Gnadenfrist für Aiwanger: 25 Fragen warten auf Antworten

Hubert Aiwanger bleibt bis auf Weiteres Teil der bayerischen Landesregierung. Ministerpräsident Markus Söder will über eine weitere Partnerschaft erst dann abschließend entscheiden, wenn sein Vize einen 25-Fragen-Katalog beantwortet hat.
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, gibt nach dem Sonder-Koalitionsausschuss ein Statement zum Fall des stellvertretenden Ministerpräsidenten Aiwanger ab.
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, gibt nach dem Sonder-Koalitionsausschuss ein Statement zum Fall des stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger ab.Foto: Peter Kneffel/dpa
Von 29. August 2023

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat noch keine abschließende Entscheidung über die zukünftige Zusammenarbeit mit seinem Vize Hubert Aiwanger (52), dem Landeschef der „Freien Wähler“ (FW), gefällt. Hintergrund ist die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt, die seit wenigen Tagen bundesweit für Aufregung sorgt.

Nach einer Sondersitzung im Münchener Koalitionsausschuss erklärte Söder am Dienstagmittag vor der Presse, dass auch die aktuellen Aussagen des Wirtschaftsministers nicht „für eine abschließende Bewertung“ genügen würden. Die bisherigen Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) reichten jedenfalls „definitiv“ nicht aus, um die Verdachtsmomente gegen Aiwanger auszuräumen.

Söder: „Es darf jetzt auch nix mehr dazukommen“

Deshalb habe man sich darauf geeinigt, Aiwanger die Gelegenheit zu geben, sich schriftlich zu äußern. Dazu werde man ihm einen Katalog von 25 Fragen vorlegen, kündigte Söder an. Das bedeute keineswegs einen „Freispruch oder Freibrief“: „Es darf jetzt auch nix mehr dazukommen“, mahnte der Ministerpräsident. Der Ball liege nun also „wieder bei dem freien Wähler Hubert Aiwanger“.

Wann genau mit den Antworten zu rechnen ist, bleibt unklar: Söder ließ auf dem Podium keinerlei Nachfragen über irgendwelche Fristen zu.

„Eine Entlassung wäre ein Übermaß“

Bisher habe sich die Zusammenarbeit mit Aiwanger und den „Freien Wählern“ bewährt, räumte Söder ein. Man wolle sie auch fortsetzen. „Bis zur abschließenden Klärung wäre eine Entlassung ein Übermaß“, stellte Söder klar. Allerdings hingen Koalitionen auch „nicht an einer einzigen Person“.

Aus seiner Sicht müsse nun „ein klare Distanzierung von dem Dreck“ erfolgen, der in dem 35 Jahre alten Flugblatt transportiert worden war. Dabei handele es sich nicht nur um einen „Dumme-Jungen-Streich“, sondern um „übelsten Nazi-Jargon“. In der bayerischen Staatsregierung gebe es aber „keinen Platz für Antisemitismus“, so Söder. Schon jetzt sei ein Schaden für das Land Bayern und die Glaubwürdigkeit entstanden.

Aiwanger zur Sondersitzung „einbestellt“

Am Vortag hatte Söder nach Auskunft seines Staatskanzleichefs Florian Herrmann (CSU) Aiwanger und die FW-Fraktion zu einer Sondersitzung im Münchener Koalitionsausschuss einbestellt, um Auge in Auge mit seinem Vizeregierungschef und Wirtschaftsminister die Antisemitismus-Vorwürfe der „Süddeutschen Zeitung“ gegen Aiwanger „vollständig“ auszuräumen.

Eine erste schriftliche Stellungnahme hatte Söder nach den Worten von Herrmann nicht akzeptiert, denn die Vorwürfe seien „zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt“. Nun also soll Aiwanger doch wieder schriftlich reagieren.

Auswirkungen auf Bayernwahl: Söder in der Falle?

