Sonntagsmärchen: Der Jüngling im Feuer und die drei goldnen Federn

Titelbild
Eine Statue des mittelalterlichen Greifs, einer Mischung aus Löwe und Vogel, auf der Spitze der Staatsoper in der Innenstadt von Dresden.Foto: iStock
Epoch Times9. Oktober 2022

Zwei blutarme Leute hatten ein Kind, das war ein Knäbchen und war gar schön und gut, so dass sie ihre größte Freude an ihm erlebten. Das dauerte aber nicht lange, da starb der Mann und der armen Frau ging es herzlich schlecht und sie kam in bittere Not. Darüber grämte sie sich so sehr, dass sie sich hinlegte und ihrem Manne nachstarb. Also stand das arme Kind ganz mutterseelenallein in der Welt und hatte Niemanden, der sich seiner annahm. Es bettelte sein Brot an den Türen und kam so jeden Tag in des Königs Schloss, da gab ihm der Koch die Reste, welche auf den Tellern übrig geblieben waren, die aß es im Schlossgarten unter einem Baume. Nun hatte der König ein Töchterchen, das war an demselben Tage geboren, wie das Knäbchen, und lief jeden Mittag nach Tische in den Garten, um zu spielen.

Da sah es denn jedes Mal, wie das arme Kind die geringen Bissen so gierig verschlang und das tat ihm sehr leid, denn es hatte ein gutes Herz. Es holte ihm Brot und Geld und gab ihm seine abgetragenen Kleidchen, brachte auch Spielsachen mit und die beiden Kinder spielten ganze Tage miteinander. So wuchsen sie auf und wurden größer, da nahm das Knäbchen im Schlosse Dienst und wurde als Hirte über das Federvieh gesetzt. Sie sahen sich jeden Tag vor wie nach und je länger es dauerte, um so mehr erkannten sie, dass sie eins ohne das andre nicht leben könnten.

Ein paar Jahre später kam ein mächtiger Königssohn zum Besuch an den Hof des Königs, dem gefiel die Prinzessin so gut, dass er sogleich um ihre Hand anhielt. Der König, welcher seine Tochter sehr liebte, sprach: „Ich gebe gern mein Jawort, wenn es ihr recht ist.“ Als der Königssohn aber der Prinzessin von seiner Liebe sprechen wollte, wies sie ihn ab und sprach: „Spart euch die Mühe, mein Herz gehört dem Gänsehirten an unserm Hofe und keinem andern; wenn ich den nicht bekomme, will ich nie heiraten.“

Darüber war der Prinz höchlich entrüstet, ging zum König und sagte es ihm wieder. Der König erzürnte sehr, als er das hörte und sprach: „Dem wollen wir bald abhelfen;“ ließ sofort den Hirten rufen und sagte: „Bereite dich zum Tode, morgen wirst du lebendig verbrannt, weil du dich vermessen hast, die Prinzessin zu lieben.“

Das war an einem Morgen, gerade als der Hirte sein Federvieh austreiben wollte. Er nahm seinen Hirtenstab und ging so recht von Herzen betrübt hinter seinen Gänsen, Enten und Hinkeln daher der Weide zu; da setzte er sich hin und weinte bitterlich, dass er die Prinzessin und sein junges Leben so bald verlieren sollte. Da stand plötzlich ein Greis neben ihm, der fragte ihn, was ihm fehle. Als der Jüngling ihm sein Leid geklagt hatte, sprach der Greis: „Gehe getrost in das Feuer, es wird dir nichts anhaben können, denn Gott kennt deine Unschuld und schützet dich.“

Da ging dem armen Jüngling das Herz auf, er fasste frischen Mut und zog Abends heitern Sinnes dem Schlosse zu. Da stand der Scheiterhaufen schon aufgerichtet und mittendrin der Pfahl, an welchen er gebunden werden sollte; die Prinzessin stand aber am Fenster und schaute mit weinenden Augen auf das Holz hin. Da rief ihr der Jüngling hinauf und schwenkte seine Mütze: „Lass deinen Kummer fahren und vertraue auf Gott, der wird uns helfen.“ Als sie sah, wie er so fröhlich war und gar keine Sterbensfurcht hatte, da kam auch über sie eine große Ruhe, warum das wusste sie nicht, aber sie konnte gar keine Angst mehr haben.

