Berlinale künftig als Provinztheater? Claudia Roth stößt mit Intendanzmodell auf Gegenwind

In einem offenen Brief haben bereits mehr als 400 Regisseure und Schauspieler gegen Kulturstaatsministerin Claudia Roth protestiert. Auslöser ist das Ende des Vertrages für den künstlerischen Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) sagt: «Wir es uns gar nicht leisten, die Berlinale nicht glänzen zu lassen.»
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) sagt: „Wir können es uns gar nicht leisten, die Berlinale nicht glänzen zu lassen.“
Von 8. September 2023

Gegenwind aus der internationalen Filmszene erhält derzeit Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Mittlerweile haben dem Magazin „Variety“ zufolge bereits mehr als 400 Regisseure, Schauspieler und weitere Kulturschaffende aus aller Welt einen offenen Brief unterzeichnet. Ihr Protest richtet sich gegen das Vertragsende für den künstlerischen Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian.

Die Filmschaffenden attestieren Roth dabei ein „schädliches, unprofessionelles und unmoralisches Verhalten“. Sie werfen der Kulturstaatministerin vor, Chatrian zum Rückzug zu zwingen, „obwohl sie versprochen hatte, seinen Vertrag zu verlängern“.

Zu den Unterzeichnern gehören bislang unter anderem Starregisseur Martin Scorsese und „Twilight“-Protagonistin Kristen Stewart. Diese war 2023 auch Jury-Vorsitzende der Berlinale. Insgesamt verteilen sich die Unterstützer herkunftsmäßig über den gesamten Globus.

Claudia Roth will Intendanzmodell für Berlinale durchdrücken

Am Samstag, 2. September, hatte Chatrian auf der Website der Berlinale ein persönliches Statement veröffentlicht. In diesem beklagte er die neue Struktur, die Claudia Roth dem Festival verordnet hatte. Diese mache deutlich, dass „die Bedingungen für mich, als künstlerischer Leiter weiterzumachen, nicht mehr gegeben sind“. Er habe auf Kontinuität gehofft, wenn er weiterhin Teil des Festivals bleibe; dies sehe er unter den neuen Verhältnissen jedoch nicht gegeben.

Zuvor hatte Roth angekündigt, das seit 2019 amtierende Führungsduo aus Chatrian und Mariette Rissenbeek durch ein Intendanzmodell zu ersetzen. Die Intendantin oder der Intendant soll dann die künstlerische und wirtschaftliche Leitung in einer Person vereinen. Dies, so die Staatsministerin, sei „eine notwendige Korrektur gegenüber der vor fünf Jahren eingeführten Struktur“.

Um einen neuen Intendanten zu bestimmen, soll es nun eine Findungskommission unter Roths Vorsitz geben. Chatrian erklärte daraufhin, nach der für Februar geplanten Berlinale 2024 das Festival zu verlassen.

Retrospektive wird 2024 nicht mehr Teil des Programms sein

Am Mittwoch ließ Claudia Roth über einen Sprecher mitteilen, dass sie Chatrians Entschluss „sehr bedauert“. Aus Gesprächen habe sie den Eindruck gewonnen, „dass bei Herrn Chatrian Bereitschaft bestünde, mit einer neuen Intendanz das Gespräch aufzunehmen“.

In den Reihen der Unterzeichner des offenen Briefes hingegen hegt man den Verdacht, Claudia Roth würde Chatrian einem geplanten finanziellen Kahlschlag opfern. Im Juli machten erstmals Meldungen über einen drastischen Sparkurs bei der Berlinale die Runde. Ab 2024 sollen deutlich weniger Filme zu sehen sein. Dazu werde man Reihen für den deutschen Nachwuchs und für Serien streichen und Sektionen zusammenlegen.

Erst kürzlich hatte auch die Deutsche Kinemathek verkündet hat, die Retrospektive drastisch zu reduzieren. Diese gilt als eines der Aushängeschilder der Berlinale. Im nächsten Jahr soll sie vollständig ausfallen und damit auch die Auszeichnung mit dem „Ehrenbär“.

Wird die Berlinale systematisch kaputtgespart?

Im offenen Brief klingt zwischen den Zeilen der Vorwurf an, Roth habe Chatrian auch deshalb loswerden wollen. Dieser habe für professionelle und innovative Arbeit eine angemessene Ausstattung verlangt.

Chatrian, so heißt es in dem Schreiben, „mag kein Showman sein“. Mit seiner ruhigen Art hätten er und sein Team jedoch „einen offenen und künstlerisch lohnenden kuratorischen Weg eingeschlagen“. Dessen Kernanliegen seien gewesen, „neue Richtungen im internationalen Kino aufzuzeigen, Stereotypen infrage zu stellen und verschiedene Stränge des Filmemachens miteinander zu verbinden“.

Dies habe der künstlerische Leiter trotz Corona und bestehender finanzieller Einschränkungen bewerkstelligen können. Unter seiner Leitung sei die Berlinale stets „sehr lebendig, voller positiver Überraschungen und trotz einer geringeren Anzahl gezeigter Filme sehr beliebt“ gewesen.

Potenzielle Nachfolgerin hat Claudia Roth bereits abgesagt

Die Internationalen Filmfestspiele Berlin, wie die Berlinale offiziell heißt, finden seit 1951 jährlich statt. Im Jahr 1951 hatte der für die Berliner Filmindustrie zuständige Officer der Militärregierung der Vereinigten Staaten das Festival initiiert. Damit wollte man dem Festival des volksdemokratischen Films in Ostberlin etwas entgegensetzen, das im selben Jahr erstmals stattfand.

Ein Darlehen der amerikanischen Administration stellte die Berlinale in ihren ersten Jahren sicher. In den weiteren Jahren stieg das Festival zu einer der bedeutendsten Filmveranstaltungen in Europa auf. In der Fachwelt hat sie mittlerweile eine ähnliche Bedeutung wie die Festivals in Venedig oder Cannes.

Nun droht der Abstieg in die Provinzialität. Kommt Claudia Roth den Forderungen der Regisseure nach Vertragsfortsetzung für Chatrian nicht nach, könnten viele fernbleiben. Noch schwerer wiegt, dass sich das Sparprogramm auch auf die Qualität der Berlinale auswirkt. Zudem hat Roth offenbar noch keine potenziellen Nachfolger bei der Hand. Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) zufolge hat eine mögliche Kandidatin bereits abgesagt. Dies geschah offenbar noch vor Publikation des offenen Briefes.

Politische oder ideologische Gründe dürften hingegen keine Rolle bezüglich des Zerwürfnisses gespielt haben. Carlo Chatrian war bis dato zwar kaum selbst mit ideologischen Statements in der Öffentlichkeit wahrnehmbar, als Bollwerk gegen betreutes Denken trat die Berlinale jedoch unter seiner Ägide nicht in Erscheinung.

Auch hatten Demokratieaktivisten aus Hongkong zum Boykott der Berlinale 2020 aufgerufen. Die Aktivisten warfen der Leitung vor, ähnlich wie viele Hollywood-Studios vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem KP-Regime zu praktizieren. Auf diese Weise versuchten westliche Filmemacher, sich den Zugang zum chinesischen Markt abzusichern.



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