Wider den Unsinn von den Strafzinsen: Wie die unkonventionelle Geldpolitik wirklich funktioniert

Als die Europäische Zentralbank den Zins für Bankguthaben bei der Zentralbank auf minus 0,5 Prozent gesenkt hat, war in fast allen Medien von einem höheren Strafzins die Rede. Dabei ist der Ausdruck grob irreführend. Er bedient und vertieft ein Fehlverständnis von der Funktionsweise der Geldpolitik und richtet damit beträchtlichen Schaden in den Köpfen an.
Titelbild
Das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main, 15. Mai 2018.Foto: YANN SCHREIBER/AFP/Getty Images
Von 14. September 2019

Als die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag den Zins für Bankguthaben bei der Zentralbank von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent gesenkt hat, war in fast allen Medien von einem höheren Strafzins die Rede. Dabei ist der Ausdruck grob irreführend. Er bedient und vertieft ein Fehlverständnis von der Funktionsweise der Geldpolitik und richtet damit beträchtlichen Schaden in den Köpfen an.

Stellvertretend für viele Medienberichte sei hier einer von T-Online auf Basis von Texten der großen Nachrichtenagenturen zitiert:

Europas Währungshüter stemmen sich mit allen Mitteln gegen die Konjunkturschwäche: Banken müssen künftig noch höhere Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken. Zudem steckt die Notenbank frische Milliarden in Anleihen.“

Das Wort Strafe beinhaltet die Vorstellung, dass jemand für unerwünschtes Verhalten mit negativen Konsequenzen belastet wird. In den Medienberichten heißt es, sodass die Banken zu viel Geld bei der EZB „parken“ anstatt es produktiv zu verwenden, zum Beispiel für Kredite an Unternehmen. Dafür würden sie mit Negativzinsen bestraft.

Dem liegt die völlig falsche Vorstellung zugrunde, die Banken könnten das Geld vom Konto bei der EZB abheben und einem Kreditnehmer geben. So wie wenn Geld wie vor Urzeiten die Form von Goldmünzen hätten, die bei der EZB gelagert werden können, und die, wenn sie dort „geparkt“ sind, nicht in der Wirtschaft zirkulieren können. So ist es aber nicht.

Geld ist keine Flüssigkeit, sondern ein Buchhaltungseintrag mit doppelter Buchführung

Geld „fließt“ nicht wie Wasser. Geld ist keine Flüssigkeit, sondern ein Buchhaltungseintrag mit doppelter Buchführung. Das Bild von fließenden Geld würde nur halbwegs stimmen, wenn es wie in der reinen Goldwährung einen einzigen Geldkreislauf gäbe. Aber weil es zwei getrennte Kreisläufe für Zentralbankgeld und für normales Bankengeld gibt, führt das Bild in die Irre.

  • Zentralbankgeld besteht aus Guthaben der Banken bei der Zentralbank.
  • Bankengeld besteht aus unseren Guthaben bei den Geschäftsbanken.
  • (Daneben gibt es noch Bargeld. Das ist gleichwertig dem Zentralbankgeld, aber das können wir zur Vereinfachung hier schadlos weglassen und seine Rolle in einem Anhang klären.)

Wie die beiden Kreisläufe funktionieren versteht man, wenn man sich vor Augen hält, was passiert, wenn wir per Banküberweisung eine Rechnung von 1000 Euro bezahlen.

Wir weisen unsere Bank (A) an, von unserem Kontoguthaben 1000 Euro zu streichen und es auf dem Konto der Empfängerin gutzuschreiben. Wenn beide ihr Konto bei der gleichen Bank haben, ist das eine einfache interne Buchung. Aber meist hat die Empfängerin ihr Konto bei einer anderen Bank (B).

Dann kommt der Zentralbankgeldkreislauf ins Spiel. Meine Bank A weist Bank B an, der Empfängerin 1000 Euro gutzuschreiben. Das ist eine Schuld von Bank B gegenüber der Empfängerin. Diese Schuld geht Bank B nicht umsonst ein. Bank A muss dafür bezahlen. Diese Bezahlvorgänge abzuwickeln ist die Funktion der Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Zusammen mit dem Auftrag an Bank B, der Empfängerin 1000 Euro gutzuschreiben, weist Bank A die Zentralbank an, 1000 Euro von ihrem eigenen Guthabenkonto zu streichen und sie dem Guthabenkonto von Bank B gutzuschreiben.

