„Nutzloses“ Organ, das oft entfernt wird, könnte gegen Krebs helfen

Behalten oder nicht behalten? Der Thymus, ein walnussgroßes Organ, galt lange als entbehrlich, könnte aber der Schlüssel zum Krebsschutz sein.
Lage des Thymus im menschlichen Körper
Der Thymus ist ein kleines walnussgroßes Organ, das sich mittig in unserer Brust und hinter unserem Brustbein befindet.Foto: iStock
Von 20. Dezember 2023

Würde man 100 Menschen in einer Fußgängerzone bitten, jeweils drei bekannte Organe aufzuzählen, würde ein Name selten bis gar nicht fallen. Denn nur die wenigsten kennen das kleine walnussgroße Organ, das sich mittig in unserer Brust und hinter unserem Brustbein versteckt, oder gar seine Funktion in unserem Körper. Tatsächlich hielten sogar viele Ärzte den sogenannten Thymus, auch Thymusdrüse oder Bries genannt, bei Erwachsenen lange Zeit für entbehrlich.

Nach bisherigem Wissensstand war das im Volksmund als „Wachstumsdrüse“ bekannte Organ vor allem für die Bildung des kindlichen Immunsystems wichtig. Hat dieses seinen Dienst getan, bildet es sich im jungen Erwachsenenalter zurück. Im Falle eines Tumorbefalls kann der Thymus von Ärzten ohne größere Einschränkungen für den Patienten operativ entfernt werden.

Jetzt zeigt jedoch eine neue Studie von Forschern der Harvard-Universität, dass der Thymus auch eine wichtige Rolle für das Immunsystem und der Gesundheit von Erwachsenen spielt – insbesondere bei der Krebsprävention.

Wichtiger T-Zellen-Lieferant?

In der Studie untersuchten die Forscher das Erkrankungsrisiko bei Patienten mit und ohne Thymus. Jene, denen das Organ entfernt werden musste, besaßen ein fast dreimal höheres Risiko, an verschiedenen Krankheiten zu sterben. Außerdem hatten die Patienten ohne Thymus ein doppelt so hohes Krebsrisiko und ein geringfügig höheres Risiko für Autoimmunerkrankungen.

„Das Risiko hat ein Ausmaß erreicht, das wir nie erwartet hätten“, sagt David Scadden, Professor für Medizin der Harvard-Universität und Korrespondenzautor der Studie, in einer Pressemitteilung. „Der Hauptgrund, warum der Thymus einen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit hat, scheint darin zu liegen, dass er vor der Entwicklung von Krebs schützt.“

Laut Scadden ist die Thymusdrüse das Organ, das am schnellsten altert. Zudem läge dieses regelmäßig den Chirurgen bei Herzoperationen im Weg, weshalb das störende Organ oftmals entfernt wird.

In den vergangenen Jahren vermuteten jedoch immer mehr Wissenschaftler, dass der Thymus eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit spielt, da er auch bei Erwachsenen noch T-Zellen produziere und so zur Vielfalt der gesamten T-Zell-Population im Körper beitrage.

Auf den Thymus gekommen

Diese neuen Erkenntnisse hat die Forschungswelt dem Erstautor der Studie, Kameron Kooshesh, zu verdanken. Kooshesh war erst in seinem zweiten Studienjahr, als er während einer Neurologie-Vorlesung auf den Thymus und seine Rolle aufmerksam wurde. Dort erfuhr er, dass Patienten mit der Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis generell empfohlen wird, das Organ entfernen zu lassen. Diese Aussage erschien dem Studenten jedoch widersprüchlich zu dem, was er in der Praxis erzählt bekam.

„Im klinischen Unterricht auf den chirurgischen Stationen erfuhr ich, dass der Thymus bei Erwachsenen als rudimentär gilt“, so Kooshesh. „Diese beiden Ansichten schienen mir widersprüchlich zu sein, sodass ich unbedingt mehr erfahren wollte.“

Im Rahmen seiner Studie wertete Kooshesh, der mittlerweile Doktor der Medizin ist, die Daten von 1.146 erwachsenen US-Amerikanern ohne Thymusdrüse und einer vergleichbar großen Kontrollgruppe aus Patienten mit dem Organ aus. Alle Patienten, deren Nachbeobachtungszeit weniger als fünf Jahre betrugen, blieben in der Studienanalyse unberücksichtigt.

Fünf Jahre nach der erfolgten Thymusentfernung zeigte sich, dass die Sterberate bei Patienten ohne Thymus bei 8,1 Prozent lag im Vergleich zu 2,8 Prozent bei Menschen mit Thymus. Das Krebsrisiko war mit 7,4 Prozent ebenfalls deutlich höher als die 3,7 Prozent der Kontrollgruppe, bei denen der Thymus nicht entfernt wurde.

Bei einer Analyse, die auch Patienten mit einem längeren Zeitraum als fünf Jahre berücksichtigte, zeigten sich etwas abgeschwächte, aber dennoch ähnliche Trends. Bei den verbliebenen Teilnehmern offenbarte sich, dass die Sterberate bei Patienten ohne Thymus (9 Prozent) höher war als bei denen mit Thymus (5,2 Prozent). Dasselbe Bild zeigte sich bei der Betrachtung der Krebssterberate: Diese lag bei Patienten ohne Thymus (2,3 Prozent) höher als bei jenen mit Thymus (1,5 Prozent).

Wer sucht, der findet

Zusätzlich wollten die Forscher erfahren, welchen Einfluss das fehlende Organ auf die Produktion von T-Zellen hat. Auch hierfür untersuchten Kooshesh und seine Kollegen Patienten mit und ohne Thymus. Das Ergebnis: Patienten ohne Thymus wiesen eine geringere Neuproduktion von T-Zellen auf – sowohl von Helferzellen als auch von zytotoxischen T-Zellen. Diese Patienten hatten auch höhere Werte von jenen Proteinen im Blut, die mit Autoimmunität und Krebs in Verbindung gebracht werden.

„Das Ausmaß von Tod und Krebs bei Patienten, die sich einer Thymusentfernung unterzogen hatten, war für mich die größte Überraschung“, erklärt Kooshesh. „Je mehr wir gegraben haben, desto mehr haben wir gefunden. Die Ergebnisse legten uns nahe, dass das Fehlen des Organs grundlegende Aspekte der Immunfunktion zu stören scheint.“

Die Studie erschien am 3. August 2023 im Fachmagazin „The New England Journal of Medicine“.



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