Sokrates: Leben und Tod eines Weisen

Die Unkenntnis von Gut und Böse führt zum Irrtum über das Leben. Sokrates hinterließ keine schriftlichen Werke. Nur die Aufzeichnungen von Zeitzeugen, wie seiner Schüler Platon und Xenophon geben einen Einblick in das Leben und Wirken des großen griechischen Philosophen.
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Von 27. Juli 2021

Jeder hat wahrscheinlich schon von Sokrates gehört und weiß, dass er ein großer Philosoph im alten Griechenland war. Doch was genau hat er gelehrt, um diesen Status zu erlangen? 

Er ist vor allem dafür bekannt, dass er die Menschen lehrte, ihre Ansichten im Hinblick auf die Wahrheit und Gerechtigkeit zu prüfen, also eine Art der Selbstreflektion zu pflegen. Ein weit verbreitetes Zitat von Sokrates lautet: „Das ungeprüfte Leben ist nicht lebenswert“, wie sein Schüler Platon in „Apologie des Sokrates“ schrieb.

Mit Sicherheit fand er, dass das Leben nicht lebenswert war, als er gezwungen wurde, sein Prüfen und Reflektieren einzustellen. Im Jahr 399 v. Chr. wurde Sokrates hingerichtet. Er wurde gezwungen, Gift zu trinken, weil er sich weigerte, zu schweigen.

Sokrates‘ Fragen, und die seiner Schüler, hatten offenbar einige mächtige Leute in der antiken griechischen Stadt Athen verärgert. In der Tat rühmte sich Sokrates selbst, dass die Rolle, die er in Athen spielte, die einer Bremse war – ein lästiges Insekt, das ständig an einem faulen Pferd pickt. Er deutete damit an, dass er das faule Pferd (die Athener) wach und aktiv hielt und davor bewahrte, vom rechten Weg abzukommen.

Von der Metapher unbeeindruckt, stimmten die Athener mit einer relativ knappen Mehrheit dafür, ihn hinrichten zu lassen.

Vermutlich missfiel es auch einigen Athenern, dass behauptet wurde, Sokrates sei der weiseste Mann der Welt. So hatte es nämlich das Orakel von Delphi verkündet, welches seine Weisheit direkt vom Gott Apollo erhalten hatte.

Sokrates war anfangs der Meinung, dass er nicht viel wüsste und zog hinaus, um dem Gott das Gegenteil zu beweisen, indem er die weisesten Männer der Region besuchte. Nachdem er alle Weisen besucht hatte, stellte er fest, dass der Gott doch recht hatte: „Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, weil ich das, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen“, meinte Sokrates.

Die Methode des Sokrates

Heute sind Sokrates‘ prüfender und offener Stil in der sokratischen Methode verewigt – dem Standardwerkzeug für Diskussion und Lehre. Bei dieser Methode wird ein Streitpunkt betrachtet und dann versucht, ihn zu definieren und durch das Stellen von Fragen besser zu verstehen, was oft zur Entdeckung von Widersprüchen und zum Umstoßen der eigenen Annahmen führt.

Die Lehren des Sokrates legten den Grundstein für seinen Schüler Platon und in weiterer Folge für Platons Schüler Aristoteles und Aristoteles‘ Schüler Alexander den Großen, die einen Großteil der westlichen Welt erobern sollten.

In gewisser Weise eroberten Sokrates‘ Ideen auch einen Großteil der westlichen Zivilisation. Seine Methode des unvoreingenommenen Hinterfragens und der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit scheint in das gesamte westliche Bildungssystem eingebettet zu sein: vom Prüfen der eigenen gestalterischen Unzulänglichkeiten in künstlerischen, literarischen und geschichtswissenschaftlichen Disziplinen bis hin zum ständigen Erörtern und Testen der Vielfalt wissenschaftlicher und technischer Bereiche. Das gesamte westliche Wissenschafts- und Bildungssystem scheint Sokrates viel zu verdanken.

Jenseits des populären Verständnisses

Das oben Gesagte ist das verbreitete populäre Verständnis über Sokrates und der sokratischen Methode. Betrachtet man allerdings die tatsächlichen geschichtlichen Überlieferungen zu Sokrates und dem, was er lehrte, sowie die Werte, die die Grundlage seiner Methode bilden, stellen wir fest, dass dieses populäre Verständnis sehr mangelhaft ist. Es gibt im Allgemeinen wenig oder keine Erwähnung der Moral und Tugend oder des Glaubens an das Gute und an das Göttliche – alles wesentliche Dinge, die Sokrates vertrat und die für ihn und seine Methode zentral sind.

Möglicherweise ist dies die Schuld seines Schülers Platon. Sokrates‘ Ansichten sind nicht leicht zu ermitteln, da er selbst nichts schriftlich hinterlassen hat. Was er sagte, wurde nur von seinen Schülern, wie Platon, aufgezeichnet. Aber Platon ist in der Regel oft unzuverlässig was Sokrates betrifft, da er oft die Persona des Sokrates in seinen Dialogen benutzte – wie eine Figur in einem Theaterstück –um seine eigenen Ideen zu erklären und nicht um eine präzise historische Aufzeichnung von Sokrates zu erstellen.

