Wenn die „Inspiration“ fehlt – Ghostwriter übernehmen das Texten

Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie das „große Werk“ nicht vollbringen können. Ghostwriter sind hilfreich, aber nicht immer rechtens.
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Ghostwriting erfordert oft eine enge Zusammenarbeit zwischen dem eigentlichen Verfasser und dem „Autor“.Foto: iStock
Von 19. Juni 2023

Anfang Juni gab es in der Slowakei die große Nachricht, dass jeder fünfte Student im Land seine Abschlussarbeit kaufen würde. Selbst in den Abendnachrichten des slowakischen Staatsfernsehens wurde darüber berichtet – mit dem Hinweis, dass diese Studenten in Wirklichkeit Werke einreichten, die komplett von anderen geschrieben wurden. Gesprochen wird nicht von Plagiat, sondern von einer heutzutage boomenden Branche – dem Ghostwriting.

Für Deutschland sind konkrete Statistiken schwer zu finden. Fachleute schätzen auf jährlich über 10.000 Bachelor- und Masterarbeiten, die mithilfe von Ghostwritern erstellt werden.

Das Phänomen wirft eine Reihe von Fragen auf. Einerseits gibt es rechtliche Fallstricke. Obwohl Ghostwriting im Prinzip eine legale Tätigkeit ist, drohen im schlimmsten Fall bis zu drei Jahre Haft. Andererseits gibt es die ethische Dimension. Vertrag hin oder her – der Gedanke, in Ungnade zu fallen, kann den Kunden mit einer lebenslangen Angst erfüllen. Ganz zu schweigen von einer möglichen späteren Erpressung.

Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie nicht in der Lage sind, das „große Werk“ zu erbringen. Allerdings gibt es viele Alternativen zum Ghostwriting. Dazu gehören die Inanspruchnahme von individuellen Korrekturlesern und Lektoren sowie Text-Coaching. Foto: iStock

Wer sind die „guten Geister“, die insgeheim schreiben?

Geistiges Schaffen ist eine einzigartige Tätigkeit, bei der ein neues Werk entsteht. Natürlich können verschiedene Quellen genutzt werden und sich jeder von der Arbeit anderer inspirieren lassen. Doch es ist die Eigenart des Werks, die seinen wahren Wert ausmacht. Deshalb werden Autoren im Allgemeinen auch respektiert. Was einen Ghostwriter am meisten von anderen Autoren unterscheidet, ist, dass er auf die Hauptfrucht dieses geistigen Produkts verzichtet. Er bleibt anonym und verkauft den Großteil seiner Rechte an dem von ihm produzierten Werk. Er hat beispielsweise kein Mitspracherecht, ob seine Arbeit jemals verwendet, veröffentlicht oder wie weit es verändert wird.

Die Einzigartigkeit der Arbeit ist der Aspekt, welcher diese Branche von „Plagiaten“ unterscheidet. In letzterem Fall veröffentlicht der sogenannte „Autor“ keine Originalinhalte, sondern kopiert oder „montiert“ Schriften von anderen – was verboten ist.

Was motiviert diejenigen, die als Ghostwriter arbeiten? Laut Herbert Jost-Hof, einem Ghostwriter, der von der „Welt“ interviewt wurde, ist das Besondere an seiner Arbeit abgesehen von der finanziellen Sicherheit, dass er sein Wissen stark bereichern kann. Nachdem er zahlreiche akademische Arbeiten geschrieben hat, weist er einen enormen Wissenszuwachs auf.

Gleichzeitig ist es für ihn auch eine Quelle der Freude, wenn er jemandem helfen kann, der zum Beispiel aus einem triftigen Grund in Not ist. Etwa einer Mutter, die ihre kleinen Kinder allein erzieht und Vollzeit studiert. Und die abends nicht mehr die Energie hat, um an ihrer Abschlussarbeit zu arbeiten.

Er sagt aber auch: „Natürlich gibt es viele Menschen, bei denen das nicht der Fall ist. Sie haben einfach viel Geld oder wären gar nicht erst in der Lage, eine Abschlussarbeit dieses Kalibers zu schreiben.“

In vielen Fällen werden Ghostwriter Jost-Hof zufolge auch deshalb beauftragt, weil die Studenten lediglich einen guten Titel wollen. Sie seien nicht daran interessiert, sich das konkrete Wissen anzueignen. Jens Schumacher, Leiter des Prüfungsamtes der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität zu Köln, erklärt dieses Phänomen mit den Worten: „Einigen Jurastudierenden fehlt die intrinsische Motivation. […] Sie studieren das Fach nur, weil sie sich mit dem Abschluss gute Berufsaussichten erhoffen.“

Mündliche Beratungen mit Lehrkräften können in solchen Fällen ein riskanter Moment für solche „Schwindler“ sein. Der Ghostwriter kann an diesen Gesprächen nicht teilnehmen. Er kann aber zum Beispiel anstelle des Studenten eine Vorlesung besuchen, wenn er eine Arbeit vorbereitet.

Ist Ghostwriting eigentlich erlaubt?

Es steht jedem frei, sein geistiges Eigentum zu verkaufen. Das Gesetz verbietet nicht den Abschluss eines Vertrages über geistiges Eigentum an sich. Das ist auch eine Sache der Vertragsfreiheit. Es gibt unzählige Situationen im Alltag, in denen der Einsatz von Ghostwritern vorkommt. Das passiert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

Ein Beispiel dafür sind Reden von Politikern, die von seinen (anonymen) Beratern geschrieben wurden. Auch wenn ein YouTuber das Thema seiner Sendung vorstellt, hat er es sich vielleicht nicht selbst ausgedacht und vorbereitet.

