Journalistenüberwachung im „nationalen Sicherheitsinteresse“ bleibt möglich

Nach dem aktuellen Entwurf des „Europäischen Medienfreiheitsgesetzes“ soll die Überwachung von Journalisten in der EU doch erlaubt bleiben – wenn es im Interesse der „nationalen Sicherheit“ liegt. Deutschland beharrte ebenso auf der Klausel wie fünf weitere Staaten.
Die Nachfrage nach seelsorgerlichen Angeboten per Telefon oder Chat ist auch 2022 hoch gewesen.
In Deutschland kann das heimliche Ausspähen von Journalisten unter bestimmten Umständen zulässig sein. Daran ändert das geplante „Europäische Medienfreiheitsgesetz“ (EMFA) nun wohl doch nichts.Foto: picture alliance / Angelika Warmuth/dpa
Von 29. Juni 2023

Innerhalb der EU herrscht offensichtlich ein äußerst gespaltenes Verhältnis zum Journalismus und zur Pressefreiheit. Einerseits will sich die Kommission mit einem neuen „Medienfreiheitsgesetz“ dafür einsetzen, mehr Unabhängigkeit, Transparenz und Pluralismus in der Medienlandschaft zu garantieren. Andererseits befürworten etliche Mitglieder des Rats der EU, darunter auch Deutschland, Journalisten und ihre Gesprächspartner staatlich überwachen lassen zu dürfen, falls „die Sicherheitsbehörden dies für nötig halten“.

Und genau damit haben sich die Ausspähungsbefürworter im Rat der Europäischen Union vor einigen Tagen durchgesetzt – zumindest, was die aktuelle Fassung (PDF, englisch) des „Europäischen Medienfreiheitsgesetzes“ (EMFG, auch: „European Media Freedom Act“, EMFA) angeht.

In dem ursprünglichen EMFA-Gesetzentwurf der Europäischen Kommission vom 16. September 2022 hatte es nach Einschätzung von „Netzpolitik.org“ noch umfangreichere Schutzrechte für Journalisten gegeben. Nach Artikel 4 Absatz 2b sollte es EU-weit verboten werden, Journalisten oder ihre Familienangehörigen behördlicherseits heimlich zu überwachen oder anderweitig unter Druck zu setzen, um an ihre Informationsquellen zu gelangen. Artikel 4 Absatz 2c hätte den „Einsatz von Spähsoftware“ gegen Journalisten oder ihre Familienangehörigen verboten.

Kein einziges Ratsmitglied opponiert

Doch dann landete der Entwurf zur Überarbeitung auf dem Tisch der Arbeitsgruppe „RAG AVM“ („Audiovisuelles und Medien“) des Rats der EU. Wie aus einem Bericht des „Tagesspiegel“ hervorgeht, setzte sich bei dem Treffen vom 17. April 2023 zunächst der französische Regierungsvertreter für eine Aushebelung von Artikel 4 des EMFA-Gesetzentwurfs ein. Er habe verlangt, die „Ausforschung von Journalisten“ unter Einsatz von Spähsoftware zuzulassen, wenn es den Interessen der „nationalen Sicherheit“ diene. Dieser Forderung hatten sich laut Protokoll (PDF) auch Regierungsvertreter aus Deutschland, den Niederlanden, Tschechien, Luxemburg und Griechenland angeschlossen:

FRA, DEU, CZE, NDL, LUX und GRC sprachen sich zu Art. 4 für eine Bereichsausnahme zur ‚nationalen Sicherheit‘ [Hervorhebung durch die ET] aus. Auf DEUs zu Art. 4 wiederholte Forderung, nat. Systeme müssten anwendbar bleiben können, antwortete SWE, man habe sich dieser Forderung mit der letzten Textänderung angenommen und meine, dies sei nun klargestellt.“

Kein einziges Ratsmitglied habe dagegen opponiert, schreibt der „Tagesspiegel“. In der Neufassung von Artikel 4 (PDF, Seite 63) heißt es nun: „This Article is without prejudice to the Member States’ responsibility for safeguarding national security“, zu Deutsch:

Dieser Artikel berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten zur Wahrung der nationalen Sicherheit.“

Im Klartext: Sollte die Bundesrepublik Deutschland der Meinung sein, dass das Abhören oder Ausspähen eines Journalisten zur Wahrung der nationalen Sicherheit nötig ist, so darf sie ungeachtet der sonstigen Vorschriften des Artikels 4 und im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts damit loslegen.

BVerfG: Telefonüberwachung kann erlaubt sein

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann die Telefonüberwachung von Journalisten oder auch anderer Berufsgruppen unter bestimmten Umständen zulässig sein, wenn sie zur Aufklärung schwerer Straftaten (Az: 2 BvR 236/08) oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines gesuchten Straftäters führt. Umso einfacher dürfte es sein, wenn die „nationale Sicherheit“ auf dem Spiel steht.