Je nachdem, wie die Affäre ausgeht, könnten alle bisherigen Voraussagen über die Zusammensetzung einer künftigen Landesregierung Makulatur sein. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die Briefwahlunterlagen werden nach persönlicher Anforderung seit dem 28. August an die Wähler verschickt, wie die „Augsburger Allgemeine“ berichtete. Zwei Tage zuvor war der brisante Artikel der SZ erschienen.

Angesichts der Umfragewerte und Verlautbarungen aus der Münchener Staatskanzlei stand lange Zeit so gut wie fest, dass es eine weitere Auflage der CSU/„Freie Wähler“-Koalition geben würde. Beide Fraktionen der „Bayern-Koalition“ (Söder) hatten eine Zusammenarbeit mit den Grünen und mit der AfD stets kategorisch ausgeschlossen. Sollte die Option „Freie Wähler“ für Söder nun entfallen, bliebe ihm nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Civey“ also nur noch ein Bündnis mit der SPD. Doch ob dieses bei derzeit 48 Prozent zu einer Mehrheit im Landtag reichen würde, steht in den Sternen. Vorausgesetzt, Söder würde sich überhaupt darauf einlassen.

Hintergrund: Stürzt Aiwanger über ein 35 Jahre altes Flugblatt?

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte am 25. August 2023 einen Artikel veröffentlicht, in dem der langjährige Chef der „Freien Wähler“ Bayern unter Verdacht gestellt wurde, als 17-jähriger Schüler der Obersekunda des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg während des Schuljahrs 1987/88 ein rechtsextremistisches, antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben (Bezahlschranke). Als Quelle der Story hatte das Blatt „anonyme Informanten“ genannt.

Hubert Aiwanger nach seinem ersten Auftritt nach Bekanntwerden von Vorwürfen um das antisemitisches Flugblatt.

Hubert Aiwanger (FW) nach seinem ersten Auftritt nach Bekanntwerden von Vorwürfen um das antisemitisches Flugblatt. Foto: Pia Bayer/dpa

Nach Recherchen des Münchener Nachrichtenmagazins „Focus“ soll ein ehemaliger Lehrer des Burkhart-Gymnasiums die ganze Geschichte angestoßen haben. Dieser Lehrer habe in den späten 1980er-Jahren jener internen Disziplinarkommission angehört, die sich mit den Konsequenzen des Flugblatts zu befassen hatte, das seinerzeit in Hubert Aiwangers Schultasche gefunden worden sei. Der 17-jährige Hubert habe seine Urheberschaft nicht bestritten und sei „bestraft worden“, hieß es in der SZ unter Berufung auf anonyme Augenzeugen.

Antisemitismusbeauftragter: „fragwürdige Geisteshaltung“

Im „Spiegel“ räumte Aiwanger ein, damals „unter Druck“ eingewilligt zu haben, zur Strafe ein Referat zu halten. Damit sei die Sache von allen Seiten als erledigt betrachtet worden. Laut „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) zeugen aus Sicht des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, schon die bisherigen Eingeständnisse des Politikers von einer „fragwürdige[n] Geisteshaltung“.

Als Aiwanger im Juni 2023 mit markigen Worten bei einer Demonstration in Erding gegen das geplante Heizungsgesetz aufgetreten war, habe sich der fragliche Lehrer an den 35 Jahre alten Vorfall erinnert. Nachdem dann auch noch der Direktor des Gymnasiums den ehemaligen Schüler Hubert Aiwanger kürzlich „als schlechtes Beispiel“ eines demokratischen Politikers geschmäht hatte, habe sich der Lehrer entschlossen, den Direktor über die Sache mit dem Flugblatt aufzuklären und auch die „Süddeutsche Zeitung“ zu kontaktieren.

Aiwanger: „Habe das Papier nicht verfasst“

Kaum war der passende Artikel in der SZ erschienen, wies der angeprangerte Hubert Aiwanger die Anschuldigungen am 26. August im Gespräch mit dem „Spiegel“ zurück: „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend“.

