„Was haben wir aus vier Jahren Corona gelernt?“ – SWR erlaubt kontroverse Debatte

Es gibt nicht viele Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die Corona-Zeit, in denen das Publikum auf offener Bühne unbequeme Fragen stellen darf. In Tübingen war es nach vier Jahren so weit. Eine SPD-Landespolitikerin bezweifelte während einer SWR-Podiumsdiskussion die Existenz unbegründeter Hausdurchsuchungen bei Ärzten.
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Vor dem Reichstag stehen Einsatzkräfte der deutschen Bereitschaftspolizei. Am 29. August 2020 fanden Proteste gegen die Corona-Einschränkungen in Berlin statt.Foto: Omer Messinger/Getty Images
Von 12. März 2024

Lange Zeit hatte ARD-Chef und SWR-Intendant Prof. Kai Gniffke eine öffentliche Live-Debatte zur Corona-Krisenzeit abgelehnt. Stets verwies er darauf, sich kritischen Fragen bereits gestellt zu haben. Das Thema Aufarbeitung sei für ihn deshalb erledigt. Doch nun war es ausgerechnet der SWR, der die Frage „Vier Jahre Corona: Was haben wir gelernt?“ vor Live-Publikum doch noch thematisierte und das Ergebnis später im Netz präsentierte. Bereits am 22. Februar 2024 fand im Rahmen der SWR-Talkreihe „Jetzt mal Tacheles“ eine Podiumsdiskussion im Landestheater Tübingen (LTT) statt.

Die dreistündige Veranstaltung lässt erahnen, wie sehr die deutsche Corona-Politik spätestens seit März 2020 die Gesellschaft gespalten hat – bis heute. Einerseits argumentierten Expertenvertreter der Tübinger Lokalprominenz in Gestalt der Haus- und Notärztin Lisa Federle, des Sicherheitsethikers Marco Krüger und der SPD-Landtagsabgeordneten Dr. Dorothea Kliche-Behnke. Auf der anderen Seite waren zwei Stühle für das Live-Publikum reserviert. Dazwischen fungierte als Moderator Marcel Wagner, der Leiter des SWR-Studios Tübingen.

Viel Kritik – besonders an Politik und Medien

Die Gesprächsrunde mit wechselnden Publikumsvertretern drehte sich vorwiegend um Impfzwang und Impfschäden. Dabei wurde immer wieder die mangelnde Empathie und Verantwortungslosigkeit von Politikern und Leitmedien beklagt. Auch die Zerstörung des Vertrauens durch die Ignoranz der führenden Parteien, der Medien, der Medizin und sonstiger Institutionen kam immer wieder zur Sprache – oft kontrovers quittiert von der Menge. Federle und Krüger argumentierten meist, dass die Verantwortlichen es seinerzeit nicht besser hätten wissen können. Immerhin habe es auch Corona-Tote gegeben.

Kliche-Behnke: AfD-Anträge werden „aus Prinzip“ abgelehnt

Kurz vor Schluss sorgte hauptsächlich die Sozialdemokratin Dr. Dorothea Kliche-Behnke für Aufregung. Zunächst verteidigte sie die Tatsache, dass der Bundestag die erst seit 2021 eingetretene Übersterblichkeit nicht untersuchen wollte, weil „eine gewisse Partei“ (O-Ton des Fragestellers) genau das beantragt hatte. „Alle Anträge, die von der AfD kommen, werden aus Prinzip sowohl im Landtag als auch im Bundestag abgelehnt“, erklärte Kliche-Behnke frei heraus. Das geschehe „aus einer Grundüberzeugung“ und wegen der „Sorge um unsere Demokratie“ (Kurzvideo auf „YouTube“).

Noch höher schlugen die Wellen, als die maßnahmenkritische Friedensaktivistin Susanne Jesch über Erfahrungen sprach, die sie im Alltag mit aufgehetzten Maskenträgern im Supermarkt oder mit Polizisten gemacht hatte. Sie wisse aus dem Kreis der Tübinger Ärztegruppe, dass sich noch heute kaum ein Mediziner wage, ein Maskenattest auszustellen oder etwas auszusprechen, was dem offiziellen Corona-Narrativ widersprechen könnte. Denn diejenigen Ärzte, die sich so etwas getraut hätten, wären „innerhalb kürzester Zeit von den schwarz Gekleideten daheim besucht“ worden, zuweilen morgens um sechs in der Frühe, wie Jesch schilderte (Video circa ab 1:51:08 h auf „YouTube“).

