Machtkalkül: Grüne bevorzugen Bündnis mit schwer angeschlagener SPD

Am vergangenen Sonntag gewann die CDU haushoch die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Trotzdem will die Koalition rot-rot-grün weiter an der Regierungsmacht festhalten. Königsmacher sind am Ende die Grünen.
Kann alles andere als zufrieden sein mit dem Ergebnis der SPD: Franziska Giffey.
Kann alles andere als zufrieden sein mit dem Ergebnis der SPD: Franziska Giffey.Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Von 14. Februar 2023

Der vergangene Wahlsonntag in Berlin war für die regierende rot-rot-grüne Koalition ein Debakel. Während die CDU mit 28,2 Prozent ein beachtliches Wahlergebnis holte, reichte es für die SPD, die mit Franziska Giffey die Regierende Bürgermeisterin stellt, für magere 18,4 Prozent. Die Grünen, die ebenfalls auf 18,4 Prozent der Wählerstimmen kamen, konnten sich lange Zeit am Sonntag gute Hoffnungen machen, dass sie vor der SPD ins Ziel kommen könnten. Lediglich 105 Stimmen waren es dann, die Franziska Giffey diese Blamage am Ende ersparte. Die Regierende Bürgermeisterin gab sich dann am Abend in den verschiedenen Fernsehinterviews der Wahlberichterstattung auf ZDF und ARD auch sehr zerknirscht. Sie sprach viel von Demut. Einen Tag später war davon aber wenig zu spüren. Für die SPD steht fest, dass es so weitergehen soll wie bisher. Auch die Grünen und die Linke, bisher Giffeys Partner, sind nicht abgeneigt, in den kommenden Jahren weiterzumachen wie bisher.

Haushoher Wahlgewinner ist die CDU

Das ist doppelt verwunderlich, da die Zeichen durch den Wähler eigentlich unmissverständlich ausgesendet wurden. Fast 10 Prozentpunkte lag die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner vor SPD und Grünen. „Berlin hat den Wechsel“, verkündete der CDU-Wahlsieger deshalb noch am Sonntagabend. Er werde nun umgehend Einladungen sowohl an die SPD als auch die Grünen zu Sondierungsgesprächen versenden. Auch CDU-Chef Friedrich Merz machte am Montag auf einer Pressekonferenz mit dem strahlenden Sieger Wegner deutlich, was aus seiner Sicht die Zeichen der Zeit sind. „Der jetzige Senat mag noch über eine rechnerische Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügen, politisch hat er die Mehrheit gestern verspielt“, machte Merz deutlich.

SPD klebt offenbar an Macht

Die SPD hatte auch am Montag noch nicht den Schock überwunden. Als Franziska Giffey am Montag, wie nach so einer Wahl üblich, in der Bundesparteizentrale vor die Presse trat, sah man ihr an, dass es in ihr arbeitete. Trotzdem machte die große Wahlverliererin deutlich, dass sie weiter eine „starke führende Rolle“ für sich in der Landespolitik beanspruche. Ihr Ziel sei gewesen, dass das Rathaus rot bleibe, sagte die Regierende Bürgermeisterin. Nun müssten die Gespräche mit den anderen Parteien zeigen, inwieweit das möglich sei. Die SPD habe aber den „Anspruch, diese Stadt weiter mitzugestalten“. Die Frage, ob das in jedem Fall bedeute, dass sie selbst im Amt bleiben müsse, beantwortete Giffey nicht.

Sie spricht auch von „Veränderungsnotwendigkeiten“, die sich aber offenbar nicht in einer neuen Regierungskoalition abbilden sollen. Mit der CDU, Grünen und der Linken möchte die SPD nun inhaltliche Schnittmengen ausloten. Bei einer Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses hieße das, dass der Koalitionsvertrag aus dem vergangenen Jahr „nicht einfach so bleiben“ könne. Bei den Themen innere Sicherheit, Verkehrspolitik, Wohnungsmarkt und Verwaltungsreform müsse es Änderungen geben. Das Signal, das Giffey an diesem Tag im Willy-Brandt-Haus ihrer Partei aussendet, ist unmissverständlich: Wir reden zwar mit jedem, am Ende wollen wir aber unseren Führungsanspruch in Berlin nicht aufgeben.

Andere Spitzenpolitiker der SPD sind da noch deutlicher, wohin die Reise ihrer Meinung nach hingehen sollte. Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken nennt im „Deutschlandfunk“ die CDU eine „Protestpartei“. Diese hätte keine Machtoptionen. Es brauche weiter das „Modell Franziska Giffey“.