Das BVerfG hatte im Februar 2008 jene Umstände, unter denen eine „heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können“, erlaubt sein könnte, genauer definiert (1 BvR 370/07):

  • „tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut“ (Gemeint sind „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“)
  • „Vorbehalt richterlicher Anordnung“
  • „Das Gesetz, das zu einem solchen Eingriff ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen“
  • „Der Eingriff [ist] an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen“ (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis)

Rat der EU sieht „richtiges Gleichgewicht“

Der Rat der Europäischen Union selbst erscheint ganz zufrieden mit dem aktuellen Stand des Verordnungspapiers: Es sei nun „sichergestellt, dass das neue Gesetz mit den geltenden EU-Rechtsvorschriften im Einklang steht, die nationalen Zuständigkeiten in diesem Bereich wahrt und das richtige Gleichgewicht zwischen der erforderlichen Harmonisierung und der Achtung nationaler Unterschiede herstellt“, heißt es in einer Pressemeldung des „Europäischen Rats“.

Der am 21. Juni 2023 abgesegnete Ratsentwurf müsse jetzt noch mit dem Europäischen Parlament in Straßburg, der EU-Kommission und dem Ministerrat verhandelt werden. Das könne erst geschehen, nachdem das Parlament „seinen Standpunkt zur EMFA-Verordnung festgelegt“ habe. Das Ziel des Rats sei es, für die neue EU-Verordnung allerdings „noch vor der bevorstehenden Europawahl im Mai 2024 eine Gesamteinigung über die Regelung zu erzielen“.

Pressevertreter wehren sich

Nach Angaben des Onlineportals „Netzpolitik.org“ bezeichnete der „Europäische Journalistenverband“ die aktuelle EMFA-Fassung wegen der „Blanko-Ausnahme“ zur nationalen Sicherheit als „leere Hülle“.

„Schutzmaßnahmen zur Sicherung von Grundrechten“ seien in dem Papier nicht erwähnt, obwohl der Europäische Gerichtshof klargestellt habe, „dass die nationale Sicherheit die EU-Staaten nicht von ihrer Verpflichtung zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit befreie“.

Auch „65 Pressefreiheits- und Grundrechteorganisation[en]“ hätten bereits einen offenen Protestbrief verfasst: Ihrer Ansicht nach legalisiere das Papier „den Einsatz von Staatstrojanern gegen Journalist:innen“.

Auch generell sind die Medienschaffenden in Deutschland offenbar alles andere als begeistert davon, dass die EU überhaupt ein Medienfreiheitsgesetz durchsetzen will.

Wie die „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) berichtete, fürchten sie Eingriffe in die Medien- und Pressefreiheit: „Medienfreiheit und Pluralismus werden nicht dadurch erreicht, dass die Medienregulierung europaweit harmonisiert und in funktionierende und seit Langem etablierte rechtliche Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten eingegriffen wird“, heißt es in einem offenen Brief (PDF), den auch der „Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger“ (BDZV) und der „Medienverband der freien Presse“ (MVFP) unterzeichnet hatten.

Sie lehnen jegliche Kontrolle durch eine angeblich „unabhängige“ neue EU-Medienbehörde ab, heiße sie am Ende nun „Ausschuss für Mediendienste“, „Medienrat“ oder „Medienaufsicht“.

Ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), in deren Ressort die Angelegenheit fällt, hatte laut „Tagesspiegel“ dagegen argumentiert, es sei der deutschen Vertretung im Rat lediglich darum gegangen, sicherzustellen, „dass die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten ‚im Bereich der nationalen Sicherheit unberührt bleiben‘“. Der Sprecher habe betont, es liege auch im Interesse des Ministeriums, „dass hier keinesfalls ein Einfallstor für ungerechtfertigte Beschränkungen der Medienvielfalt geschaffen“ werde.

AVMSD als Basis

Das „Europäische Medienfreiheitsgesetz“ (EMFA) soll nach Informationen von „liberties.eu“ auf einer älteren EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste („Audiovisual Media Services Directive“, AVMSD) aufbauen. Diese legt die „allgemeine[n] Grundsätze für ein sicheres und pluralistisches Medienumfeld in der EU“ bereits seit 2018 fest.

Nach Angaben des „Deutschen Fachjournalisten Verbands“ soll auf Grundlage des EMFA nun ein neuer „Europäischer Ausschuss der Mediendienste“, kurz, „der Ausschuss“, die bereits eingerichtete „European Regulators Group for Audiovisual Media Services“ (ERGA) „ersetzen“. Dem neuen Ausschuss sollen „gleichberechtigte Vertreter der nationalen Aufsichtsbehörden“ angehören. Das Gremium soll „komplett unabhängig“ arbeiten, um das Medienfreiheitsgesetz durchzusetzen und zu überwachen.



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