Durch das Tun der Geschäftsbanken kann kein Geld die Zentralbank verlassen.

Man sieht: Es fließt kein Geld von einer Geschäftsbank zu einem Kunden und kein Geld verlässt die Zentralbank. Es wird nur Geld von Bankkonto auf ein anderes und gleichzeitig gegenläufig von einem Zentralbankkonto auf ein anderes umgebucht. Durch das Tun der Geschäftsbanken kann kein Geld die Zentralbank verlassen. (Mit der kleinen Ausnahme Barabhebung, die wir noch etwas hintanstellen.) Deshalb kann man auch nicht sinnvoll davon sprechen, dass sie Geld dort „parken“.

Das gilt auch, wenn eine Geschäftsbank einen Kredit vergibt, und sei er noch so groß. Bank A gebe einem Unternehmen einen Kredit von 1 Mrd. Euro. Das Unternehmen bezahlt damit zum Beispiel eine neue Fabrik. Was passiert? Die Bank schreibt dem Konto des Unternehmens 1 Mrd. Euro gut. Diese werden auf das Konto des Bauträgers bei Bank B überwiesen. Im Hintergrund läuft die Umbuchung von Zentralbankgeld. Vom Zentralbankkonto von Bank A wird 1 Mrd. Euro abgezogen, dem von Bank B wird 1 Mrd. Euro gutgeschrieben. Die Summe der von Geschäftsbanken gehaltenen Guthaben hat sich nicht verändert. Die Höhe der Strafzinsen, die die Geschäftsbanken zahlen müssen, hat sich auch nicht verändert, obwohl eine von diesen in großem Umfang die erwünschte Aktion der Kreditvergabe ausgeführt hat.

Wie viel Geld auf Zentralbankkonten liegt, bestimmt allein die Zentralbank

Deshalb ist auch die Formulierung, die Geschäftsbanken müssten fürs „Parken“ Strafzinsen zahlen verfehlt. Wie viel Geld auf diesen Zentralbankkonten liegt, bestimmt (mit der genannten kleinen Ausnahme Bargeld) allein die EZB. Die Geschäftsbanken werden also für das Handeln der EZB „bestraft“, nicht für ihr eigenes.

Wie bestimmt die EZB das Volumen der Geschäftsbankenguthaben in ihrer Bilanz? Traditionell, indem sie den Banken Kredit gibt, und ihnen im Umfang der Kreditsumme ein Guthaben einräumt. Seit einigen Jahren besteht allerdings die Hauptquelle der stark aufgeblähten Menge an Zentralbankguthaben der Banken aus den massiven Anleihekäufen der EZB. Denn wenn die EZB einer Bank Anleihen abkauft, bezahlt sie diese, indem sie das Guthaben der Bank bei der Zentralbank entsprechend hochschreibt. Dadurch entstehen neue Bankguthaben in gleichem Umfang. Auf diese für ihre Bedürfnisse viel zu hohen Guthaben, die sie als Gruppe nicht senken können, müssen die Geschäftsbanken „Strafzinsen“ zahlen.

Das Spiel, das mit Hilfe der Negativzinsen gespielt wird, heißt „Heiße Kartoffel“. Alle (Banken) stehen ums Lagerfeuer und die EZB holt eine Kartoffel aus dem Feuer und wirft sie einer Bank zu. Zu den Regeln gehört, dass man die Kartoffel fangen muss. Die Banken werfen sich die Kartoffel nun gegenseitig zu, aber sie verschwindet dadurch nicht. Die EZB holt immer mehr Kartoffeln aus dem Feuer und bringt sie ins Spiel, sodass die Hände der Banker immer heißer werden. Sie können die Kartoffeln zwar weitergeben, aber das hilft ihnen nicht wirklich, denn diese kommen sofort zurück.

Das muss nicht schlecht sein, wenn es dazu führt, dass die betroffenen Banken immer wieder das Erwünschte tun, um kurzfristig den Schmerz zu lindern. Wenn sie jedes Mal, wenn das Geld wieder auf ihrem Konto landet, einem Unternehmen Kredit für eine sinnvolle Investition gäben, wäre das eine gute Sache.

Man ahnt schon, dass es so nicht laufen wird, auch wenn die Europäische Zentralbank und viele Berichterstatter so tun, als wäre das die Hauptfunktion der „Strafzinsen“.