Grüne wollen Partnerschaft auf Augenhöhe

Mit diesem Modell scheinen auch ihre bisherigen Bündnispartner zu sympathisieren. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hatte schon am Wahlabend mehrmals betont, dass sie zwar ein Sondierungsgespräch mit der SPD führen wolle, aber eigentlich die Neuauflage des rot-rot-grünen Bündnisses bevorzugt. Das wiederholte sie dann auch am Montag noch mehrmals. Gegenüber dem „rbb24 Inforadio“ sprach sich die Grünen-Politikerin abermals für eine Fortsetzung der Koalition aus. Der bestehende Koalitionsvertrag sei dafür eine gute Grundlage. Angesichts des denkbar knappen Wahlergebnisses erwarte sie allerdings ein harmonischeres Regieren. Sie stellt aber auch klare Forderungen in Richtung SPD:

Wenn wir mit einer SPD weiter regieren, mit der wir ja komplett gleich stark inzwischen sind, dann wird das schon bedeuten, dass wir nochmal zu einem ganz anderen, wirklich partnerschaftlichen Umgang kommen müssen, ohne öffentlichen Streit […], das wäre schon nötig.“

Zwar wolle sie ernsthaft mit der CDU in Sondierungsgespräche gehen, dass sich die Parteien aber einigen könnten, da sieht Jarasch größere Probleme.

Es gibt bei den Grünen kein Bündnis ohne Mobilitäts- und Wärmewende, ohne Berlin wirklich klimaneutral umzubauen und ohne echten Mieterschutz.“

Möchte die CDU ein Bündnis eingehen, dann ginge das nur mit starken Zugeständnissen an die Grünen. In der taumelnden SPD, so wird im Gespräch deutlich, sieht die Grünen-Politikerin einen willfährigeren Bündnispartner.

Die politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, bevorzugt ebenfalls für Berlin eine Fortsetzung der Koalition aus SPD, Grünen und Linken. „Was Berlin jetzt braucht, ist eine Regierung, die schnell ins Arbeiten kommt und die Probleme der Stadt konsequent angeht“, sagte sie dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Zwar stünden die Berliner Grünen „für Gespräche mit allen demokratischen Parteien bereit“, fügte Büning hinzu, „wir haben aber im Wahlkampf eine Präferenz für ein progressives Bündnis deutlich gemacht.“

Die Linke unter ihrem Spitzenkandidaten Klaus Lederer hatte am Wahlabend mehrmals betont, dass man sich gut vorstellen könne, mit den bisherigen Bündnispartnern weiterzuregieren. Widerstand aus dieser Richtung ist also auch nicht zu erwarten.

SPD-Landesvize: „Es kann nicht so weitergehen“

Derweil rumort es aber in den Reihen des Berliner SPD-Landesverbandes. Gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa) forderte laut „Zeit“ der stellvertretende Landesvorsitzende Kian Niroomand eine ehrliche Aufarbeitung. „Das Ergebnis ist für uns eine Zäsur“, sagte er. „Es kann nicht so weitergehen.“ Die SPD müsse ihre Wahlniederlage „mit Demut annehmen“ und hinterfragen, wie sie sich für die Zukunft aufstellen wolle – was als Kritik an Giffey verstanden werden kann. Niroomand plädierte dafür, darüber in Ruhe zu diskutieren und sich nicht vorschnell auf Bündnisse festzulegen.

Auch das SPD-Landesvorstandsmitglied Kevin Hönicke sieht einen Veränderungsbedarf. Gegenüber der „Bild“ sagte er: „Ein ‚Weiter so‘ kann es nicht geben.“

Ob das am Ende auch die Aufgabe der Regierungsführung in Berlin bedeutet, bleibt abzuwarten. Dass der Wahlsieger, der die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen kann, immer wieder mal leer ausgeht, das hat es in der Vergangenheit schon mehrmals gegeben. Ole von Beust (CDU) 2001 in Hamburg, Winfried Kretschmann (Grüne) 2011 in Baden-Württemberg und Bodo Ramelow (Linke) 2014 in Thüringen kamen zum Beispiel so an die Macht. Ob es der SPD im Hinblick auf die kommende Wahl in drei Jahren guttut, hier die Zeichen der Wählerinnen und Wähler zu ignorieren – das wird dann der Wahlabend zeigen.



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