Am folgenden Morgen kamen die Henkersknechte zu dem Jüngling, um ihn zu binden, da sprach er: „Nehmt eure Stricke wieder mit, ich gehe gern in das Feuer“ und er kletterte auf den Scheiterhaufen hinauf und stellte sich an den Pfahl. Da schlugen die Flammen bald hoch empor und die Leute, welche umherstanden, hatten rechtes Mitleid mit dem Jüngling und sprachen: „Ach was muss dies für ein harter Tod sein!“ Er stand aber mitten in den Flammen und sang mit heller Stimme, und das Feuer versengte ihm nicht ein Haar. Als sich die Flammen nach und nach legten und nur die roten Kohlen noch glühten, da staunte das ganze Volk, als es den Jüngling mit seinen frischen roten Backen lachenden Mundes in der Glut stehen sah, wie er seine Mütze gegen das Schloss zu schwenkte. Da stand die Prinzessin nämlich, die winkte ihm mit ihrem Tuch und jetzt hatten sich die Beiden noch viel lieber als zuvor.

Da frohlockten die Leute und sprachen: „Das hat der liebe Gott um ihrer großen Treue willen getan.“ Der König frohlockte aber nicht, sondern befahl, den Jüngling als einen Zauberer in das Gefängnis zu werfen und alsbald ein ungeheures Haus von Stein zu bauen mit einem eisernen Tor; das ließ er mit Buchenreisig und Eichenholz füllen. Darin sollte der Jüngling verbrannt werden.

Als die Henkersknechte kamen, ihn zu binden, sprach er: „Lasst mich frei gehen, ich entlaufe euch nicht.“ Er ging frohen Mutes in das Haus, dessen eiserne Tür alsbald verschlossen wurde, nachdem das Holz angezündet war. Das Volk hatte jetzt erst rechtes Mitleiden mit dem Jüngling und murrte laut gegen den grausamen König, als die Flammen ihre roten Zungen aus dem Hause streckten. Es dauerte einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, ehe das Holz all verbrannt war, und an dem Tage und in der Nacht wurde viel geweint und blieb nicht manches Auge trocken.

Die Hitze war so groß, dass das eiserne Tor an dem Hause schmolz und am Schlosse des Königs alle Fenster zersprangen. Als aber die Flammen kleiner und kleiner wurden und das Prasseln und Knistern aufhörte, da klang mitten in der Feuersglut die Stimme des Jünglings hell und klar, wie vordem in dem Scheiterhaufen. Jetzt jauchzte das Volk laut auf, so dass der König nicht hätte wagen dürfen, dem Jüngling ferner Leid anzutun. Als die Glut fast ganz erloschen war, ging er aus dem Feuerhaus hervor und war schöner als je, so dass die Leute ordentlich Furcht vor ihm hatten und sprachen: „Man meint, einen Engel aus dem Himmel zu sehn.“ Er winkte der Prinzessin mit seinem Hut und sie winkte ihm mit ihrem Tuch und jetzt hätte nichts in der Welt die Beiden von einander trennen können.

Man sollte meinen, ein so großes Wunder hätte den König rühren müssen, aber er hatte ein Herz, wie von Stein und sann nur auf einen neuen Anschlag, den Jüngling zu verderben. Er ließ ihn zu sich rufen und sprach: „Ich will euch Beide in Gottesnamen zusammengehen, zuvor musst du mir aber drei goldne Federn vom Vogel Greif holen.“

Der Jüngling sprach: „Hat mich der liebe Gott zweimal aus dem Feuer gerettet, so werde ich auch dies noch erfüllen können; soll ich aber umkommen dabei: ei nun, ich bin Gott nur einen Tod schuldig und will ihn gern erleiden wo er will.“ „Geh du nur, du kommst nicht wieder“, dachte der König, denn der Vogel Greif ist ein Menschenfresser, dem man nicht so mir nichts dir nichts drei Federn ausrupfen kann.

Das Haus des Vogels Greif lag aber hinter drei Königreichen und einem großen Wasser. Als der Jüngling nun fortreiste und an das erste Königreich kam, war da große Trauer bei Hofe, denn des Königs Lieblingsbaum trug keine Früchte mehr. Der König hörte nicht sobald, dass der Jüngling zum Vogel Greif reise, als er ihn zu sich kommen ließ und ihn bat, von dem Vogel zu erforschen, warum der Baum so krank sei; er wolle es ihm gut lohnen. „Das will ich gern, so ich es kann“, sprach der Jüngling.