Unternehmenskredite machen nur einen kleinen Teil der Kreditsumme der Geschäftsbanken aus und einen noch kleineren Teil der Geschäftstätigkeit. Die Anzahl der sinnvollen Projekte ist begrenzt.

Einen weitaus größeren Teil der Kreditvergabe machen Hypothekenkredite aus. Die meisten davon werden für den Kauf bestehender Häuser und Wohnungen vergeben, nicht für den Neubau. Wenn die Banken also jetzt vermehrt und zu niedrigeren Zinsen Hypothekenkredite vergeben, um die heiße Kartoffel der Zentralbankguthaben an andere Banken weiterzugeben, treiben sie damit vor allem die Preise für Immobilien nach oben. Denn mit dem zusätzlich aufgenommenen Geld überbieten die Kreditnehmer sich bei den Auktionen gegenseitig. Mehr gebaut wird deshalb kaum, weil der Engpass Bauland und Baugenehmigungen sind, nicht die Preise oder Kredite.

Große Summen Zentralbankguthaben kann man als einzelne Bank auch los werden, indem man Kredite für Unternehmensübernahmen gibt. Der Konjunktur helfen die nicht.

Und schließlich: Man kann die Guthabenkartoffel auch weiterreichen, indem man selbst Immobilien und Wertpapiere kauft. Das geht schneller als Kredite zu vergeben und in großem Umfang. Der Empfänger der Guthabenkartoffel macht es genauso, und so werden die Kurse von Wertpapieren immer weiter nach oben getrieben, sehr zur Freude der vermögenden Klasse. Das habe ich mir übrigens nicht selbst ausgedacht. Den Ausdruck „Hot-Potato-Effect“, also heiße-Kartoffel-Effekt und die Wirkungsweise auf die Wertpapiermärkte habe ich von einem Erklärtext der Bank von England zur Wirkungsweise der Anleihekäufe.

Die niedrigen Zinsen haben natürlich eine gewisse Wirkung auf Investitionen und Nachfrage. Wie groß der ist, darüber wird trefflich gestritten. Aber eine Hauptwirkung ist definitiv, dass die Immobilien- und Wertpapierpreise nach oben getrieben bzw. oben gehalten werden. Das sieht man sehr schön daran, wie in den letzten Wochen und Monaten trotz massiver Eintrübung des Konjunkturbilds in Europa und weltweit die Aktienkurse oben geblieben sind, allein weil die Zentralbanken ein paar zusätzliche heiße Kartoffeln ins Spiel gebracht und angekündigt haben, dass es noch mehr werden.

Anhang

Die Rolle des Bargelds

Bargeld abzuheben ist die einzige Art, wie die Geschäftsbanken insgesamt ihre Guthaben bei der Zentralbank reduzieren können. Sie könnten zum Beispiel ein paar Milliarden abheben und das Geld in den Safe legen. Das ist aber nicht gerade das, was die Zentralbank bewirken will. Auch wenn die Kunden in erhöhtem Maße Bargeld nachfragen, sinken die Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Aber auch das ist nicht erwünscht, weil in der Regel ein Krisensignal.

Bargeld spielt für die hier beleuchteten Zusammenhänge zwar im Normalfall keine nennenswerte Rolle. Deshalb ist es aber keinesfalls unwichtig. Die bloße Möglichkeit, Geld durch Abheben in Bar von den Konten zu holen, verhindert tief negative Leitzinsen und Bankenzinsen. Denn die Kosten für Versicherung und Lagerung von Bargeld sind deutlich geringer als zum Beispiel drei Prozent des Wertes. So tief können die Minuszinsen daher kaum sinken.

Etwas ausführlichere Erläuterungen zum Geldsystem, zur Geldpolitik und den Interessen dahinter finden Sie hier: Über das Geld

Einen Erklärtext zu Anleihekäufen (2015) finden Sie hier: Anleihekäufe der EZB für Dummies

 

Der Artikel erschien zuerst bei norberthaering.de.

Norbert Häring ist seit 1997 Wirtschaftsjournalist. Vorher arbeitete der promovierte Volkswirt einige Jahre für eine große deutsche Bank. Er engagiert sich in der World Economics Association für eine weniger einseitige und dogmatische Ökonomik. Er ist Träger des Publizistik-Preises der Keynes-Gesellschaft und des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises von getAbstract (Ökonomie 2.0).

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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