Nach Urteil in Karlsruhe: Müssen Abgeordnete jetzt um ihre Mandate bangen?

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden, dass die Bundestagswahl 2021 in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden muss. Was bedeutet diese Entscheidung für die politische Landschaft in Deutschland und für die Direktmandate in Berlin?
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Die Bundestagswahl in Berlin muss in Teilen wiederholt werden. Zu diesem Urteil kam heute das Bundesverfassungsgericht.Foto: Uwe Anspach/dpa
Von 19. Dezember 2023

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat heute entschieden, dass die Bundestagswahl 2021 in 455 von 2.256 Wahlbezirken in Berlin wiederholt werden muss. Damit ist das Urteil glimpflich ausgefallen.

Das Verfassungsgericht in Berlin hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass aufgrund erheblicher Wahlpannen während der 2021 zeitgleich mit der Bundestagswahl stattgefundenen Wahl zum Abgeordnetenhaus die Wahl in Gänze wiederholt werden muss. Das Ergebnis ist bekannt: Seit April hat Berlin mit einer Regierung aus CDU und SPD einen neuen Senat. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) musste ihren Chefsessel an Kai Wegner von der CDU abgeben. Die bis zur Neuwahl regierende Koalition aus SPD, Grünen und Linken zerbrach.

Ganz so dramatische Auswirkung hat die Entscheidung aus Karlsruhe nicht. Berlin ist als Bundesland zu klein, um die Mehrheiten im Bundestag durcheinanderzuwirbeln. So muss die regierende Ampelkoalition nicht befürchten, durch die Neuwahl in Berlin abgewählt zu werden. Auch dürfen die Abgeordneten der Linken und des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ aufatmen: Sie müssen nicht um ihre Mandate zittern.

Direktmandat der Linken-Ikone Gregor Gysi unangefochten

Da die Linken damals mit 4,9 Prozent den Einzug in den Bundestag verpasst hatten, konnten sie sich nur durch drei Direktmandate mit 39 Abgeordneten in den Bundestag retten. Möglich war das damals durch eine Besonderheit im Wahlrecht, das einen Einzug in den Bundestag auch dann möglich machte, wenn anstatt der notwendigen fünf Prozent an Zweitstimmen eine Partei drei Direktmandate, also die Mehrheit in drei Wahlbezirken, erringen kann.

Den Linken gelang es, einen Wahlkreis in Leipzig und zwei Wahlkreise in Berlin zu gewinnen. Eine Neuwahl hätte unter Umständen dazu führen können, dass die Linken einen Wahlkreis verlieren. Damit hätten sie im Nachgang den Einzug in den Bundestag verpasst. Die mittlerweile zwischen den Linken und dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ aufgeteilten Mandate wären beiden Gruppen verloren gegangen und sie hätten den Bundestag verlassen müssen. Das scheint nun abgewendet zu sein.

Der Wahlkreis 86 (Berlin-Lichtenberg), den die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch mit 25,8 Prozent für sich gewinnen konnte, ist von der Neuwahl nicht betroffen. Daher wird es hier keine Veränderung geben. Der zweite Wahlkreis, den die Linken 2021 für sich erobern konnten, ist der Wahlkreis 84 (Berlin-Treptow-Köpenick). Hier hat das Verfassungsgericht entschieden, dass in zwei Wahlbezirken noch einmal gewählt werden muss. Das dürfte das Ergebnis von 2021 nicht verändern, zumal diesen Wahlkreis damals der langjährige Linken-Parteivorsitzende Gregor Gysi mit 35,4 Prozent der Erststimmen für sich gewinnen konnte. Auf Platz zwei folgte damals mit 15,4 Prozent der Stimmen die SPD. Diesen Abstand in zwei Wahlbezirken aufzuholen, ist rechnerisch unmöglich.

Grüne Mandate nicht ernsthaft in Gefahr

Im Wahlkreis 75 (Berlin-Mitte) muss in vier Wahlbezirken noch einmal gewählt werden. Das Direktmandat konnte damals Hanna Steinmüller von den Grünen mit 30,5 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erringen. Mit 22,5 Prozent folgte dann die SPD. Dass die SPD in den vier Wahlbezirken an das Direktmandat von Steinmüller herankommt, ist nicht zu erwarten.

Stefan Gelbhaar von den Grünen konnte 2021 das Direktmandat im Wahlkreis 76 (Berlin-Pankow) erringen. Nun muss in zwei Wahlbezirken noch einmal gewählt werden. Dass hier Klaus Mindrup (SPD), der damals 21,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, auf den Grünen-Kandidaten aufschließen kann, ist kaum möglich. Es wird daher auch hier wahrscheinlich alles beim Alten bleiben.

Bundesministerin Paus wird Ex-Bürgermeister Müller Mandat nicht abjagen können

Ziemlich nahe beieinander lagen 2021 im Wahlkreis 80 (Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf) die SPD, Grüne und CDU. Am Ende konnte Michael Müller (SPD) mit 27,9 Prozent der Stimmen das Rennen für sich gewinnen. Müller, der viele Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen ist, sitzt seitdem für seine Partei im Bundestag. Er konnte sich damals relativ knapp gegen die heutige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) durchsetzen. Paus erreichte damals 24,4 Prozent der Stimmen. Klaus-Dieter Gröhler (CDU), der bis zu diesem Zeitpunkt das Mandat innehatte, musste sich mit 22,3 Prozent geschlagen geben.

Dass Paus hier über drei Wahlbezirke, in denen nun noch einmal gewählt werden muss, das Ergebnis von vor zwei Jahren kippen kann, ist kaum möglich. Michael Müller dürfte sich daher um sein Bundestagsmandat keine Sorgen machen.

Auch im Wahlkreis 82 (Berlin-Neukölln) dürfte es mit der Neuwahl in einem Wahlbezirk keine Veränderung geben. Mit Hakan Demir dürfte auch dann der Wahlkreis in SPD-Hand bleiben. Demir konnte damals 26 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen und Grüne (19,9 Prozent) und die CDU (18,7 Prozent) mit deutlichem Abstand hinter sich lassen.

Wahlsensation der CDU nicht zu kippen

Im Wahlkreis 85 (Berlin-Marzahn-Hellersdorf) muss jetzt in einem Wahlbezirk neu gewählt werden. Vor zwei Jahren gab es in diesem Wahlkreis eine kleine Sensation: Die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hatte das Direktmandat bis 2021 fünfmal in Folge geholt. Bei der letzten Bundestagswahl unterlag sie mit 21,9 Prozent der Stimmen relativ klar Mario Czaja von der CDU, der 29,4 Prozent auf sich vereinigen konnte. Es ist kaum möglich, dass Pau in einem Wahlbezirk, in welchem jetzt neu gewählt werden muss, doch noch das Direktmandat erobern kann. Czaja war bis zur Entlassung im Juli 2023 durch Friedrich Merz CDU-Generalsekretär.

Die Bundestagswahl 2021 wird in den betroffenen Berliner Wahlbezirken am 11. Februar 2024 wiederholt. Das Datum für die Teilwiederholung nannte Landeswahlleiter Stephan Bröchler in Karlsruhe. Dieser Wahltermin war bereits im Vorfeld erwartet worden – es ist der letzte mögliche innerhalb einer 60-Tage-Frist nach Urteilsverkündung.

 

 



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