„The Lost Leonardo“

Ein göttliches Gemälde, verloren in einer undurchsichtigen Kunstwelt.
Titelbild
Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“ wurde am 24. Oktober 2017 bei Christie’s in London ausgestellt, bevor es am 15. November in New York versteigert wurde.Foto: Carl Court/Getty Images
Von 26. September 2021

Lange Zeit galt er als verschollen, bis er 2005 in einer Lagerhalle wiederentdeckt wurde: „Salvator Mundi“ von Leonardo da Vinci. Der „Heiland der Welt“ brachte der Kunstwelt jedoch keine Erlösung, sondern offenbarte eher die düsteren Seiten der menschlichen Natur, wie der neue Dokumentarfilm „The Lost Leonardo“ auf spektakuläre Weise zeigt.

„Die große Aufgabe der Kunst ist es, den Verfall der menschlichen Natur nach dem Sündenfall durch die Wiederherstellung der Ordnung rückgängig zu machen“, schrieb der englische Kritiker John Dennis im Jahr 1704.

Das Gemälde „Salvator Mundi“ von Leonardo da Vinci wird schon durch seinen Titel – lateinisch für „Heiland der Welt“ – Dennis‘ Beschreibung großer Kunst gerecht. Auf dem Gemälde erhebt Christus seine rechte Hand zum Segensgruß, während er in seiner linken Hand eine durchsichtige Kristallkugel hält, die das Universum darstellt. Dieses Gemälde wurde vielfach kopiert, aber das Original galt lange Zeit als verschollen.

Interessanterweise wird das Gemälde laut der renommierten Kunstrestauratorin Dianne Dwyer Modestini in keinen bekannten Aufzeichnungen aus Leonardos Lebzeiten erwähnt, obwohl er zwei Studien von Christus als Salvator Mundi anfertigte.

Dianne Dwyer Modestini und Ashok Roy begutachten die Kopie von „Salvator Mundi“ in Neapel im Jahr 2019. Foto: Adam Jandrup/Mit freundlicher Genehmigung von Sony Pictures Classics/The Lost Leonardo

Der kürzlich erschienene Dokumentarfilm „The Lost Leonardo“ (zu Deutsch etwa: „Der verschollene Leonardo“) von Sony Pictures Classics zeichnet die Wiederentdeckung des berühmten Gemäldes nach – von der Entdeckung über die Restaurierung und Zuschreibung bis hin zu den verschiedenen Expertenmeinungen und dem anschließenden Verkauf des Werks.

„The Lost Leonardo“ ist ein gut gemachter, faszinierender Dokumentarfilm, den ich mir nie wieder ansehen möchte. Wenn man gerne mehr über die Politik und das Geschäft hinter großer Kunst erfahren möchte, ist dieser Film genau das Richtige. Wenn man jedoch Leonardo und die sakrale Kunst an sich schätzt, könnte der Film enttäuschen: Er legt die düstere Welt der Kunst offen.

Das Werbeplakat für „The Lost Leonardo“, Andreas Koefoed führte Regie. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Sony Pictures Classics/The Lost Leonardo

Dunkle Kunst

Unter der Leitung des dänischen Regisseurs Andreas Koefoed befragte das Dokumentarfilmteam drei Jahre lang Experten. Die Interviews werden geschickt miteinander verknüpft, um einen Einblick in die undurchsichtige Kunstszene zu geben.

Schon früh im Film wurde mir klar, dass, obwohl das Gemälde im Mittelpunkt des Dokumentarfilms steht, der Eifer, der sich darum rankt, nicht so sehr der Kunst, sondern der menschlichen Natur an sich gilt. Und einige der menschlichen Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung, der Vermarktung und den Verkaufstransaktionen des vermeintlichen Gemäldes von Leonardo da Vinci zeigen sehr schön, wie tief die Menschheit gesunken ist.

Oftmals sind es nicht die schönen Seiten der menschlichen Natur, die zur Schau gestellt werden. Vielmehr sind es der „Verfall“, die Gier nach Ruhm und Geld und die krummen Geschäfte.

Der Film beleuchtet zudem wichtige Probleme in der Kunstwelt. Er zeigt, wie unglaublich einflussreich die Meinungen von renommierten Kunstexperten, Auktionshäusern, Kunstgalerien und Museen sein können. Er deutet auch an, welche Interessen ihre Entscheidungen bestimmen.

Die Entdeckung

In der Eröffnungsszene des Films sehen wir den Kunstexperten Alexander Parish in einem Raum, der wie ein Lager aussieht. Stapel von Kunstwerken aller Größen und Formen befinden sich an den Wänden. Parish ist ein „Sleeper Hunter“, ein Kunstdetektiv sozusagen, der Kunstwerke, die kurz vor dem Verkauf stehen, genauestens begutachtet. Dabei hofft er letztendlich, ein Werk zu finden, das von einem bekannteren Künstler erschaffen wurde, als im Auktionskatalog angegeben.

„Sleeper Hunter“ Alexander Parish. Foto: Adam Jandrup/Mit freundlicher Genehmigung von Sony Pictures Classics/The Lost Leonardo

Es waren Parish und der Kunsthändler Robert Simon, die 2005 in einem Auktionshaus in New Orleans den „Salvator Mundi“, den sogenannten verschollenen Leonardo, entdeckten. Die beiden kauften das Gemälde für nur 1.175 Dollar. Das Gesicht Christi war übermalt und ausgebessert worden. Doch die beiden Experten interessierten sich für die unberührten Abschnitte des Gemäldes und fragten sich, ob diese von Leonardo gemalt worden sein könnten.

