Bonsai: Windgepeitschte Miniaturen der Natur

Was wünscht sich ein Bonsaikünstler? Oft will er einen Baum, so schnell wie möglich, so alt wie möglich erscheinen lassen – ihm einen Charakter verleihen. Wie geht das?
Titelbild
Suhama – eine ursprüngliche Form von Bonsai. Der Bonsai-Anbau kam im 11. Jahrhundert n. Chr. von China nach Japan. In Europa wurde Bonsai 1878 auf der Weltausstellung in Paris präsentiert.Foto: Public Domain
Von 17. Februar 2024

Anna Lindmark in Bygdsiljum, Västerbotten, widmet sich seit über 30 Jahren der Kunst des Bonsai. In ihrem Garten wachsen die Minibäume sowohl geschützt, also auch im Freien. Worauf kommt es ihr an?

Bonsai-Künstler streben asymmetrische Formen und ein altes Aussehen an, sagt sie. „Ein Bonsai ist eine Interpretation der Natur, ähnlich wie wenn man ein Gemälde malt oder eine Skulptur anfertigt. Und es sollte nicht nur wie ein Baum aussehen, sondern auch den Eindruck erwecken, dass er Charakter hat und etwas erlebt hat.“

Während einige Bonsai-Künstler ein besonderes Interesse an exotischen Pflanzen oder der japanischen Kultur haben, geht es ihr als Bonsaigärtnerin darum, den Baum zu einem Abbild zu formen, wie er in der freien Natur auch hätte entstehen können.

Anna Lindmark widmet sich als Gärtnerin Bonsai-Bäumen. Foto: privat

Es geht um Charakter

„So wie jemand eine Landschaft malen möchte, können Sie ein Bild mit etwas Lebendigem schaffen. Es ist eine zusätzliche Herausforderung, weil es sich verändert und widersetzt“, sagt Lindmark.

Es gehe nicht darum, die Natur zu kopieren. Vielmehr orientiere sie sich an ihr und nehme bestimmte Merkmale der Bäume wahr. Ihr Gespür für die Suche nach Besonderheiten wächst, wenn sie Bäume in freier Natur betrachtet.

Ein einfaches Beispiel: eine alte Kiefer hat einen Stamm, der sich allmählich verjüngt und an der Unterseite dickere Äste aufweist. Das gleiche Aussehen wird für eine kleine Kiefer angestrebt, die geschnitten und zu einem Bonsai geformt wird.

Wer in der Natur unterwegs ist, kann auf diesen typischen Triangel-Stil achten. Oder auch nach verschiedenen Alterserscheinungen suchen: eine alte Eiche hat einen großen Stammumfang, eine breite Krone, knorrige Äste und viele Verzweigungen. Auch abgestorbene Teile weisen auf das Alter hin.

Besonders bei Nadelbäumen ist es ein Zeichen des Alters, dass die Äste aufgrund des Gewichts nach unten zeigen. Anna Lindmark vergleicht es mit den Bäumen, die wir als Weihnachtsbäume nehmen. Diese sind jung und deren Zweige stehen gerade ab.

Um das Aussehen der Bonsai-Bäume zu verändern, werden Metalldrähte verwendet. Die Zweige werden damit umwickelt, um diese zu biegen und sie an eine andere Form zu gewöhnen. „Damit sie wie alte Bäume aussehen“, so Lindmark.

Typische Bonsai-Stile

In der Bonsai-Kunst gibt es eine Reihe typischer Stile. Gärtner können diese auswählen und sie auch in der Natur erkennen. „Es handelt sich um Vorlagen, die das Wachstum unterschiedlicher Charaktere und verschiedener Arten von Bäumen beschreibt.“

Sie orientieren sich an den Wachstumsmustern der japanischen Bäume, die sich von denen der nördlichen Hemisphäre unterscheiden.

Einige der Bonsai-Stile, die in der Natur zu finden sind und in einem Bonsai nachgeahmt werden können. Foto: Anna Lindmark

In Schweden sind beispielsweise viele hohe und gerade Kiefern zu sehen. Dieser Stil wird als „streng aufrecht“ bezeichnet.

Je älter Kiefern werden, desto flacher sehen sie aus. Ihre Form wird runder und die Spitze steht weniger hervor. Die Spitze kann also zeigen, ob der Baum älter oder jünger ist. Wenn sie nach oben zeigt, ist die Kiefer noch nicht so alt.

Ein anderer Stil wird als locker aufrecht“ bezeichnet. Der Stamm ist krumm und schwingt erst in die eine, dann in die andere Richtung, aber der Schwerpunkt des Baumes liegt über den Wurzeln. Die meisten Bonsaibäume haben diesen Stil. In der Natur findet man solche Bäume zum Beispiel auf Gotland“, sagt Lindmark.

Für Laubbäume ist die „Besenform“ typisch: Der Stamm teilt sich in viele Äste.

Ein Bonsai in typischer Besenform bei einer Ausstellung. Foto: Anna Lindmark

Ein Baum, der an einem Hang wächst, kann eine Wachstumsform entwickeln, die stark herabfällt. Dieser Stil wird „Kaskade“ genannt.

Ein anderer Baum, dessen Wachstumsstandort viel Wind ausgesetzt ist, kann ein „windgepeitschtes Aussehen“ entwickeln. Hier scheint sich der Baum in eine Richtung zu strecken. Und Bäume mit sehr weichen, herabhängenden Ästen bekommen einen Stil wie eine „Trauerweide“.

Und die vorwiegend traditionelle japanische Form heißt „literati“, mit „einem gekrümmten Wuchs und nur wenigen Zweigen. An der Spitze ist er grün.“

Die Geschichte der Bäume

In der Bonsai-Gärtnerei können auch mehrstämmige Bonsai angelegt werden, beispielsweise ein kleiner Wald, eine Baumgruppe. Oft sieht man auch zwei oder drei Bäume zusammen. Wird jedoch eine Baumgruppe zusammengestellt, muss die Anzahl der Bäume ungerade sein.