Im zweiten Königreich, wodurch er kam, war große Geldnot, denn der König hatte den Schlüssel zu seiner Schatzkammer verloren. Als der König von dem Jüngling hörte, der zum Vogel Greif reise, ließ er ihn kommen und bat ihn, den Vogel Greif zu fragen, wohin der Schlüssel gekommen sei, er werde es ihm reichlich lohnen. „Das will ich gern, wenn ich es kann“ sprach der Jüngling.

In dem dritten Königreiche war große Wassernot, denn der Brunnen vor des Königs Schlosse wollte kein Wasser mehr geben. Als der König hörte, dass ein Jüngling da sei, der zum Vogel Greif reise, ließ er ihn kommen und bat ihn, den Vogel Greif zu fragen, warum der Brunnen nicht mehr laufe. „Wenn ich kann, tue ich es gern“ sprach der Jüngling. Also kam er zu dem großen Wasser. Da stand ein Riese, welcher die Leute hinübertrug. Als er den Jüngling am andern Ufer absetzte, sprach er: „Zum Lohne für meine Mühe frage den Vogel Greif, wie ich hier erlöst werden kann.“ „Von Herzen gern“, sprach der Jüngling.

Als er am Schlosse des Vogels Greif ankam, war dessen Frau allein zu Hause. „Ach dass du dich hierher verirrt hast! Eile, dass du wegkommst, denn mein Mann ist ein Menschenfresser“, sprach sie. Der Jüngling erwiderte: „Das wusste ich wohl, aber ich vertraue auf Gott und ich musste Alles wagen, da ich sonst meine liebste Braut verloren hätte.“ Das freute des Greifen Frau, dass er seine Braut so sehr liebte, und sie versprach, ihm gegen ihren Mann beizustehen. Er erzählte ihr jetzt Alles und sie sprach: „Verstecke dich unter dem Bette und gib genau Acht, was er sagt; morgen gebe ich dir die drei Federn.“

Während sie so sprach, erhob sich vor dem Schloss ein Brausen gleich dem eines Sturmes und es wurde ganz finster in dem Zimmer. „Eile dich, da kommt mein Mann!“ rief die Frau Greifin und der Jüngling kroch unter das Bett. Bald darauf kam der Vogel Greif herein und zugleich ging ein großer Glanz durch das Zimmer, denn seine Federn waren aus purem Gold. „Wen hast du heim? Ich rieche Menschenfleisch“, sprach der Vogel Greif, und die Frau antwortete: „Ja du hast recht, es war ein armer Handwerksbursche hier, der hat auf dem Stuhl da gesessen, ist aber bald wieder weggegangen.“

Da sah der Greif sie einmal scharf an mit seinen durchdringenden Augen, aber sie ließ sich nicht irre machen und fragte: „Willst du zu Nacht essen?“ „Ja wohl und zwar schnell, ich bin müde und will zu Bette“, sprach der Greif. Da trug sie die Speisen auf und sie aßen zusammen, dann legten sie sich schlafen. Gegen elf Uhr riss die Frau dem Greif eine seiner goldnen Federn aus. „O weh!“ schrie er, „was machst du denn?“ „Mir träumte ein König habe einen Baum, der immer schöne Früchte getragen habe und jetzt keine mehr trage, darüber traure der ganze Hof“, sprach die Frau. Der Greif sagte: „Das ist Wahrheit und kein Traum, der Baum würde schon tragen, wenn kein ermordetes Kind unter ihm begraben läge.“

Nach einiger Zeit, als es gegen zwölf Uhr ging, riss die Frau ihm abermals eine Feder aus. „O weh!“ schrie der Greif, „was hindern dich meine Federn?“ Die Frau sprach: „Ich hatte einen Traum, in einem Königreiche herrsche Geldnot, weil der König den Schlüssel zu seiner Schatzkammer verloren habe.“ „Das ist Wahrheit und kein Traum“, erwiderte der Greif. „Der Schlüssel liegt unter der Türschwelle, denn der König hat ihn fallen lassen und an der Schwelle ist ein Spalt im Fußboden. Jetzt lass mich in Ruhe.“