Die Schriften eines anderen Schülers von Sokrates, Xenophon, offenbaren eine authentischere historische Aufzeichnung dessen, was Sokrates wirklich vermitteln wollte. In seinen Schriften „Die denkwürdigen Gedanken des Sokrates“ finden wir die Grundlagen dessen, was man vielleicht eher als die Sokratische Methode bezeichnen könnte.

Warum wurde Sokrates gezwungen, Gift zu trinken?

Die zentrale Frage ist: Warum waren einige der mächtigsten Athener sehr erzürnt über Sokrates? Einen prominenten Hinweis liefert Kritias, der einer der 30 Herrscher Athens war. Xenophon beschreibt ihn als „einen Mann, der der Zügellosigkeit extrem verfallen war“. Als ehemaliger Schüler von Sokrates, hatte er Sokrates einmal vor der Hinrichtung bewahrt. Jedoch hatte Kritias eine unangemessene sexuelle Beziehung mit einem gutaussehenden jungen Mann.

Nachdem Sokrates‘ milde Kritik von Kritias ignoriert wurde, wies Sokrates ihn zurecht. Xenophon schreibt, dass Sokrates „aus glühendem Streben nach Tugend in eine solche Sprache ausbrach, die einerseits sein eigenes tiefes Verständnis für Anstand und Ordnung und andererseits die ungeheure Schändlichkeit von Kritias‘ Begierde zum Ausdruck brachte.“

Was den Drogenmissbrauch oder das übermäßige Trinken betrifft, nahm Sokrates das Beispiel eines Generals oder Dieners als Metapher. Er meinte, dass man niemals „einen Mann, der dem Wein oder den Frauen verfallen ist und Müdigkeit und Strapazen nicht ertragen kann“ wählen würde, um Land und Leben zu verteidigen oder einen solchen Mann zu seinem Diener machen würde.

Warum sollten wir dann weniger von uns selbst erwarten? Er sagte, dass eine solche entartete Person oder ein „ausschweifender Mensch“ schlimmer sei als ein Dieb, der sich selbst bereichert, während er einem anderen schadet. Der entartete Mensch schadet nicht nur sich selbst sondern auch der gesamten Gesellschaft. Sokrates erklärte: „Wer kann sich an der Gesellschaft dessen erfreuen, der keine andere Zerstreuung hat als Essen und Trinken, und dem die Unterhaltung einer Prostituierten besser gefällt als die seiner Freunde? Sollten wir uns also nicht vor allem in Mäßigung üben, denn sie ist die Grundlage aller anderen Tugenden; was können wir ohne sie Gutes lernen, was können wir tun, was des Lobes würdig ist? Ist nicht der Zustand des Menschen, der in Sinneslust versunken ist, ein elender Zustand, sowohl für den Körper als auch für die Seele?“

Der Glaube an Gott und das Übernatürliche

Traditionelle religiöse Überzeugungen werden oft als im Widerspruch zu akademischen und wissenschaftlichen Kreisen stehend, angesehen. Doch befinden sich atheistische Ansichten selbst im Widerspruch zu Sokrates und der sokratischen Methode. So waren Sokrates‘ Thesen und die sokratische Methode nie dazu gedacht, die Existenz von Gott oder Göttern, die Institution des religiösen Glaubens und das Übernatürliche in Frage zu stellen.

Sokrates verteidigte eindringlich die Existenz des Göttlichen im Gespräch mit Aristodemus, von dem bekannt war, dass er nie zu den Göttern betete oder die Orakel konsultierte und diejenigen auslachte, die dies taten. Sokrates begann mit dem klassischen Argument, dass die Lebewesen, die Natur und das Universum so gut geordnet sind, dass es notwendigerweise einen großen unsichtbaren Schöpfer geben muss. Sokrates sagte: „Wie weise ist das Ohr geformt, um alle Arten von Tönen zu empfangen und nicht mit nur einem einzigen, unter Ausschluss der anderen gefüllt zu werden.“

Sokrates führte seine Argumentation weiter aus: „Glaubt ihr denn, dass es nicht irgendwo ein intelligentes Wesen gibt? Vor allem, wenn man bedenkt, dass euer Körper nur ein wenig Erde ist und aus der großen Masse genommen wurde, die ihr seht. Die Feuchtigkeit, die dich ausmacht, ist nur ein kleiner Tropfen von der unermeßlichen Menge Wasser, die das Meer bildet – mit einem Wort, dein Körper enthält nur einen kleinen Teil aller Elemente, die anderswo in großer Menge vorhanden sind. Es gibt also nichts als deinen Verstand allein, der durch ein wunderbares Glück zu dir gekommen sein muss – von ich weiß nicht woher er gekommen ist, wenn es an einem anderen Ort niemanden gebnen würde – und man  kann dann sagen, daß dieses ganze Universum und all diese so großen und zahlreichen Körper in ausgezeichneter Ordnung ohne die Hilfe eines intelligenten Wesens und durch bloßen Zufall geordnet worden sind?“