Anna Lindmark erzählt, dass man einen Teil der Geschichte eines Baumes herauslesen kann, indem man ihn betrachtet. Eine schiefe Kiefer in der Natur kann beispielsweise auf einem Erdreich gewachsen sein, das irgendwann auf einer Seite eingestürzt ist. „Dann ist sie weitergewachsen und ist schief geworden. So blieb sie dann und die Äste haben begonnen, sich an den Hang anzupassen. Das ist ein Modell für den schiefen Bonsai-Stil.“

Ein Baum mit schiefem Wuchs verrät einen Ausschnitt seiner Entstehungsgeschichte. „Möglicherweise ist er irgendwann gefallen. Er starb nicht, sondern wuchs weiter.“

Als Bonsaizüchter strebt sie auch danach, eine große und starke Wurzel für ihren Bonsai zu bekommen. „Es sollte so aussehen, als ob er feststeht und schon lange da ist“, sagt Lindmark.

Neben dem Schneiden eines Baumes könnten auch die Blätter entfernt werden. Dadurch entstehen neue Äste. „Für jedes Blatt entsteht ein neuer Trieb. Wenn Sie also alle Blätter entfernen, erhalten Sie in diesem Jahr doppelt so viele Zweige, als wenn die Pflanze die Blätter abwirft und im nächsten Jahr einen neuen Zweig bekommt.“

Eine weitere Sache, mit der die Natur nachgeahmt werden kann, sind abgestorbene Pflanzenteile. Bei Kiefern sind insbesondere die Äste am unteren Ende abgestorben. Aber sie bleiben bestehen und haben keine Rinde mehr. „Wir übernehmen das, weil es ein Ausdruck des Alters ist.“

Die große Kiefer weist viele Altersspuren auf. Bonsai-Bäume sollte man ein wenig von unten ansehen, um eine Perspektive zu bekommen, als stünde man unter dem Baum in der Natur. Foto: Anna Lindmark

Baumschäden zeigen in der Natur, dass es ihn schon eine Weile gibt. Möglicherweise nagte ein Elch einen Teil der Rinde ab. Der Baum versuchte dann, sich an dieser Stelle zu erneuern, und man kann einen Auswuchs am Stamm sehen. „Der Baum ist nicht tot, aber man kann sehen, dass er einen entrindeten Teil hat. Das verwenden wir auch als Gestaltungselement für den Bonsai.“

Solche Schäden am Bonsai können entweder natürlich vorkommen oder vom Bonsaigärtner verursacht werden, indem er etwas Rinde abschält. „Es wird eine erfundene Geschichte sein. Es sieht zunächst vielleicht künstlich aus, aber nach ein paar Jahren wird es silbergrau und schön sein.“ Bäume in der Natur können eine tote Krone haben, auch dies kann am Bonsai nachgeahmt werden.

Geduld, Geduld, Geduld

Sie selbst hat etwa 25 Bonsai im Garten und einige im Haus, doch bisher war sie mit einem Bonsai noch nie rundum zufrieden. Und aller gärtnerischer Arbeit zum Trotz:

Selbst wenn Sie denken, dass der Baum auf eine bestimmte Art und Weise aussehen sollte, trifft das nie ein.“

Für sie als Bonsai-Künstler gibt es weiterhin viel zu lernen. „Ich bin noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem ich sagen kann: ‚Das ist perfekt‘ oder ‚Ich könnte nichts mehr anders machen‘.“ Hin und wieder bekommt sie neue Ideen oder es passieren Dinge, an die sie vorher nicht gedacht hat.

Eines gibt sie noch als Rat weiter. Es sei leicht, Teile zu entfernen. Doch wenn das geschehen ist, benötigt es viel Zeit, bis es herausgewachsen ist. Bei einem Bonsai-Künstler ist viel Geduld gefragt.

Bonsai – Pflanze in der Schale

Bonsai bedeutet wörtlich „Pflanze in der Schale“ (aus dem japanischen: bon = Schale, sai = Pflanze) und ist zum Synonym für die Kultivierung von Miniaturbäumen in wunderschönen Töpfen geworden. Bonsai kann als Hobby oder als Kunstform angesehen werden. Oft steht auch dahinter das Interesse an der östlichen Kultur und der Mystik rund um den Bonsai.

Beim Bonsai geht es darum, in kleinem Maßstab die Vision eines ausgewachsenen Baumes zu vermitteln. Für einen Bonsai werden ganz gewöhnliche Gehölze verwendet. Kleine Blatt- und Nadelbaumarten erleichtern es, einen möglichst proportionalen Baum zu erhalten. Gleichzeitig kann ein unverhältnismäßig großes Blatt eine Ansammlung von Blättern symbolisieren.

Historisch gesehen geht man davon aus, dass die Bonsaipflanzen ihren Ursprung in China haben, wo sie im 7. Jahrhundert in der Literatur erwähnt werden. Die Anbauform gelangte dann im 11. Jahrhundert nach Japan und wurde dort weiterentwickelt.

Pflege: Bonsai benötigen gut durchlässigen und porösen Boden. Sie brauchen auch Düngung, nur ein wenig, aber oft. Richtiges Gießen ist wichtig. Die meisten Bonsai sterben aufgrund von Überwässerung oder Dürre – sofern ihr Besitzer nicht gut genug mit seinem Bonsai vertraut ist.

Dieser Artikel erschien im Original auf epochtimes.se unter dem Titel: Bonsaier – tolkningar av träden i naturen (redaktionelle Bearbeitung kk).






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