. Das serbische Parlament hat sich für Srebrenica entschuldigt, aber es hat den Völkermord mit keinem Wort erwähnt. Serbien hat sich für den Assoziierten-Status qualifiziert. Aber für den Kandidaten-Status wird es noch auf einen späteren Tag warten müssen.

Andrew Feldman ist Referendar am Institute for Policy Studies In Focus

 

Originalartikel auf Englisch: Balkan Accession: Slow and Steady Progress

 

 



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