„Null Luftverschmutzung“ bis 2050: EU einigt sich auf strengere Schadstoffgrenzen

Inmitten einer Wirtschaftskrise und einer Abwanderungsbewegung von Unternehmen in Richtung USA und Asien verschärft die EU ihre Schadstoff-Grenzwerte. Schon bis 2030 soll die Belastung der Luft mit Stickstoffoxid und bestimmten Feinstaub-Partikeln um mehr als die Hälfte sinken.
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In der EU wird es künftig noch strengere Grenzwerte zu Feinstaub, Stickstoff- und Schwefeloxid geben.Foto: iStock
Von 21. Februar 2024

Am Dienstag, 20.2., haben sich Unterhändler von Ländern und EU-Parlament auf neue Schadstoff-Obergrenzen geeinigt. Diese betreffen unter anderem Feinstaub, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid. Bürger sollen im Fall von feinstaubbedingten Erkrankungen einen Entschädigungsanspruch erhalten. Vor allem im Bereich des Schwefeldioxids und des Feinstaubs mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5 Mikrometern soll der Grenzwert um die Hälfte und mehr sinken.

EU-Parlament wollte noch strengere Grenzwerte

So soll der zulässige Jahresgrenzwert für Feinstaub von 25 auf 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sinken. Beim Stickstoffdioxid soll der Grenzwert bis 2030 bei 20 Mikrogramm pro Kubikmeter sinken. Zuvor betrug dieser 40 Mikrogramm. Beim Schwefeldioxid soll es einen neuen Grenzwert von 350 Mikrogramm pro Kubikmeter geben, der maximal 24-mal in Jahr überschritten werden darf. Dazu kommt ein Tagesgrenzwert von 125 Mikrogramm, maximal dreimal im Kalenderjahr überschreitbar.

Das EU-Parlament wollte 2021 die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) genannte, zum Teil noch strengere Grenzwerte, verbindlich bis 2035 durchsetzen. Die Mitgliedstaaten hielten dies für unrealistisch und unterstützten die Richtwerte der EU-Kommission. Diese sollen allerdings schon bis 2030 umgesetzt sein.

Für Deutschland hatte die Kommission die „in der Regel“ geltende Tolerierung eines Jahresmittelwerts von 50 Mikrogramm an Stickstoffdioxid im urbanen Straßenverkehr geduldet. Diese hatte die Große Koalition Ende der 2010er-Jahre verfügt, um Klagen der „Deutschen Umwelthilfe“ auf Diesel-Fahrverbote gegenzusteuern. Es ist damit zu rechnen, dass – sobald Mitgliedstaaten und EU-Parlament die Einigung gebilligt haben – diese Ausnahmeregelung kippen wird.

Richtiges Signal in Zeiten der Deindustrialisierung?

Die Befürworter der Verschärfung der Vorgaben verweisen darauf, dass die bislang geltenden Grenzwerte bis zu 20 Jahre alt und dadurch „veraltet“ wären. Die EU will bis 2050 ein Ziel von „null Luftverschmutzung“ erreichen. Jährlich sollen rund 300.000 Todesfälle in den Mitgliedstaaten auf eine solche zurückzuführen sein.

Kritiker wenden ein, dass Menschen in der EU in den 1970er- und 1980er-Jahren deutlich höhere Schadstoffbelastungen zu gewärtigen hatten. Dennoch sei auch in diesen Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich angestiegen.

Zudem geben sie zu bedenken, dass jede weitere Verschärfung von Normen Konsequenzen für Alltagsleben und Wirtschaft habe. Energiepreise, Bürokratie und immer mehr Vorschriften sorgten schon jetzt für Standortverlagerungen wichtiger Industrieunternehmen aus der EU. Viele von ihnen ziehe es in die USA oder nach Asien. Noch mehr und noch engere Vorgaben mit Auswirkungen auf Industrie und Alltagsleben seien in dieser Situation nicht hilfreich.

Grenzwerte für Feinstaub an Arbeitsstätten deutlich höher

Was bereits im Jahr 2019 gegen zu strenge Schadstoff-Grenzwerte eingewendet wurde, war zudem, dass für Innenräume wesentlich großzügigere Vorgaben gelten. So gilt in deutschen Büros, wo Kopierer oder Drucker zu den größten Feinstaubquellen zählen, ein Wochenmittelwert von 60 Mikrogramm.

In Produktionsbetrieben, etwa Schreinereien oder Schweißereien, sind sogar 950 Mikrogramm erlaubt. Im Kontext des jährlichen Silvester-Feuerwerks steigt die Feinstaubbelastung sogar im Außenbereich häufig auf mehr als 1.000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an.

Angaben des Umweltbundesamtes zufolge lagen die Jahresmittelwerte an Stickstoffdioxid in städtischen und vorstädtischen Bereichen in Deutschland Ende der 2010er bei 20 bis 30 Mikrogramm pro Kubikmeter. In ländlichen Gebieten hatten sie sich bei zehn Mikrogramm eingependelt. An viel befahrenen Straßen ist die Belastung am höchsten.

Beim Feinstaub insgesamt hat sich das Jahresmittel seit den 1990er-Jahren erheblich reduziert. Ende 2020 wies Berlin mit einem Jahresmittel von 13,1 Mikrogramm bei Partikelgröße bis 2,5 Millimeter die höchste Belastung auf. Die niedrigste hatte Göttingen mit 7,3.

Einigung könnte zu Fahrverboten und Ende von Bauprojekten führen

In Schwellenländern liegen die Durchschnittswerte deutlich über den europäischen. In Ostasien – inklusive China – liegt der Vergleichswert in urbanen Lagen bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. In Südasien wurden im März 2023 im Schnitt 37,2 Mikrogramm ermittelt, in Nordafrika waren es 30,1.

Während SPE-MdEP Tiemo Wölken die nunmehrige Einigung als „Dienst an der Arbeiterklasse“ feierte, die „nicht einfach in die Vororte ziehen oder sich Luftfilter leisten können“, kommt Kritik aus der EVP. Der Vorsitzende des Agrarausschusses im EU-Parlament, Norbert Lins, befürchtet laut „Handelsblatt“ Fahrverbote oder den Stopp von Bauprojekten.



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