Zudem fühlen sich viele Stars dazu „verpflichtet“, ein Buch zu schreiben. Meist werden sie dabei von Ghostwritern unterstützt. Das war zum Beispiel bei Donald Trump, Prinz Harry oder Agassi der Fall.

Erklärungen an Eides statt sind ernst

Ghostwriting selbst ist nicht verboten oder illegal. Es gibt jedoch Fälle, in denen schwere Geldbußen oder strafrechtliche Sanktionen drohen. Das sind Situationen, in welchen Ghostwriting mit einer Betrugsabsicht einhergeht.

Wenn jemand dafür einsteht, das Schriftstück selbst verfasst zu haben, und es mit seinem eigenen Namen versieht, dann ist er für diese Behauptung auch verantwortlich. Wann wird jemand aufgefordert, eine solche „Erklärung an Eides statt“ abzugeben? In der Regel im Rahmen von Prüfungen, wenn die schriftliche Arbeit auch als Grundlage für die Leistungsmessung und -beurteilung dient. Typischerweise ist das bei einer Diplomarbeit oder Dissertation der Fall.

Wird in einer solchen Situation ein Werk eingereicht, das von jemand anderem (unter dem eigenen Namen) geschrieben wurde, ist das ein Gesetzesverstoß. Hierbei kann es zu einem Fall von Betrug kommen.

In den meisten Ghostwriter-Verträgen steht daher ausdrücklich, dass das vom Ghostwriter erstellte Werk nicht eins zu eins unter dem eigenen Namen verwendet werden darf. Akademische Werke müssen die Einzigartigkeit und die besondere Weltsicht sowie den Stil des Menschen widerspiegeln, der es als Autor veröffentlicht.

Ghostwriting ist an sich nicht verboten. In vielen Fällen ist es fast unverzichtbar, zum Beispiel für einen Politiker. Foto: iStock

Bis zu drei Jahre Haft für den Unachtsamen

Wenn eine akademische Arbeit bewertet und der „Autor“ erwischt wird, kann das komplexe Konsequenzen haben. Unter anderem ist mit Verlust des akademischen Grades oder mit Exmatrikulation zu rechnen. Ebenso können Geld- und Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren verhängt werden (Strafgesetzbuch § 156: Falsche Erklärung an Eides statt).

Es handelt sich dabei in der Tat um ein komplexes Rechtsgebiet, bei dem sowohl straf- als auch zivilrechtliche Fragen auftauchen können. Zu letzteren gehören zum Beispiel auch Fälle von Schlechtleistungen oder Urheberrechtsfragen. Es gibt besondere Regeln für die Haftung des Kunden und für die Haftung des Ghostwriters.

Die Erstellung von Vorstudien, Exposés oder Mustervorlagen für wissenschaftliche Arbeiten ist legal, heißt es laut einem Grundsatzurteil vom 01.09.2009. Damals äußerte sich das Oberlandesgericht Frankfurt (Az: 11 U 51/08) unter anderem zum Thema des akademischen Ghostwritings.

Deshalb sagen Ghostwriting-Unternehmen in der Regel, dass sie nur Beispiele oder Anregungen für akademische Arbeiten liefern können. Es gibt auch Unternehmen, die die akademische Art des Ghostwritings ganz und gar ablehnen.

Das Bildungssystem erzeugt eine hohe Nachfrage

Ghostwriter werden in vielen Bereichen eingesetzt. Wenn es um akademisches Ghostwriting geht, kann auf Zahlen zurückgegriffen werden: Im Jahr 2022 gab es in Deutschland mehr als eine halbe Million Menschen, die ihren Hochschulabschluss gemacht haben. Unter den jungen Erwachsenen im Alter von über 30 Jahren hat fast jeder Dritte einen Hochschulabschluss, berichtet die „Frankfurter Rundschau“.

Es gibt jedoch keine genauen Zahlen darüber, wie viele von ihnen diesen Service in Anspruch nehmen. Das deutsche Portal „Forschung und Wissen“ berichtete im Jahr 2021, dass mindestens 10.000 Menschen pro Jahr in Deutschland akademisches Ghostwriting nutzen.

Eine Abschlussarbeit ist für 800 bis 1.600 Euro zu haben, wobei für die Qualität der Arbeit bezahlt werden muss. In der Regel gibt es mehrere Kategorien, aus denen man wählen kann. Für eine seriöse akademische Arbeit kann 15.000 Euro verlangt werden. Geht es um längere Texte mit 200 bis 300 Seiten, dann gehen die Preise bis auf 30.000 Euro hoch.

Wie hoch der genaue Wert der tatsächlichen zukünftigen geistigen und materiellen Früchte des Schreibens sein wird, lässt sich nicht im Voraus berechnen.

Und auch in anderen Staaten ist Ghostwriting normal. Ein anonymer ungarischer Ghostwriter beschrieb seine Kunden, für die er Romane schreibt, folgendermaßen: „Für die Betreffenden ist es oft das große Werk, das immer auf dem Regal stehen wird – auch wenn sie es nicht selbst verfasst haben“, heißt es im Interview mit dem Portal „wmn.hu“. Dafür muss er in der Lage sein, auf Ruhm zu verzichten und sich tagein, tagaus in die Rolle eines anderen zu versetzen.

Ghostwriter sind keine echten Gespenster, obwohl sie zweifelsohne anonym arbeiten. Foto: iStock



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