Kliche-Behnke sieht keine unberechtigten Hausdurchsuchungen: „Wir leben in einem Rechtsstaat“

Dem widersprach die SPD-Landtagsabgeordnete vehement: Sie zweifle es „stark“ an, dass es zu Hausdurchsuchungen gekommen sei: „Ärztinnen und Ärzte, die ’ne andere Haltung in dieser Frage haben, wurden nicht besucht von Leuten, weil wir haben ein …“ Der Rest ihres Satzes ging unter Gelächter und Rufen aus dem Publikum unter. Moderator Wagner versuchte zu beschwichtigen: Man habe leider keinen „Faktenchecker“ im Theater. Während Susanne Jesch ihr Mikrofon sichtlich desillusioniert weiterreichte, hob Kliche-Behnke erneut an:

Wir müssen einmal klarstellen: Wir leben hier in einem Rechtsstaat und bei uns kann nicht einfach ohne Anhaltspunkte die Polizei in unser Haus eindringen.“

Erneut folgte Widerspruch aus dem Publikum. Moderator Wagner versprach, die Streitfrage redaktionsintern aufzubereiten. Der Videomitschnitt der Talkrunde ist in Gänze beim SWR zu sehen, in einer leicht gekürzten Fassung auch auf „YouTube“.

Die Epoch Times bat Dr. Kliche-Behnke um eine schriftliche Stellungnahme. „Kein Arzt wurde allein aufgrund seiner Haltung gegenüber der Corona-Politik oder aus Impfskepsis das Ziel von Hausdurchsuchungen“, bekräftigte sie. Generell sei es „vom Einzelfall abhängig“, „ob bei einer Ermittlung gewisse Instrumente der Strafverfolgung gerechtfertigt“ seien. Nach ihrem Kenntnisstand habe es beispielsweise bei dem Sinsheimer HNO-Arzt Dr. Bodo Schiffmann oder bei Prof. Dr. Stefan Hockertz „berechtigte Anfangsverdachte“ gegeben. Insofern halte sie es „für angemessen, dass Hausdurchsuchungen durchgeführt werden“, so die Sozialdemokratin.

„Der Gesetzgeber reguliert in einer Vielzahl von Fällen“

Schiffmann habe „massenhaft gefälschte Atteste gegen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ausgestellt“, und zwar auch an „Menschen, die bis zu 700 Kilometer von seiner Sinsheimer Arztpraxis entfernt gewohnt haben“. „Das Vertrauen in den Inhalt ärztlicher Gutachten und Zeugnisse ist ein geschütztes Rechtsgut“, räumte Kliche-Behnke ein. Sie finde es aber richtig, den dazugehörigen Paragrafen 278 StGB (Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse) „auch durchzusetzen“ – „insbesondere in Zeiten einer gesundheitlichen Krise, wie sie die Corona-Pandemie darstellte“. Außerdem habe Schiffmann „Ärzt*innen, die ihre Patient*innen mit einem der Corona-Impfstoffe behandeln, mit Josef Mengele verglichen“. Deshalb sei auch „wegen Volksverhetzung ermittelt“ worden.

Im Fall Hockertz sei es um den „Verdacht der Steuerhinterziehung in den Jahren 2014 bis 2018“ gegangen, also um einen mutmaßlichen Straftatbestand, der aus der Zeit „weit vor der Corona-Pandemie“ herrührte. Hockertz habe sich „nach einer Durchsuchung seiner Wohn- und Arbeitsräume in die Schweiz abgesetzt“.

„Der deutsche Rechtsstaat steht sehr gut da“

Sie finde es „richtig, dass der Gesetzgeber […] Rahmenbedingungen schafft“, wenn es um die Einmischung in das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gehe: „Der Gesetzgeber reguliert in einer Vielzahl von Fällen, welche Behandlungsformen unter welchen Umständen erlaubt sind und welche nicht. Das betrifft Schwangerschaftsabbrüche, sogenannte Konversionstherapien, also die ‚Heilung‘ von Homosexualität, die Sterbehilfe, eine lange Verbotsliste von Medikamenten und medizinische geschlechtsangleichende Maßnahmen. All diese Maßnahmen sind reguliert oder gar untersagt.“

Staatsanwaltschaften seien zwar zur „Unparteilichkeit“, nicht aber zur „Unabhängigkeit im Sinne einer Freiheit von demokratischer Kontrolle“ verpflichtet. „Im internationalen Vergleich steht der deutsche Rechtsstaat jedoch – zieht man zum Beispiel den Rule of Law Index des World Justice Projects zurate – sehr gut da“, so Kliche-Behnke. In der Tat wies das Gremium 2023 im internationalen Vergleich Deutschland Rang 5 zu.

Polizei für „Fehlverhalten“ gegenüber Demonstranten nicht „allein verantwortlich“

Konfrontiert mit Netzvideos, die das harte Durchgreifen von Polizisten bei Corona-Demos zeigen, erklärte sie, dass sie „nicht ausschließen“ könne, „dass es bei einzelnen Demonstrationen eventuell zu Fehlverhalten einzelner Polizist*innen gekommen“ sei. „Für die Gewalt allein die Polizei verantwortlich zu machen, lehne ich jedoch ab“. Immerhin sei es „um den Jahreswechsel 2021/2022“ zu einer „zunehmende[n] Eskalation der Proteste gegen die Pandemie-Politik“ gekommen. Und „in einigen Telegram-Gruppen wurde ganz offen über Gewalt als Maßnahme gegen eine eventuelle Impfpflicht diskutiert“. Sie sei überzeugt, dass sich „die Verrohung des Diskurses in der Corona-Pandemie […] nicht ‚einer Seite‘ in die Schuhe schieben“ lasse.

