„Big Brother“ auf hoher See: EU fordert Kameras an Bord von Fischereifahrzeugen

Ein neues EU-Regelwerk legt fest, dass Fischereifahrzeuge künftig mit Überwachungskameras ausgestattet werden sollen. Ein niederländischer Politiker kritisiert die Pläne und bezeichnet den zu erwartenden Verwaltungsaufwand als „Fisch-Bürokratie“.
Titelbild
Moderne Fischereischiffe bei dunstigem Wetter im Hafen von Stellendam, Provinz Zeeland, Niederlande.Foto: iStock
Von 1. Juni 2023

Die Europäische Union fordert künftig Kameras an Bord von Fischereifahrzeugen. Damit will sie überprüfen, ob die Fischer die europäischen Vorschriften einhalten. In der Nacht zum 30. Mai einigten sich Unterhändler des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten auf eine Reform der gemeinsamen Regeln für den Fischereisektor.

Niederländische Fischer wehren sich seit Jahren gegen Europas „Big-Brother-Gesetz“, doch ohne Erfolg. Nach fünfjährigen Verhandlungen soll nun feststehen, dass die Kameras zur Pflicht werden. Diese sollen unter anderem überwachen, ob Seeleute unverkäuflichen Fisch über Bord werfen, was gegen die europäische Anlandeverpflichtung verstößt. Diese besagt, dass Fischer alle gefangenen Fische, die bestimmte Mindestgrößen oder Mindestartenkriterien erfüllen, an Land bringen müssen.

Früher warfen die Fischer ungewollt gefangene Fische oder Fische, die keinen kommerziellen Wert besaßen, zurück ins Meer. Auch, um die zulässige Fangquote nicht zu überschreiten.

„Fisch-Bürokratie“

Der niederländische EU-Abgeordnete Bert-Jan Ruissen war einer der Mitverhandelnden und ist gegen das Abkommen, wie die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ berichtete. Demnach sei dieser besonders über die Kameraüberwachung verärgert:

Es handelt sich hier um eine undurchführbare Maßnahme, die eine andere undurchführbare Maßnahme nach sich zieht.“

So bereite dem Politiker auch die neue „Fisch-Bürokratie“ große Sorgen. Bald müsse auf verarbeiteten Fischprodukten wie einer Dose Thunfisch angegeben werden, welcher Fischer den Thunfisch gefangen habe. Außerdem müsse jeder Fischer seinen Fanganteil genau angeben. „An sich ist die Rückverfolgbarkeit in Ordnung, aber das geht zu weit. Der Verwaltungsaufwand wird zu hoch“, meint Ruissen.

Der schwedische EU-Ratsvorsitzende Peter Kullgren betont laut „De Telegraaf“, dass viele bestehende europäische Vorschriften nur unzureichend befolgt werden. „Dieses Abkommen stellt sicher, dass die in der EU-Fischereipolitik verankerten Umweltprinzipien in die Praxis umgesetzt werden“, sagte der Minister für ländliche Angelegenheiten.

Datenerfassung über QR-Code-System

Die Kamerapflicht gilt für Schiffe mit mehr als 18 Metern Länge. Überdies müssen alle Mitgliedstaaten Systeme zur Ortung aller Fischereifahrzeuge einrichten und ihre Fänge digital melden. Dies gilt grundsätzlich auch für kleine Schiffe von weniger als zwölf Metern Länge. In begründeten Fällen sind hier jedoch bis zum Jahr 2030 Ausnahmen möglich.

Angaben über die Herkunft von frischem und gefrorenem Fisch sollen künftig über ein QR-Code-System erfasst werden, was in fünf Jahren auch auf Produkte mit verarbeitetem Fisch ausgeweitet werden soll.

Wie aus dem Gesetzesvorschlag weiter hervorgeht, müssen die Fischereifahrzeuge mit einem Ortungssystem ausgestattet sein. Sportangler werden mit mehr Bürokratie konfrontiert: Sie müssen Fänge bestimmter Arten melden und ebenfalls ihre Fänge digital übermitteln. Die EU hält die Regeln für notwendig, um die Fischerei nachhaltiger zu machen.

Scharfe Kritik von niederländischen Fischern

Die Stiftung EMK (Eendracht Makes Strength Foundation), die aus niederländischen und belgischen Fischern besteht, kritisiert die neuen Bestimmungen scharf. Auf ihrer Website nennt EMK als Ziel, sich gegen den Druck aus Europa zu vereinen. Darin heißt es: „EMK lehnt den Anlandezwang, die Sperrgebiete und Windparks in der Nordsee entschieden ab“.

Und in einem Twitter-Beitrag teilen die Fischer mit: „Überwachung des Meeres; Kontrolle mit Drohnen; Überwachung mit Logbuch; Kontrolle mit Tracking-System 24 Stunden/7 Tage; Kontrolle bei der Fischauktion; und ab sofort: verpflichtende Überwachungskameras an Bord“. Ihre Frage dazu lautet: „Was haben die Politiker davon, die dafür verantwortlich sind?“

Ein anderer niederländischer Fischer postet ebenfalls ein Protest-Video auf Twitter. Dazu zählt er in Stichworten seine Reaktion auf die obligatorische Kameraüberwachung auf Fischereifahrzeugen auf:
– Schwerer Eingriff in die Privatsphäre
– Eine auf Misstrauen basierende Regierungspolitik erzeugt nur weiteres Misstrauen
– Unpraktikable Vorschriften, zusätzlich zum hohen Verwaltungsaufwand
– Nachteilige Auswirkungen der Anlandeverpflichtung

EU will Zugang zu Daten der Mitgliedstaaten

Laut dem 100-seitigen Regelwerk muss die EU-Kommission Zugriff auf bestimmte Informationen der Mitgliedstaaten erhalten, darunter Schiffspositionsdaten oder Daten über Fischereitätigkeiten, „um ihren Pflichten im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik nachkommen zu können“. Auch personenbezogene Daten könnten darin enthalten sein.

Interessant ist auch, dass bestimmte Begriffsänderungen laut der EU-Verordnung geplant sind. So soll insbesondere der Begriff „Daten des Schiffsüberwachungssystems“ durch die Formulierung „Schiffspositionsdaten“ ersetzt werden.

Zudem sollen die Strafen innerhalb der Mitgliedstaaten vereinheitlicht werden. Bislang fielen diese für Fischer bei Verstößen gegen Fangquoten und andere Vorschriften sehr unterschiedlich aus. Künftig wird der Berechnung der Strafe grundsätzlich der Wert des Fangs zugrunde gelegt.

Überdies beinhaltet die Gesetzesvorlage noch viele weitere Punkte, die geregelt werden: unter anderem Fischerei-Überwachungszentren, Pflichten bei den Fangmeldungen, Genehmigungen zur Umladung in Drittländer, Kontrolle der Fangkapazitäten, Kontrollen in der Lieferkette von Fischerei- und Aquakulturerzeugnissen, Transportdokumente, Inspektionen und Prüfungen.

Toleranzmargen für Fischer

Die EU-Kommission hatte bereits im Frühjahr 2018 eine Reform der Kontrollvorgaben für die Fischerei vorgeschlagen. Die Mitgliedstaaten verhandelten anschließend jedoch drei Jahre, um sich auf eine gemeinsame Position zu einigen. Nachfolgende Verhandlungen mit dem EU-Parlament zogen sich ebenfalls in die Länge.

Ein zentraler Streitpunkt waren die Toleranzmargen für Fischer: die Differenz zwischen der Schätzung der gefangenen Fische und dem Ergebnis der Gewichtung im Anlandehafen. Sie liegt bislang bei zehn Prozent, einige Länder hatten auf eine spürbare Anhebung gedrungen.

Die Kommission hatte deshalb im Laufe des Verfahrens sogar mit einem Rückzug des Gesetzentwurfs gedroht, sollten die Toleranzmargen am Ende zu großzügig ausfallen. Grundsätzlich wurde nun an der Zehn-Prozent-Marge festgehalten. In Ausnahmefällen sind aber bis zu 20 Prozent möglich.

Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten müssen der erzielten Einigung noch endgültig zustimmen. Normalerweise ist diese Abstimmung reine Formsache.

(Mit Material von afp)



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