Gegen ein Uhr nahm die Frau ihm die dritte Feder. „Au, was fällt dir denn ein, dass du mir meine Federn ausreißest?“ schrie der Greif. „Ich griff im Traum hinein“ sprach die Frau. „Was träumte dir denn wieder?“ „Mir träumte, ein Königreich sei in Wassernot, weil der Brunnen vor des Königs Schloss nicht mehr springe.“ „Das ist Wahrheit und kein Traum“, sagte der Greif. „Eine Schildkröte sitzt im Rohr, die muss mit einer Kanone herausgeschossen werden. Wenn du mich aber ferner quälst, geht es dir schlecht.“ „Es ist ja meine Schuld nicht, wenn ich schwer träume“, sprach die Frau.

Als der Greif Morgens erwachte, brummte er: „Das war eine schöne Nacht. dass du dich nur nicht unterstehst, noch einmal so zu träumen.“ „Ich kann doch nicht dafür, wenn ich bis zum Morgen ängstlich träume, das ist keine Freude für mich“, erwiderte die Frau. „Bis zum Morgen? Was hat dir denn noch geträumt?“ fragte der Greif. „Ich sah einen Riesen, welcher Leute über ein großes Wasser tragen musste und nicht erlöst werden konnte.“ „Das ist Wahrheit und kein Traum“, sprach der Greif. „Er wäre aber erlöst, wenn er einen, den er herübertragen soll, mitten im Wasser absetzte.“ Jetzt aß der Greif sein Morgenbrot und dann flog er aus. Der Jüngling kam unter dem Bett hervor, da gab die Frau ihm die drei Federn und das war ein Glanz! „Du hast Alles wohl verstanden, was mein Mann gesagt hat“, sprach sie und er dankte ihr von Herzen für all ihre Güte, die er ihr nie vergessen werde.

Als der Riese ihn über das Wasser getragen hatte, sagte der Jüngling ihm, wie er erlöst werden könne. „Hättest du mir das doch drüben gesagt!“ murrte der Riese in seinem Undank, aber das war nun zu spät. Von da reiste der Jüngling weiter zu den drei Königen und gab jedem seinen Rat, wie er ihn von dem Vogel Greif gehört hatte. Der Erste ließ die Schildkröte aus dem Rohr des Brunnens herausschießen, da sprang das Wasser so reichlich, dass alle Straßen überschwemmt wurden. Der zweite König fand den Schlüssel zur Schatzkammer richtig in der Spalte an der Türschwelle. Der dritte König ließ das ermordete Kind an dem Baume herausgraben und sogleich trieb der Baum Blätter und Blüten. Der Jüngling aber erhielt von jedem der Könige einen Sack Gold, so schwer als ein Pferd tragen konnte und von dem letzten auch noch ein Reitpferd für sich.

Also ritt er mit seinen drei Rossen der Hauptstadt zu, wo seine Liebste wohnte. Als er in die Nähe der Stadt kam, zog er seine drei goldnen Federn heraus und steckte jedem der Pferde eine an den Kopf und das leuchtete und glänzte, wie lauter Diamanten, wenn die Sonne darauf schien; etwas Prächtigeres kann man sich gar nicht denken.

Aber noch weniger kann man sich die Freude denken, welche die Prinzessin hatte, als sie den Jüngling so stolz heranreiten sah. Sie hatte ja auch so manchen Monat und so manchen Tag mit ihren sehnlichen Blicken die Straße herunter geschaut und immer vergebens geschaut. Jetzt war auf einmal Alles erfüllt, was sie so lange gehofft hatte, und außer sich vor großer Wonne flog sie die Treppen hinab und ihrem lieben Bräutigam entgegen.

Als der König dazu kam und der Jüngling ihm die drei goldnen Federn überreichte, da wurde sein Herz weich und er gab die Beiden zusammen. Der Jüngling baute von seinem Gelde nun ein großes Schloss, darin wohnte er in Lust und Freude mit seiner Gemahlin. Nach des Königs Tode setzte er sich die Krone auf das Haupt und regierte, wie ein frommer König soll in der Furcht des Herrn.

Quelle: Johann Wilhelm Wolf



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