Sie habe allerdings ihre „Haltung zu manchen Themen überdacht und geändert“, was auch aus der SWR-Diskussion hervorgehe. „Eine ähnliche Reflektionsbereitschaft kann ich bei vielen Kritiker*innen der Maßnahmen nicht sehen und habe sie bei der Podiumsdiskussion auch vermisst“, so Kliche-Behnke. Sie hatte während der Debatte zugegeben, dass bei der „sozialen Dimension der starken Begrenzungen“ durchaus „sehr, sehr dramatische Fehler gemacht“ worden seien, „besonders, was Sterbende anbelangt“ habe.

Repressalien bei Maßnahmenkritikern

Dass es im Kontext der Corona-Politik zu einer Vielzahl von Hausdurchsuchungen gekommen war, dürfte allgemein bekannt sein. Erwähnt seien hier noch die Gutachterin Prof. Dr. Ulrike Kämmerer, Dr. Walter Weber und Dr. Marc Fiddike, die Ärzte Rolf Kron und Dr. Ronald Weikl. Auch der Landshuter Gesundheitsberater Bernd T. Dreyer, die Krankenschwester Sabrina Kollmorgen oder der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar waren den Behörden aufgefallen, als sie – eigenen Angaben zufolge meist aus Gewissensgründen – Entscheidungen getroffen hatten, die die Corona-Politik infrage stellten.
Manche Opfer eines frühmorgendlichen SEK-Einsatzes wie etwa der Kriminologe und Politikwissenschaftler Björn Lars Oberndorf waren nur mutmaßliche Zeugen, nicht aber Verdächtige oder Beschuldigte.
Die Verdachtsmomente beliefen sich meist auf angeblich unrichtige Maskenatteste oder Urkundenfälschungen, angeblichen Widerstand auf Demonstrationen oder Beleidigungen. Einige Angeklagte wurden freigesprochen, andere verurteilt, bei wieder anderen sind noch Verfahren anhängig.

Vom Hardliner zum Zweifler: Landrat Klaus Michael Rückert als Impulsgeber

Den „Impuls“ zur Veranstaltung hatte der Freudenstädter Landrat Dr. Klaus Michael Rückert (CDU) gegeben, wie Moderator Wagner schon zu Beginn klarstellte: Der Regionalpolitiker habe bereits vor Jahren auf ein Treffen zur Corona-Aufarbeitung gedrängt, weil diese ihm ein „Herzensanliegen“ sei.

Da Rückert selbst krankheitsbedingt verhindert war, trat er lediglich per Sprachnachricht in Erscheinung. Seine anfängliche, medieninduzierte Angst vor dem Virus sei immer mehr Zweifeln über bestimmte Entscheidungen und über die Grundrechtseinschränkungen gewichen, erklang es aus dem Off. „Das sind verheerende Folgen, die wir da ausgelöst haben“, stellte Rückert fest, während die Mienen auf der Bühne immer ernster wurden.

Betretene Gesichter in der Expertenrunde, während Landrat Klaus M. Rückert die Fehler der Coronapolitik aufzählt: Von links: Notärztin Lisa Federle, Sicherheitsethiker Marco Krüger, SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke.

Ernste Gesichter in der Expertenrunde, während Landrat Klaus M. Rückert die Fehler der Corona-Politik aufzählt: Von links: Notärztin Lisa Federle, Sicherheitsethiker Marco Krüger, SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke. Foto: Bildschirmfoto/SWR.de/„Jetzt mal Tacheles“

Es habe eine „wahnsinnige Zunahme an Angststörungen, an Essstörungen“ und „an anderen psychischen Belastungen“ gegeben, so der Landrat. Speziell im Gesundheitswesen habe man durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht „einiges an Vertrauen bei den Menschen zerschlagen, die wir dringend brauchten und auch nach wie vor dringend brauchen“.

Obwohl er selbst daran glaube, dass „die Verantwortlichen es recht machen“ wollten und er „niemanden anprangern“ wolle, forderte er „endlich eine wirklich objektive Aufarbeitung“. „Politik und Medien“ hätten „viel zu wenig abweichende Meinungen zugelassen“, ertönte die Landratstimme unter stürmischem Applaus, „auch das darf nie wieder passieren“.

Es wurde viel Politik mit der Angst gemacht, und ich meine, dass unsere Demokratie stark genug ist, dass man mit Argumenten und nicht mit Angst Politik machen soll.“ (Dr. Klaus Michael Rückert, Tübingen, 22. Februar 2024)



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