Es ist fast beispiellos, dass ein Gemälde eines alten Meisters auf diese Weise auftaucht. Es sind weniger als 20 Gemälde, die Leonardo zugeschrieben werden. Wer also eine solche Behauptung aufstellt, setzt seinen professionellen Ruf aufs Spiel.

Die beiden engagierten die weltbekannte Kunstrestauratorin Dianne Dwyer Modestini, die den Verdacht bestätigte.

Die weltbekannte Kunstrestauratorin Dianne Dwyer Modestini. Foto: Adam Jandrup/Mit freundlicher Genehmigung von Sony Pictures Classics/The Lost Leonardo

Wer die Kunstszene und das Zeitgeschehen regelmäßig verfolgt, kann sich vielleicht daran erinnern, dass das Gemälde 2017 – auch wenn stark restauriert – bei Christie’s in New York als Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“ für eine Rekordsumme von 450,3 Millionen Dollar verkauft wurde.

Die Wiederentdeckung von Leonardos „Salvator Mundi“ war und ist nach wie vor umstritten. Viele Experten bezweifeln bis zum heutigen Tag, dass Leonardo das Gemälde erschuf oder überhaupt an seiner Entstehung beteiligt war. „The Lost Leonardo“ versucht, beide Seiten der Geschichte zu beleuchten.

Die Akteure

Der Film ist eine Art Krimi, mit mehr Wendungen als ein Roman von Dan Brown. Man fragt sich, ob Leonardo das Werk überhaupt malte. Diejenigen, die in den Verkauf des Gemäldes verwickelt sind, könnten auch Figuren in Browns Büchern sein. Es gibt einen saudischen Prinzen, einen russischen Milliardär, einen Schweizer Geschäftsmann und sogar einen ehemaligen professionellen Pokerspieler.

Neben den Kunstexperten verfolgten auch Geheimdienstmitarbeiter und Enthüllungsjournalisten den Verkauf des Gemäldes mit großem Interesse. Die wichtigsten Institutionen, die mit dem Gemälde zu tun hatten – der Louvre, Christie‘s, Sotheby‘s, die National Gallery in London und das saudische Kulturministerium – lehnten es ab, sich im Film zu äußern.

Würmer der Kunstwelt 

Die Zuschreibung des Gemäldes an Leonardo öffnete die sprichwörtliche Büchse der Pandora. „Immer wenn es um viel Geld geht, wird die Welt zu einem Nest von Würmern, die sich ineinander verschlingen“, sagt der Kunstkritiker und Autor Kenny Schachter im Film.

Was die Zuschreibung anbelangt, waren und sind die Expertenmeinungen geteilt. „Erwartungen sind gefährlich; man sieht am Ende das, was man sehen will“, sagt der Leonardo-da-Vinci-Experte Martin Kemp von der Universität Oxford im Film. Als er das Gemälde 2008 zum ersten Mal begutachtete, habe er versucht, unvoreingenommen zu bleiben, erzählt er.

Kemp war einer der fünf Experten, die der Kurator Luke Syson einlud, um den „Salvator Mundi“ informell zu begutachten. Syson arbeitete für die National Gallery in London und enthüllte das Gemälde in der Ausstellung 2011 als einen signierten Leonardo. Man muss sich den Film ansehen, um zu verstehen, warum diese Entscheidung umstritten war.

Restaurierung des Risses des gereinigten „Salvator Mundi“ im Jahr 2006. Foto: Robert Simon/Mit freundlicher Genehmigung von Sony Pictures Classics

Im Film erfahren wir, wie es Parish und Simon nicht gelang, das Gemälde an weltberühmte Kunstinstitutionen zu verkaufen. Das Dallas Museum of Art versuchte, den Angebotspreis zu heben. Eine weitere Institution, an die sich Parish und Simon wandten, war die Gemäldegalerie in Berlin. Deren ehemaliger Direktor Bernd Lindemann sagt im Film: „Es ist nicht die Aufgabe von Museen, ein so stark diskutiertes Gemälde auszustellen.“

Schließlich kaufte der Schweizer Geschäftsmann Yves Bouvier das Gemälde im Auftrag des russischen Milliardärs Dmitri Rybolowlew. Ohne dass Rybolowlew davon wusste, verdiente Bouvier mit dem Verkauf satte 44 Millionen Dollar. Der kühne Bouvier ist im Dokumentarfilm zu sehen und erzählt, wie er nun die Konsequenzen für seine Untreue zu tragen hat. Die Gerichtsverfahren sind noch nicht abgeschlossen.

2017 machte sich Christie‘s an den Verkauf des Gemäldes, das wie eine Berühmtheit vermarktet wurde, mit Ausstellungen in London, Hongkong, San Francisco und New York, sehr zum Widerstand von Modestini. Das Gemälde wurde schließlich an einen ungenannten Bieter versteigert. Neben der Zuschreibung ranken sich um den „Salvator Mundi“ weiterhin noch viele Rätsel. Es ist nicht bekannt, wo das Gemälde derzeit aufbewahrt wird. Manche sagen, es befinde sich in einem der Zollfreilager der Welt – Tresore an Flughäfen, in denen die Reichen Kunstwerke steuerfrei aufbewahren.

„The Lost Leonardo“ ist vielleicht ein prophetischer Titel für die traditionelle Kunst in unserer modernen Welt. Große Kunst führt uns tatsächlich, wie John Dennis sagte, zur menschlichen Natur. Wenn man sich die Geldmaschinerie rund um Leonardos „Salvator Mundi“ ansieht, haben wir das Gemälde vielleicht physisch verloren (wenn es in einem Lagerhaus steckt). Aber noch wichtiger ist, dass viele der Akteure im Film offenbar nicht mehr erkennen können, was das Gemälde darstellt und warum Leonardo es malte: um uns mit dem Göttlichen zu verbinden und damit wir bessere Menschen werden können.



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