Das leerste Bild der Welt

Die Position des Menschen im Universum beschäftigte Friedrich besonders und gerade „Der Mönch am Meer“ reicht weit ins Geistige, ja Metaphysische hinein
Titelbild
Foto: www.zeno.org - Zenodot Verlagsgesellschaft mbH
Von 16. Oktober 2010

„Es ist, als ob einem die Augenlieder weggeschnitten wären“, fasste Heinrich von Kleist die unheimliche Weite in Worte, mit der sich der Betrachter konfrontiert sieht. Das reduzierteste und leerste Bild, das die westliche Kunstgeschichte bis dato kannte: Caspar David Friedrichs (1774 – 1840)  „Mönch am Meer“ aus dem Jahre 1810.

Einöde und Unendlichkeit öffnen sich dem Blick. Ein winziger Mensch steht einem unerklärlichen, von Düsternis erfüllten Kosmos gegenüber. Der 15-jährige Prinz Friedrich Wilhelm IV. erkannte die Bedeutsamkeit des Werkes und überredete seinen Vater Friedrich Wilhelm III. zum Ankauf, weshalb es heute in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen ist.

Landschaft als Spiegel der Seele

Ganz im Geist der Romantik wird hier eine Landschaft zum Spiegel der Seele und zeichnet ein ambivalentes Bild: Die zugespitzte Erfahrung der Einsamkeit, Stille und Machtlosigkeit auf der einen Seite, trifft andererseits auf die Grenzenlosigkeit des Möglichen. Eine Sinfonie aus Düsternis und Licht entfaltet sich dem aufmerksamen Betrachter.

Wenigstens an der Figur des Mönches finden die Augen Halt. Er steht auf hellem Strand, halb vor weißem, halb vor schwarzem Hintergrund. Denn auf der Höhe seines Oberkörpers taucht er wieder ins dunkle Meer ein. Obwohl so wenig abgebildet zu sein scheint, ist dies eine der inhaltsreichsten und plastischsten Naturschilderungen Friedrichs. Man fühlt die Schwere der Wolken, das Gewicht des Wassers und des gleichmäßig wogenden Ozeans.

Die Dunkelheit ist am tiefsten am Horizont, wo Wasser an Wolken grenzt. Die Küste ist weder schroff noch einladend. Hügelig und leicht holprig durch die Sanddünen, doch unprätentiös geschildert. Friedrich gelang eine Eintönigkeit, die so selbstverständlich wie unangenehm ist. Die Bildelemente konkurrieren nicht, sondern ergänzen einander. Es ist dies keine heroische Landschaft, die durch Farbigkeit und Formationen beeindruckt oder erhebt.

Gleichgültige Natur

Wenn Friedrich in so vielen Bildern die Schönheit der Natur mit schillernden Sonnenuntergängen oder Vollmonden inszenierte, dann zeigt er sie hier von der erschreckendsten Seite: Ihre absolute Gleichgültigkeit dem Menschen gegenüber manifestiert sich in der Verweigerung jeglicher Farbigkeit. Und die Komposition spricht dieselbe radikale Sprache.

Eine beinahe gerade Linie bildet den Strand, der Horizont ist eine Gerade. Das Meer erscheint dunkel und unüberwindbar, große und gleichmäßige Wellen werfend. Eine graue Wolkenwand erhebt sich darüber. Undurchdringlich für den Blick des Betrachters, erstreckt sie sich auf der gesamten Breite. Was sich wohl dahinter verbirgt?

Tröstende Details

Ganz oben im Bild gibt es ein Stück offenen Himmel. Einen Bereich, der nicht von Wolken erreicht werden kann. Die Farbe des Himmels selbst ist gräuliches Blau, schal und metallisch. Sie hebt sich auf den ersten Blick kaum vom Rest des Bildes ab. Wo die Wolkenwand in ein paar abgerissenen Wölkchen endet, scheint der Himmel heller erleuchtet, scheint die unsichtbare Sonne versteckt zu sein. Der Wolkenrand wird von ihren Strahlen berührt. Es gibt also doch Hoffnung, dass sie sich noch zeigt.

Das Bild ist auf Fernwirkung komponiert, aber bis ins kleinste Detail liebevoll ausgeführt: Erst wenn man sehr nahe herangeht, ab einem halben Meter Entfernung, erkennt man, dass der Strand keineswegs Wüste ist. Außer dem Menschen existiert noch Lebendiges: Grasbüschel wachsen auf den Dünen, selbst einzelne Halme wurden gemalt. Winzige rote Pünktchen stellen Blumen dar. Weiße Möwen fliegen umher und umkreisen den Mönch. Auch gibt es auf den Wellen helle Schaumkronen.