Sokrates‘ elegante Pointe war hier seiner Zeit erstaunlich weit voraus. Wie die Erde und die Feuchtigkeit, auf die er sich bezog, finden wir in der Tat alle chemischen Elemente und Atome, aus denen der Mensch besteht, anderswo im Universum, und aufgrund dieser Elemente ergibt sich auch ein weitaus höherer Grad an Komplexität, der für das Leben erforderlich ist. Das macht Sokrates‘ Argument für die Existenz des Schöpfers heute noch schlagkräftiger. Sein Verweis auf den „bloßen Zufall“ scheint auch den Aufstieg der Evolutionstheorie vorauszuahnen, die von fast unzähligen zufälligen Mutationen abhängt – welch Zufall, könnte man nun sagen.

Sokrates berief sich auch auf die Tatsache, dass die Menschen im Laufe der Geschichte, selbst wenn er so zurückblickte wie wir heute auf ihn, alle an Götter glaubten und sie für nützlich und gut hielten. Er meinte: „Wisst ihr nicht, dass die ältesten und weisesten Republiken und Völker auch die frommsten waren und dass der Mensch in einem Alter, in dem seine Urteilsfähigkeit am ausgereiftesten ist, die größte Neigung zur Anbetung des Göttlichen hat?“

Freiheit von Abhängigkeiten und Anhaftungen

Der wohlhabende Athener Antiphon machte sich lustig über Sokrates, indem er sagte, Sokrates führe ein elendes Leben mit schlechtem Essen und Trinken, der immer gleichen Kleidung – sowohl im Sommer als auch im Winter – und ohne Geld von denen anzunehmen, die er unterrichtete. Antiphon scherzte: „Du lebst so, wie kein Diener bei einem Herrn leben würde, der ihn so behandeln würde.“

Er machte sich auch über Sokrates‘  Schüler lustig, indem er sagte, dass sie von Sokrates nur lernten, wie sie ihr Leben elend leben könnten.

Anstatt beleidigt zu sein, würdigte Sokrates seine eigene spartanisch anmutende Einfachheit, seine Fähigkeit, zu ertragen und seine Ablehnung sinnlicher Vergnügungen. Er meinte: „Ich verbringe meine Zeit lieber mit Dingen, deren Vergnügen nicht im Augenblick des Genusses endet und die mich außerdem hoffen lassen, eine ewige Belohnung zu erhalten … Nun, glaubst du, dass von irgendetwas anderem eine größere Erfüllung ausgehen kann, als von dem inneren Bewusstsein, sich täglich in Tugenden zu verbessern und Bekanntschaften und Freundschaften mit den besten Menschen zu machen?“

Schließlich unterscheidet Sokrates in seinem Dialog mit Antiphon dessen Verständnis von Glück von seinem eigenen: „Man könnte meinen, Antiphon, dass du glaubst, das Glück bestehe in gutem Essen und Trinken und einer teuren und prächtigen Lebensweise. Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es eine göttliche Vollkommenheit ist, überhaupt nichts zu brauchen und dass, wenn man nur wenig braucht, man dem Göttlichen sehr nahe kommt. Daraus folgt, dass, da es nichts Vortrefflicheres als die Gottheit gibt, alles, was ihr am nächsten kommt, auch der höchsten Vortrefflichkeit am nächsten ist.“

Erwähnenswert ist, dass Sokrates die Fähigkeit besaß, Abhängigkeiten und Anhaftungen aufzugeben, aber nicht auf die Suche nach Entbehrungen ging. 

Er hatte zwar die Staatsbürgerschaft (was im antiken Athen ein großes Privileg war), etwas Reichtum, Land, eine Frau und Söhne und er genoss Essen und Trinken wie andere auch, aber er wurde nicht von ihnen beherrscht.

Jenseits der Philosophie

Wie man sieht, sind die Lehren des Sokrates und das, was man die sokratische Methode nennen kann, in der Moral verankert. Rigoroses, unvoreingenommenes Hinterfragen allein ist nicht genug. Bereits zu seiner Zeit wurde Sokrates als Philosoph bezeichnet und so nennen wir ihn auch heute noch.

Tatsächlich ist das aus heutiger Sicht vielleicht die völlig falsche Bezeichnung. Es wäre zutreffender, ihn ein heiliges Weisen zu nennen – einen großen Meister tiefgründiger Lehren, die vom Himmel überliefert wurden. Er selbst bestand darauf, so Platon, dass er das, was er tat, aus seiner Pflicht gegenüber Gott heraus tat und dass „nur Gott weise ist.“ 

Sokrates sagte:„Gott befiehlt mir, die Aufgabe des Philosophen zu erfüllen, mich selbst und andere Menschen zu erforschen.“

Ein solches Prüfen und Reflektieren, das in traditioneller Moral und Spiritualität begründet ist, geht weit über die akademische Disziplin hinaus, die wir heute als Philosophie kennen, sowie über die Grenzen dessen, was man heute die Sokratische Methode nennt.



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