Arbeitslosigkeit verwalten statt abbauen? Beschäftigung nimmt zu – beim Staat

Eine Auswertung der Bundesanstalt für Arbeit weist ein Plus bei der Beschäftigung in Deutschland aus. Allerdings gehören der Staat und staatsnahe Bereiche zu den Hauptmotoren. Die Deindustrialisierung geht weiter.
Bei Volkswagen fallen Jobs in der klassischen Verbrenner- und Teileproduktion weg, gleichzeitig wird Beschäftigung in neuen Bereichen aufgebaut.
Bei Volkswagen fallen Jobs in der klassischen Verbrenner- und Teileproduktion weg, gleichzeitig wird Beschäftigung in neuen Bereichen aufgebaut.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 9. August 2023

Trotz einer seither nicht unterbrochenen Abfolge von Krisen ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland seit Dezember 2019 angestiegen. Im April 2023 lag diese saisonbereinigt um drei Prozent oder etwa 100.000 Personen über dem Referenzzeitraum. Dies geht aus einer Auswertung hervor, die das „Handelsblatt“ anhand von Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorgenommen hatte.

Deutliches Plus bei Beschäftigung in staatsnahen Bereichen

Die Detailanalyse zeigt jedoch, dass diese Stabilisierung des Niveaus an Beschäftigung nicht unbedingt der Ausdruck wirtschaftlicher Gesundung ist. Zu den treibenden Kräften der Entwicklung gehören nämlich der Staat selbst – und von diesem abhängige Bereiche.

Zugespitzt gesagt scheint die Verwaltung von Arbeitslosigkeit bisweilen lohnender zu sein als deren Beseitigung. So hat die staatliche Verwaltung ihren Mitarbeiterstand seit 2019 um neun Prozent erhöht. Dort und in den staatsnahen Bereichen Gesundheit, Erziehung und Sozialwesen habe die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sogar um 450.000 Personen zugenommen.

Enzo Weber, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Arbeitsagentur, bestätigt indirekt diese These. Er erklärt, dass in diesen Bereich nicht zuletzt die Mitarbeiter seiner Einrichtung und der Jobcenter fielen. Und sieht darin weniger ein Problem als den Beitrag zu einer Lösung:

Zur Verwaltung zählen beispielsweise auch all die Beschäftigten, die sich darum kümmern, Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen und so die Arbeitskräfteknappheit zu lindern.“

Industrie kommt unter die Räder

Demgegenüber hat die Industrie im betrachteten Zeitraum 180.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze abgebaut. Das ist ein Minus von 2,6 Prozentpunkten gegenüber 2019.

Im Kraftfahrzeugbau nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Betrachtungszeitraum um 49.000 ab. Dies entspricht einem Rückgang von etwa fünf Prozent. In den Metallberufen sank die Zahl der Beschäftigten sogar um acht Prozent. Mit minus drei Prozent oder etwa 30.000 Personen ging die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auch im Maschinenbau zurück. Dieser und die Automobilindustrie galten lange Zeit als Deutschlands Sinnbild für gut bezahlte Arbeit.

Auch das Hotel- und Gastgewerbe konnte noch nicht einmal wieder den Stand an Beschäftigung von vor der Corona-Krise erreichen. In anderen von Fachkräftemangel heimgesuchten Branchen wie Krankenpflege (plus zehn Prozent) und Altenbetreuung (plus sechs Prozent) hat sich die Lage etwas entspannt. Allerdings sind auch dort viele Einrichtungen von staatlichen Zuwendungen abhängig.

Mehr Beschäftigung auch in der IT

Immerhin gibt es freiberufliche Bereiche, in denen die Beschäftigung zugenommen hat. Diese reichen vom Immobilienmakler über die Hausverwaltung bis hin zu Architekten oder Ingenieuren. Auch in den Bereichen IT und Kommunikation gab es einen Zuwachs von etwa 170.000 Arbeitskräften – plus 14,4 Prozent.

Ifo-Ökonom Oliver Falck sieht die Entwicklung als wenig bedenklich. Er spricht von „starken Strukturverschiebungen zwischen Berufen“ – so etwa weg von der Fertigung und hin zu Entwicklung und IT. Auch wenn viele Arbeitsschritte innerhalb der Industrieunternehmen wegfielen, steige die Beschäftigung bei Dienstleistern, die an diese angebunden seien.

Vertreter der Industrie hingegen sehen die Entwicklung durchaus nicht als unbedenklich. Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht im Personalaufbau des Staates einen Beitrag zur Arbeitskräfteknappheit in der Privatwirtschaft. BDI-Präsident Siegfried Russwurm vermisst den Bürokratieabbau. Mit der Ausweitung der Beschäftigung beim Staat gingen etwa keine Fortschritte beim Thema Genehmigungsbeschleunigungen einher.

Stellenabbau in Industrie nur „temporäres Phänomen“?

In Summe tragen zahlreiche Entwicklungen zur Ausweitung der Staatsquote – also dem Verhältnis der Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt – bei.  Neben einem faktischen Bildungsmonopol und einem stark regulierten Gesundheitswesen verschafft sich der Staat auch selbst Beschäftigung – durch immer neue Regulierungen und deren Umsetzung.

Enzo Weber sieht einige Bereiche des staatlichen Personalaufbaus jedoch auch als unvermeidlich. So hätten etwa die Fluchtbewegung von 2015 und durch den Ukraine-Krieg zusätzliche Verwaltungsaufgaben unvermeidlich gemacht. Im Beschäftigungsabbau bei der Industrie sieht Weber ein temporäres Phänomen, das durch die Krisen bedingt sei. Eine dauerhafte Deindustrialisierung befürchtet er nicht.



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