Der Mönch denkt nach

Man erkennt, dass Friedrich einen jungen Mönch malte mit langen, rotblonden Locken. Barfuß steht er abgewendet vom Betrachter, das Gesicht zum Meer.  Nachdenklich stützt er die rechte Hand an die Wange.

Friedrich malt eine Figur in s-förmiger Körperhaltung, deren Füße unrealistisch angeordnet sind, denn Menschen darzustellen war nicht seine Stärke. Der Mönch scheint an die Spitze des Strandes geschritten sein, um in die Weite zu blicken. Passend dazu macht die Wolkenwand über seinem Kopf eine Biegung abwärts, die den Blick sanft auf ihn lenkt. So wird er Dreh- und Angelpunkt des Bildes.

Unglaublich tief und dicht sind die Wolken geschichtet. Eine multidimensionale Raumerfahrung steckt in dieser nebeligen Wand. Der Farbauftrag ist durch seine vielen Schichten so dicht, dass man keine Leinwandstruktur mehr wahrnimmt. Friedrich arbeitete sogar mit Kratztechnik, um einige optische Erhöhungen in die Wolkenmasse am Horizont zu bringen.

Einige möchten in dieser reduzierten Bildsprache die Vorahnung der Abstraktion sehen. Doch  war Friedrich absolut der in Landschaften denkende Erzähler. Abstraktion findet nicht statt, vielmehr ist es eine intensive, bis ins Detail ausgefeilte Naturdarstellung, wie sie nur Friedrich gelingen konnte. Das Bild ist nicht leer, sondern zum Bersten gefüllt, eine große Kraftanstrengung und Ausdauer war nötig, um es zu malen. Der Pinselstrich ist überall im Gemälde so fein, dass er kaum sichtbar ist.

Botschaft der Transzendenz

Heutzutage sieht man Friedrichs Werke als Seelenlandschaften und Abbildungen des Inneren. Manchmal formulieren sie politische Aussagen über das Deutschland der Restauration. Dies soll nicht ablenken vom Aspekt der Transzendenz, der sich wie ein Leitmotiv durch das Schaffen des Malers zieht. Die Position des Menschen im Universum beschäftigte ihn besonders und gerade „Der Mönch am Meer“ reicht weit ins Geistige, ja Metaphysische hinein.

In seiner Sicht auf das menschliche Leben übersteigt das Gemälde alle vorgefertigten Ideen und wird zur universell verständlichen Parabel.

Friedrich war Christ und bewiesenermaßen Freimaurer. Wenn alle Kulturen den Menschen als erlösungsbedürftig, weil seinem Schicksal ausgeliefert, betrachten, dann bildet Friedrich genau diese Idee ab. Dass er als Hauptperson einen Mönch wählt (es hätte ja auch ein bürgerlicher Spaziergänger sein können, der da aufs Meer hinausblickt),  ist ein weiterer Hinweis, dass er den Betrachter existenziell zum Nachdenken bringen will. Das Rätsel um den Sinn des Lebens muss es sein, worüber der Mönch nachdenkt. Denn automatisch identifiziert man sich mit ihm als einziger Figur. Er fragt sich, wie er aus der Hoffnungslosigkeit ausbrechen, in die bessere Welt hinter dem Horizont gelangen kann, von der ihn das schwarze Meer und die unüberwindliche Wolkenwand trennt. Er müsste wie die Möwen fliegen können, wird aber doch von der Erde festgehalten.

Man lasse seinen Blick langsam durch das Bild streifen. Verweile darin minutenlang. Strand, Meer, Wolkenwand und offener Himmel markieren die vier Ebenen des Bildes. Jede trägt ihre ureigenste Qualität. Je nachdem, wohin man die Aufmerksamkeit wendet, ändert sich die Perspektive auf die Welt und die Stimmung. Den Blick auf die Wolkenwand gerichtet, fühlt man sich überwältigt und erdrückt. Das Meer scheint unüberwindlich und endlos zu sein. Zur Erde gelenkt, findet man Gras und Blumen tröstlich, die kreisenden Möwen eine Abwechslung. Sobald man auf den Lichtschein am Himmel schaut, empfindet man das Bild strahlend und erhaben und vergisst, wie dunkel es gerade noch am Boden war.

In Gedanken kann auch der Mönch aus seiner Einsamkeit ausbrechen. Es liegt eben daran, aus welcher Perspektive man die Welt und das Leben betrachtet. Die Sonne existiert. Soviel ist sicher.

Foto: www.zeno.org – Zenodot Verlagsgesellschaft mbH

 



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