Stress im Unternehmen: „Es geht nicht, ohne dass man darüber spricht“

Was passiert, wenn es in der Firma Stress gibt? Lebens- und Businesscoach Alexander Diehl hat festgestellt, dass in Unternehmen häufig keine Strukturen existieren, um ins Gespräch zu kommen, um Probleme miteinander lösen zu können. Dabei könnte man den Stress so viel besser bewältigen.
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Der Mann mit dem außergewöhnlichen Beruf. Alexander Diehl ist außer Coach und Supervisor auch Bestatter.Foto: Alexander Diehl
Epoch Times19. September 2023

Es gibt Menschen, die kann scheinbar nichts aus der Bahn werfen. Egal, welche Krisen und traumatischen Schicksalsschläge über sie hereinprasseln, es scheint, als würden negative Einflüsse von außen an ihnen einfach abprallen. Aber was unterscheidet diese Leute von denjenigen, die daran zerbrechen? Was ist ihr Geheimnis? Die Antwort könnte im Konzept der Resilienz liegen. Resiliente Menschen besitzen nämlich eine hohe seelische Widerstandskraft.

Was das genau ist und welche tiefgreifenden Auswirkungen Resilienz auf unser Leben und unser Wohlbefinden hat, das erzählt Lebens- und Businesscoach Alexander Diehl im Interview.

Diehl ist aber auch Notfallseelsorger und Bestatter. Er verrät, wie er selbst mit der ständigen Konfrontation um Trauer und Verlust umgeht und welche praktischen Tipps er hat, wie man seine eigene Resilienz stärken kann: sei es jeder für sich, als Team in einem Unternehmen oder in der Gesellschaft.

Was bedeutet Resilienz für Sie? Wie würden Sie das definieren?

Das Wort kommt ursprünglich aus der Physik. Resilient ist ein Material, wenn es gebogen wird und danach wieder in die Ursprungsform zurückgehen kann. Nicht resilient ist es, wenn es beim Biegen bricht.

Auf die Seele übertragen, kann man sich die Frage stellen: Wie belastbar ist die Psyche? Kann man ihr etwas zufügen und sie geht dann wieder zu ihrem Ursprung zurück? Wann bekommt die Psyche einen Knacks ab?

Sie sind nicht nur Lebens- und Unternehmenscoach, sondern auch Bestatter und Trauerbegleiter. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Beruf auszuüben?

Ein guter Freund kam auf mich zu und fragte mich, ob ich in seinem Bestattungsunternehmen anfangen wollte. Meine erste Reaktion: „Auf gar keinen Fall.“

Er hat nicht locker gelassen. Sein Schwager, der im Krankenhaus arbeitete, hat mich eingeladen, gemeinsam hinunter in die Pathologie zu gehen. Nach dem ersten Ablehnen dachte ich: „Hey, so einfach kommst du nicht wieder in die Pathologie.“ Schließlich bin ich mit ihm hinuntergegangen und habe mir das angeschaut. Ich habe mir gesagt: „Wenn du nicht davon träumst, dann schaust du es dir noch einmal an.“

Ich habe dann nicht davon geträumt. Ich habe sehr schnell festgestellt, dass man auch mit betroffenen Angehörigen zu tun hat, das kann ich ganz gut. Und so bin ich da peu à peu hineingeschlittert.

Wie gehen Sie damit um, dass Sie ständig mit Trauer und dem Verlust von Angehörigen konfrontiert sind? Belastet Sie das nicht?

Es gibt Situationen, die mich gar nicht belasten, obwohl sie sehr schrecklich sind. Dann gibt es andere Situationen, die mir unheimlich nahe gehen, worüber ich lange nachdenke. Ich denke an die Familie und muss selbst manchmal weinen, weil es mich so berührt. Die eigenen Gefühle wahrzunehmen, sich selbst zu spüren und dem Ausdruck verleihen zu können, ist Teil eines professionellen Umgangs damit.

Manche Menschen erleben unvorstellbare Schicksalsschläge und gehen gestärkt aus ihnen hervor. Ist Resilienz angeboren oder ist es eine innere Haltung, eine Einstellung, die man erlernen oder trainieren kann?

Grundsätzlich hat jeder ein Maß an Resilienz in sich, zugleich kann man es auch trainieren.

Ein Kennzeichen einer Krise ist zum Beispiel, dass einem schlagartig die Selbstbestimmung abhandenkommt. Auf einmal ist man völlig hilflos und merkt, dass man mit den Methoden, die man bisher hatte, nicht mehr alleine zurechtkommt. Man braucht Hilfe von außen. Wichtig ist es in dieser Situation, die Selbstbestimmung zurückzugewinnen.

Man kann trainieren, achtsamer durch die Welt zu gehen, sich selbst wahrzunehmen und zu spüren. Man kann lernen, in Situationen Schritt für Schritt den eigenen Selbstwert nach oben zu fahren, sich selbst zu akzeptieren, wie man ist. Herauszufinden, wer man eigentlich ist. Erst wenn man sich selbst besser versteht, kann man Ziele definieren und weiß, wie man mit dem Problem umgehen soll.

Stress ist ein großer Faktor in Krisensituationen. Und Stress ist auch ein großer Auslöser für alle möglichen Krankheiten. Welche Auswirkung hat Stress auf Resilienz?

Der Mensch hat drei Methoden, mit Stress umzugehen: Er kann in einen Freeze-Zustand gehen, er kann flüchten oder sich verteidigen. Die einzige Methode, wie man den Stress im Körper abbauen kann, ist das Abarbeiten, indem man körperlich tätig wird; mit Sport zum Beispiel. Auf der seelischen Ebene gibt es ebenfalls Methoden, wie man den Stress abarbeiten kann. Selbstfürsorge ist einer der Eckpfeiler, den man unbedingt braucht. Für alle, die in hoch belastenden Jobs arbeiten, gehört es zum professionellen Arbeiten dazu, die Selbstfürsorge hochzufahren. Ich kann nur jemanden retten, wenn ich selbst stabil stehe.