Der Politiker gab allerdings zu, das Flugblatt als Jugendlicher tatsächlich in seine Schultasche gesteckt zu haben. „Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich“, so Aiwanger gegenüber dem „Spiegel“. Auf jeden Fall distanziere er sich „vollends von dem Papier“. Außerdem gab Aiwanger zu, den wahren Verfasser des Papiers zu kennen: „Er wird sich selbst erklären“.

Älterer Bruder nimmt Verantwortung auf sich

Genau das geschah auch kurze Zeit später: Aiwangers älterer Bruder Helmut (53) bekannte sich gegenüber der Mediengruppe Bayern zur Urheberschaft des Schriftstücks.

Helmut Aiwanger argumentierte, dass er den Text aus Wut darüber verfasst habe, dass er eine Jahrgangsstufe habe wiederholen müssen. Er könne sich zwar nicht mehr genau an die Ereignisse des Jahres 1988 erinnern, glaube aber, dass sein Bruder Hubert die Flugblätter seinerzeit „wieder eingesammelt“ habe, „um zu deeskalieren“. „Ich schäme mich für diese Tat und bitte vor allem meinen Bruder um Verzeihung für die damals verursachten Schwierigkeiten, die auch noch nach 35 Jahren nachwirken.“

In einer Vorabmitteilung der Mediengruppe Bayern vom 28. August prangerte Helmut Aiwanger nun die „Stasi-Methoden“ an, die nun gegenüber seinem jüngeren Bruder angewendet würden.

Ob letztlich Hubert oder Helmut das Pamphlet in die Schreibmaschine getippt hatte, bleibt unklar: Beiden Brüdern hätte diese Möglichkeit im elterlichen Haushalt offen gestanden. Eindeutig ist lediglich, dass das Flugblatt mit der Schreibmaschine der Aiwangers hergestellt worden war. Das hatte ein Gutachten ergeben, das die SZ in Auftrag gegeben hatte.

Inzwischen kündigte der Politiker Hubert Aiwanger juristische Schritte gegen die „Süddeutsche Zeitung“ inklusive Schadenersatzforderungen an – wegen der „Schmutzkampagne“, die die Zeitung aus seiner Sicht losgetreten hatte.

Bundesweite Empörung

In der Tat hatten sich sofort nach Erscheinen des SZ-Artikels jene Stimmen gehäuft, die Aiwanger als „untragbar“ bezeichnet oder seinen Rücktritt gefordert hatten.

In den Chor der Aiwanger-Gegner reihten sich bereits Menschen wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), SPD-Chefin Saksia Esken, der bayerische SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und viele andere Prominente ein. Auch die Jusos und die Jugendorganisation der Grünen in Bayern reagierten entsetzt.

Selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) ließ über seinen Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner eine dringende Klärung der Vorwürfe von der bayerischen Landesregierung einfordern.

Historiker: „Die SZ hat der politischen Kultur in Deutschland einen Bärendienst erwiesen“

Der Historiker Dr. René Schlott hält die spontanen Rücktrittsforderungen im Interview mit dem „Deutschlandfunk Kultur“ für „zu schnell geschossen“. Er sei zwar „fassungslos“ über den Inhalt des Flugblatts, aber auch über „das Verhalten der Süddeutschen Zeitung“: Die SZ habe die Story auf dem Titel gebracht, obwohl noch nicht viel über die Hintergründe bekannt gewesen sei. Das habe dann die „üblichen Empörungsrituale ausgelöst“.

Die SZ habe damit der „politischen Kultur in Deutschland einen Bärendienst erwiesen“, denn sechs Wochen vor der Wahl sei die Aiwanger-Berichterstattung „Wasser auf die Mühlen“ jener Leute, „die die Presse ohnehin für gesteuert“ hielten. Die letzten fünf Jahre hätten ja keinerlei Anlass gegeben, zu glauben, dass Aiwanger „ein glühender Antisemit“ sei, gab Schlott zu bedenken. Er gehe deshalb davon aus, dass die ganze Sache „die Reihen hinter Aiwanger noch fester schließen“ werde.



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