Die NATO, die Ukraine und eine Rede von Putin

Die Ukraine möchte beschleunigt der NATO beitreten – Putin fordert hingegen die Regierung in Kiew auf, „den Krieg, den sie 2014 entfesselte, zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“
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Am 1. Oktober 2022: Die ukrainischen Streitkräfte haben die Stadt Kupiansk eingenommen und die russische Armee von Putin zurückgedrängt. Erste Menschen sind wieder unterwegs.Foto: Paula Bronstein/Getty Images
Von 10. Oktober 2022

Die Ukraine hat zwei Tage nach der Entscheidung von Putin, vier ukrainische Regionen zu annektieren, einen Antrag auf einen beschleunigten Beitritt zur NATO gestellt. Neun mittel- und osteuropäische NATO-Mitgliedstaaten unterstützen das Vorhaben.

In einer gemeinsamen Erklärung äußern die Präsidenten von Rumänien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Nordmazedonien, Montenegro, Polen und der Slowakei am 2. Oktober: „Wir stehen fest hinter der Entscheidung des NATO-Gipfels von Bukarest 2008 über die künftige Mitgliedschaft der Ukraine.“

Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 wurde zugesagt, dass sowohl die Ukraine als auch Georgien Bündnismitglieder werden würden. Ein konkreter Zeitplan für den Beitritt wurde nicht festgelegt – der Prozess kam nach der russischen Annexion der Krim 2014 ins Stocken.

Jens Stoltenberg legt sich nicht fest

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg befürwortete den Antrag nicht ausdrücklich, als Reporter ihn in Brüssel dazu befragten. Er verwies auf die Politik der offenen Tür: „Jede Demokratie in Europa hat das Recht, einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft zu stellen und die NATO-Verbündeten respektieren dieses Recht – und wir haben immer wieder erklärt, dass die Tür der NATO offen bleibt.“

Zudem hätten die NATO-Mitgliedstaaten kürzlich auf dem Gipfel in Madrid bekräftigt, dass sie „das Recht der Ukraine unterstützen, ihren eigenen Weg zu wählen und zu entscheiden, welcher Art von Sicherheitsvereinbarungen sie angehören möchte.“

Bisher haben die Staaten der NATO mit einer Aufnahme der Ukraine gezögert, während die Aufnahme von Finnland und Schweden begrüßt wurde. Vertraglich gesehen gibt es Einschränkungen bei einer Aufnahme eines Kandidaten, der sich im Krieg befindet oder über umstrittene Territorien verfügt. Die Mitgliedschaft erfordert die einstimmige Unterstützung aller 30 Mitglieder – Schnellverfahren sind nicht vorgesehen. Die Aufnahme ist abhängig davon, wie gut ein Staat nach den Standards der NATO in politischer, militärischer und rechtlicher Hinsicht ausgerichtet ist und ob er zur Sicherheit im Nordatlantik beitragen kann.

Der ukrainische Präsident Wolodymir Zelensky erklärte: „De facto haben wir bereits bewiesen, dass wir mit den Standards der Allianz kompatibel sind. Sie sind für die Ukraine real – real auf dem Schlachtfeld und in allen Aspekten unserer Interaktion … Wir vertrauen einander, wir helfen einander und wir schützen uns gegenseitig. Das ist das Bündnis.“

Mitte Oktober findet das nächste reguläre Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel statt, auf dem das Thema Ukraine und Russland erörtert sowie wohl weitere militärische Unterstützung für die Ukraine beschlossen werden wird.

EU und USA

Die Unterstützung der osteuropäischen Präsidenten kommt zwei Tage, nachdem der russische Präsident Putin am 30. September erklärt hatte, er habe vier ukrainische Regionen annektiert. Cherson und Saporischschja wurden am 29. September vom Kreml als russisch deklariert, Donezk und Luhansk bereits im Februar. Die annektierten Gebiete umfassen zirka 109.000 Quadratkilometer – rund 20 Prozent der ukrainischen Landfläche.

Alle EU-Mitgliedstaaten verurteilten Putins Vorgehen. Sie würden „diese illegale Annexion niemals anerkennen“. Zudem versprachen sie in einer Erklärung, ihre „restriktiven Maßnahmen gegen Russlands illegale Aktionen zu verstärken.“ Die EU schlug als Reaktion auf die Referenden ein achtes Sanktionspaket gegen Russland vor.

Josep Borrell, Chefdiplomat der EU, nannte die angekündigte Annektierung ukrainischer Territorien einen „schweren Verstoß gegen das Völkerrecht und die UN-Charta.“ Die EU werde die Ukraine weiterhin uneingeschränkt unterstützen.

Der US-Senat genehmigte am 29. September mehr als 12 Milliarden Dollar zusätzlicher Hilfe für die Ukraine. Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater, erklärte, die Vereinigten Staaten sähen keinerlei Bedarf für einen beschleunigten Beitritt der Ukraine zur Allianz.

Putin: „Diktatur der westlichen Eliten“

Putin hielt während einer Zeremonie zu den Referenden am 30. September im Kreml eine längere Rede: „Ich möchte, dass die Kyjiwer Regierung und ihre wirklichen Chefs im Westen mich anhören … die Bewohner von Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson werden für immer unsere Bürger sein.“ Angriffe auf Teile der annektierten Gebiete würden als Aggression gegen Russland selbst betrachtet und zudem werde Moskau auch dafür kämpfen, die gesamte östliche Donbass-Region einzunehmen.

Er sagte außerdem: „Wir fordern das Kiewer Regime auf, sofort alle Kampfhandlungen und Feindseligkeiten einzustellen, den Krieg, den es 2014 entfesselte, zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Dazu sind wir bereit, wie wir schon mehr als einmal gesagt haben.“

In seiner Rede erklärte er, dass Washington immer mehr Sanktionen gegen Russland fordere und die Mehrheit der europäischen Politiker gehorsam mitmachen würden. „Ihnen ist klar, dass die USA, indem sie die EU drängen, auf russische Energie und andere Ressourcen vollständig zu verzichten, Europa praktisch in die Deindustrialisierung treiben, um sich den gesamten europäischen Markt anzueignen. Diese europäischen Eliten verstehen das alles – das tun sie, aber sie ziehen es vor, den Interessen der anderen zu dienen. Das ist keine Unterwürfigkeit mehr, sondern direkter Verrat an ihren eigenen Völkern.“

Putin wählt eine andere Zukunft

Putin fragte rhetorisch, ob die Bürger Russlands „Elternteil Nummer eins, Elternteil Nummer zwei und Elternteil Nummer drei … anstelle von Mutter und Vater haben“ wollen. Russland hätte eine andere Zukunft. „Die Diktatur der westlichen Eliten richtet sich gegen alle Gesellschaften, auch gegen die Bürger der westlichen Länder selbst … Der völlige Verzicht auf das Menschsein, der Umsturz des Glaubens und der traditionellen Werte sowie die Unterdrückung der Freiheit ähneln einer ‚umgekehrten Religion‘ – dem reinen Satanismus.“

Die Welt sei in eine Periode grundlegender, revolutionärer Veränderungen eingetreten. Neue Machtzentren seien im Entstehen. Sie würden die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft repräsentieren – „der anhaltende Zusammenbruch der westlichen Hegemonie ist unumkehrbar.“ Die Rede von Putin ist hier auf Deutsch nachlesbar.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 65, vom 08. Oktober 2022.



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