Wenn wir uns das im Arbeitskontext anschauen: Oftmals haben wir stressige Situationen und das hat direkte Auswirkungen auf das Team. Wie kann man eine Teamresilienz aufbauen?

Unheimlich wichtig ist, dass man darüber Bescheid weiß, was eigentlich passiert. Man spricht hier von Dynamiken. Was passiert in einem Team, in dem Stress ausgelöst wird? Wenn man das Wissen darüber hat, dann hat man auch die Möglichkeit, eine bewusste Handlungsform einzunehmen.

Wenn Stress auf das Team einwirkt, versucht jeder Teilnehmer auf seine Weise mit dem Stress umzugehen. Im Prinzip gibt es aber nur die drei Verhaltensweisen Angriff, Flucht oder Resignation beziehungsweise Erstarren. Mit diesem Wissen kann man gut in ein Gespräch gehen. Wenn man einen Kreis findet, in dem man darüber sprechen kann, dann kann man auch bewusst darauf reagieren. Ich kann zum anderen sagen „Hey, du resignierst gerade. Komm, das schaffen wir.“

Welche Strukturen können in Unternehmen eingeführt werden?

Häufig sind in Unternehmen die Strukturen gar nicht geschaffen, um in solche Gespräche zu kommen. Man geht ganz grundsätzlich davon aus, dass man auf der Arbeit ist, um zu arbeiten.

Wenn man aber ein High-Performance-Team ist – und ich würde ein Bestattungsunternehmen jetzt mal dazuzählen, denn es muss innerhalb kürzester Zeit ein großes Problem lösen –, dann geht es nicht, ohne dass man darüber spricht. Es geht nicht ohne eine Plattform für den Austausch. Das kann auf einer ganz faktischen Ebene sein, sich jeden Mittwoch um 15:30 Uhr zu treffen und darüber zu reden.

Man kann aber auch einen Mitarbeiterstammtisch machen, wo es nicht nur um belastende Themen geht, sondern auch um andere.

Wir hatten vor Kurzem den Sterbefall eines 8-jährigen Jungen. Das macht was mit uns im Team. Nach solchen Situationen sage ich: „Lasst uns ein paar süße Teilchen holen“ und dann treffen wir uns und unterhalten uns. Ich bringe das Thema seicht mit rein und frage ganz kurz, wie es ihnen damit geht.

Wenn ich einen Widerstand bemerke, dann gehe ich da ganz vorsichtig ran. Manchmal braucht man sie nur ein wenig anzustupsen, dann sprechen sie darüber. In dem Fall haben wir uns wirklich tief darüber unterhalten und es ist spannend zu sehen, welche unterschiedlichen Reaktion jeder hat.

Solche Dinge sollte man einführen. Meistens ist es aber so: Wenn Stress da ist, sagt man: „Wir haben eh so viel Stress und dann auch noch einen Kaffee trinken, das funktioniert nicht.“ Wenn man es umdreht, kann man den Stress aber besser bewältigen.

Kann man durch Resilienz vielleicht auch dazu beitragen, gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden und in Krisenzeiten den Zusammenhalt zu fördern?

Krisen finden nicht auf einer Sachebene, sondern immer auf der emotionalen Ebene statt. Die Sachebene bringt dem besorgten Bürger nichts, seine Sorge muss erst mal gehört werden. Wenn die gehört wurde, dann kann man auf die argumentative Ebene gehen.

Wir sollten ganz allgemein lernen zuzuhören, lernen, Verständnis zu haben. Als Supervisor setze ich mich hin und höre mir für drei Minuten an, was die Person zu berichten hat. Ich wiederhole es dann in ihrem Sinne. Schließlich sagt die Person meistens, ohne dass überhaupt über eine Lösung ausgesprochen wurde: „Ja, endlich hat mir mal jemand zugehört.“

Das wäre eine Vorgehensweise, die man auch in der Gesellschaft anwenden sollte. Das wäre auch mein Wunsch an die Politik. Manche Kreise werden sagen, dass sie genau das gemacht hätten. Ja, und trotzdem fühlen sich einige einfach nicht gehört.

Wie können wir Resilienz in unseren täglichen Gewohnheiten und Routinen verankern? 

Wir können uns bewusst auf die schönen Dinge konzentrieren. Man kann sich beispielsweise jeden Tag fragen, was man an dem Tag Schönes erlebt hat.

Stellen Sie sich eine Art Kreis vor wie ein Kuchen. Wenn jemand stirbt, wird ein Stück davon herausgerissen und das fehlt – was sehr weh tut. Das ist leider die Wahrheit. Der Kreis wird nie mehr der perfekte Kreis werden. Dieses Stück wird immer fehlen. Das muss gewürdigt werden. Dem muss Raum gegeben werden. Zum Leben gehört Leid dazu.

Zugleich ist deswegen der Rest des Kuchens nicht weg. Du wirst dein Leben anders wahrnehmen, aber das Leben ist immer noch da. Man kann lernen, sich wieder auf das Leben und die schönen Dinge zu konzentrieren, ohne dabei so zu tun, als würde es das fehlende Stück nicht geben. Alles hat zwei Seiten; nicht nur schlechte Seiten, jedes Ding, das geschieht, hat auch positive Aspekte.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

alexanderdiehl.com

Das Interview führte Ani Asvazadurian, redaktionelle Bearbeitung durch Matthias Kehrein.



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