Wirtschaftsannäherung? Was Peking mit dem Staatsbesuch in Berlin bezweckte

Warum hat Chinas neuer Ministerpräsident auf seiner ersten Auslandsreise ausgerechnet Europa besucht? Epoch Times sprach mit zwei China-Kennern.
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Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen am 20. Juni 2023 im Berliner Kanzleramt zu den Medien.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von und 29. Juni 2023

Die erste diplomatische Auslandsreise des chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang führte ihn vergangene Woche nach Europa. Er suchte nach Wegen, die Wogen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Peking und Europa zu glätten.

Lis sechstägiger Besuch der führenden EU-Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich fiel jedoch mit der Veröffentlichung des neuen EU-Strategiepapiers zum Umgang mit wirtschaftlichen Abhängigkeiten und damit verbundenen geopolitischen Risiken zusammen.

Das am 20. Juni veröffentlichte Papier zielt vor allem auf China ab, auch wenn das Land nicht namentlich erwähnt wird. Brüssel will die 27 EU-Mitgliedstaaten überzeugen, sich auf strengere Kontrollen von Technologieexporten und -abflüssen zu einigen.

EU-Diplomaten zufolge kann es noch einige Monate dauern, bis die Strategie konkrete Form annimmt. Dennoch sei sie ein wichtiger erster Schritt.

Peking misst Handelsbeziehungen nach EU großen Wert bei

Li ist seit diesem März Ministerpräsident Chinas. Er war am 20. Juni zu Regierungsgesprächen in Berlin, bevor er zu seinem ersten offiziellen Besuch nach Frankreich weiterreiste.

Chinesischen Staatsmedien zufolge sei Lis erste Auslandsreise als Ministerpräsident nach Europa ein Indiz dafür, dass Peking dem Ausbau der Beziehungen zu Europa eine große Bedeutung beimisst. Von EU-Seite war die Reaktion vergleichsweise verhalten.

Prof. Li Yuanhua, der früher an einer Pekinger Universität arbeitete, sieht in dem EU-Strategiedokument eine Reaktion auf Xi Jinpings drakonische Null-COVID-Politik, die drei Jahre lang die weltweiten Lieferketten in Atem hielt.

„Die EU hat die Nachteile einer [von China abhängigen] Lieferkette für Europa gesehen“, sagte Li Yuanhua letzte Woche gegenüber Epoch Times.

Die neue EU-Politik ziele darauf ab, autoritäre Staaten daran zu hindern, sensible Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Mikrochips zu stehlen und sie im militärischen Bereich einzusetzen, so Li Yuanhua. Das wäre eine Bedrohung für die gesamte Menschheit.

EU-Standpunkt zur wirtschaftlichen Sicherheit

Chen Weijian, Chefredakteur von der chinesischsprachigen Monatszeitschrift Beijing Spring aus den USA, die über die Demokratiebewegung in China berichtet, erklärte gegenüber der Epoch Times, dass die Vorsicht der EU in Bezug auf Handelsbeziehungen mit der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) schon vor dem Strategie-Papier offensichtlich war.

In der 14-seitigen strategischen Empfehlung äußerte sich die Europäische Kommission besorgt über die schlechten Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten und die mangelhaften Handelsregeln. Aktuell sei es für Systemgegner leicht, der EU-Wirtschaft oder Herstellern die Schlinge um den Hals zu legen. Dieses Problem müsse dringend angegangen werden, so die Kommission.

Die EU-Kommission betrachtet den Export und die gemeinsame Nutzung neuer Technologien wie KI und Quantencomputer, Halbleiter oder Biotechnologie mit feindlichen Nationen als potenzielles Sicherheitsrisiko. Insofern will sie die Lieferkette für sicherheitsrelevante Produkte für feindliche Nationen schließen, um das Durchsickern europäischer Technologien zu verhindern.

Zudem sollten EU-Länder potenzielle Rivalen und deren Unternehmen von wichtigen Infrastrukturen wie Häfen und Pipelines ausschließen. EU-Unternehmen sollte Export von militärischen Hightech-Anwendungen an potenzielle Rivalen verboten werden, heißt es in dem Papier.

Die Kommission hat eine Liste von Dual-Use-Technologien zur Risikobewertung vorgeschlagen, die der EU-Rat für Handel und Technologie bis September dieses Jahres annehmen könnte. Die Liste soll für jedes Land „das Risiko einer zivil-militärischen Verschmelzung und das Risiko des Missbrauchs dieser Technologien für Menschenrechtsverletzungen“ aufführen.

Die Diplomatie der KP Chinas in Europa

Li Qiang betonte während seiner Deutschlandreise, dass Peking gewillt sei, „die internationalen Industrie- und Versorgungsketten stabil zu halten und den Weltfrieden und Wohlstand zu erhalten“, so das chinesische Außenministerium.

Bei diesen Worten schrillen förmlich die Alarmglocken. Sie machen deutlich, dass China immer noch eine wichtige Rolle in der internationalen Lieferkette spielt.

Die Realität in China sieht jedoch anders aus, sagte Prof. Li Yuanhua im Interview: „Chinas Wirtschaft steht am Rande des Zusammenbruchs und benötigt dringend ausländische Kapitalspritzen und Aufträge aus dem Ausland.“ Das Land stehe unter enormem wirtschaftlichem Druck.

Die KPC sei bestrebt, den Handel mit Europa zu verstärken, um ihre Wirtschaft zu retten. Von den USA gebe es keinerlei Unterstützung. Allerdings sieht er in den Worten gleichzeitig eine subtile Warnung an die EU, dass ein Rückzug aus dem Handel mit China schlecht für den Weltfrieden wäre.

Eine weitere Mission des Ministerpräsidenten auf seiner Reise bestehe darin, „Europa auf der diplomatischen Bühne zu beeinflussen, sich der KPC anzunähern, um ein Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten zu schaffen“.

Rolle der USA

Peking ist sich bewusst, dass die Vereinigten Staaten zwangsläufig Sanktionen gegen sie verhängen werden und das sei unabhängig davon, welche Partei an der Macht sei.

„Die öffentliche Meinung und ihre globale Strategie verlangen von den USA, die Expansionsbestrebungen der KPC in Schranken zu weisen und auszugleichen“, so Prof. Li Yuanhua. „Denn dieses despotische Regime schadet dem Volk.“

Daher könne die KPC nur darauf hoffen, sich mit den europäischen Mächten zu verbünden, um den US-Sanktionen zu widerstehen, so der Professor weiter.

Chefredakteur Chen Weijan ist derweil überzeugt, dass sich die zunehmend kritische Haltung der EU gegenüber der KPC nicht so leicht ändern wird und „vor allem nicht durch den Besuch eines chinesischen kommunistischen Führers oder oberflächliche rhetorische Floskeln“.

Hinzu komme, dass der chinesische Staatschef Xi Jinping zunehmend feindlich gegenüber den USA, westlichen Institutionen und Unternehmen vorgeht, sodass zahlreiche ausländische Unternehmen aus China geflohen sind.

Li Qiangs Besuch in Europa hat „wahrscheinlich keine greifbaren Ergebnisse gebracht“, so Chen.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: ANALYSIS: Chinese Premier Visits Europe as EU Proposes Economic Security Strategy (deutsche Bearbeitung nh)



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