Die Türkei auf dem Weg zum Präsidialsystem – So wächst jetzt Erdogans Macht

Mit dem kommenden Präsidialsystem wird sich die Macht verstärkter in der Position des Staatschefs bündeln. Dann kann der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Beispiel selbst Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen. Auch bedarf es für die Ernennung und Entlassung von Ministern nicht länger der Zustimmung des Parlaments. Ebenso soll künftig die Mehrzahl der Richter des Verfassungsgerichts vom Präsidenten ernannt werden.
Titelbild
Mit der Reform soll die Macht von Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich ausgebaut werden.Foto: Alessandro Di Meo/Archiv/dpa
Epoch Times16. Januar 2017

Das türkische Parlament hat in der Nacht zu Montag mit den Stimmen der regierenden AKP und der ultrarechten MHP die umstrittene Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystem in erster Lesung gebilligt. Mit der Reform soll die Macht von Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich ausgebaut werden. Während seine AKP die Reform für notwendig hält, um die Stabilität der Türkei zu garantieren, sieht die Opposition darin die Zementierung einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft.

Der Präsident

Die Leitung der Regierung soll mit der Reform auf den Präsidenten übertragen werden, der bisher eine vorwiegend repräsentative Funktion hatte. So soll er die Minister ernennen und entlassen können. Das Amt des Ministerpräsidenten soll abgeschafft werden, dafür soll es ein oder zwei Vizepräsidenten geben. Zudem soll der Präsident, der bisher zu Neutralität verpflichtet war, seine Parteizugehörigkeit behalten können.

Des weiteren soll der Staatschef Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen und im Fall eines Aufstands oder eine Bedrohung der Einheit der Nation den Ausnahmezustand verhängen können (den das Parlament anschließend billigen muss). Der Präsident, der seit 2014 direkt vom Volk gewählt wird, soll maximal für zwei fünfjährige Amtszeiten gewählt werden können. Künftig soll er den Titel „Staatsoberhaupt“ erhalten.

Das Parlament

Die Parlaments- und Präsidentenwahlen sollen künftig am selben Tag stattfinden. Dafür soll die Legislaturperiode des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert werden. Das Parlament bewahrt wichtige Kontrollrechte über die Regierung, doch bedarf der Präsident bei der Ernennung und Entlassung von Ministern nicht länger der Zustimmung des Parlaments. Zudem kann er das Parlament jederzeit auflösen.

Das Parlament kann Ermittlungen gegen den Präsidenten verlangen, wenn dieser eines Verbrechens beschuldigt wird. Ein Amtsenthebungsverfahren ist jedoch nicht möglich. Die Reform, die nach der nächsten Wahl im November 2019 in Kraft treten soll, sieht außerdem die Ausweitung des Parlaments von 550 auf 600 Abgeordnete vor sowie die Absenkung des passiven Wahlalters von 24 auf 18 Jahre.

Die Justiz

Die Reform sieht vor, dass die Kontrolle des Präsidenten über die Justiz gestärkt wird. So soll künftig die Mehrzahl der Richter des Verfassungsgerichts vom Präsidenten ernannt werden. Auch soll er drei der 13 Mitglieder des einflussreichen Obersten Rats der Richter und Staatsanwälte (HSYK) ernennen, der künftig vom Justizminister geleitet wird. Die Befugnisse der Militärtribunale sollen deutlich eingeschränkt werden.

Das Verfahren

Der Entwurf wurde in der Nacht zu Montag nach einwöchiger, teils turbulenter Debatte in erster Lesung gebilligt. Am Mittwoch soll die zweite Lesung beginnen, um rasch die Abstimmung über das gesamte Paket abzuhalten. Um eine Volksabstimmung über die Reform anzusetzen, brauchen die AKP und die ultrarechte MHP 330 der 550 Stimmen. Erhalten einzelne Artikel nicht die nötige Mehrheit, sind sie durchgefallen.

Da AKP und MHP zusammen über 357 Abgeordnete verfügen, wird trotz einiger Dissidenten bei der MHP mit der Annahme des Pakets gerechnet. Die Volksabstimmung über das Paket soll voraussichtlich am 2. April stattfinden. Laut Umfragen ist die Zustimmung der Bevölkerung im Referendum derzeit nicht gesichert. AKP und MHP haben für den Fall einer Ablehnung vorgezogene Neuwahlen angekündigt. (afp)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion